Gewalterfahrung macht krank. Die Zahl der Bundeswehrsoldaten, die psychisch erkranken, wächst. Für sie beginnt nach der Rückkehr aus ihren Einsätzen ein Überlebenskampf, auf den sie nicht vorbereitet sind: der Kampf um Heilung, Anerkennung, Unterstützung und um neues Menschwerden. Jeder kämpft für sich allein, viele scheitern. Das liegt auch an dem Tabu, mit dem die Verwundungen der Seele belegt sind.
Die Bundeswehrsoldaten, die nach Afghanistan oder in den Kosovo abkommandiert wurden, haben ihr militärisches Handwerk trainiert. Sie haben ihr Verhalten bei Angriffen, Anschlägen, Hinterhalten und in allen erdenklichen brenzligen Situationen simuliert. Doch sie waren ahnungslos vor der Gefahr, die in ihren eigenen Köpfen und Herzen lauert und die ihre Psyche krank macht. Das ist umso befremdlicher, als hundert Jahre alte Erfahrungen hätten warnen können. Doch sie wurden verdrängt.
Schon im Ersten Weltkrieg, der vor hundert Jahren, im Herbst 1918 endete, fielen Soldaten dem Seelenleid zum Opfer. Das massenhafte Töten und Sterben, das Bluten und Schreien, die Grausamkeiten und Verrohungen erträgt die menschliche Natur nicht. Davon wollte die Gesellschaft damals nichts wissen, und auch heute verschließen Armee und Politik die Augen davor. Soldaten werden eingesetzt wie Maschinen, und aussortiert, sobald sie nicht mehr funktionieren. In den Archiven lagern Patientenakten, die auch 100 Jahre nach Kriegsende nicht gesichtet, geschweige denn aufgearbeitet sind.
Karton um Karton stapeln sich im Bethel-Archiv in Bielefeld, in Münster beim westfälischen Landesarchiv und eben dort im Archiv des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe. Schicksale abgeheftet, Deckel drauf – auf Krankenakten von Traumatisierten, Anordnungen der Behörden, Fachdiskussionen von Medizinern über Ursachen und Therapieformen. Die dort aufzufindenden Parallelen zum Umgang mit den „Posttraumatischen Belastungsstörungen“ (PTBS) unserer Tage sind augenfällig, auch wenn es den Begriff damals noch nicht gab: Die Odysseen der Patienten, ihr Kampf mit der Obrigkeit, ihre Verdächtigung als Drückeberger und Simulanten, ihre soziale Ausgrenzung. Zerstörtes Leben.
Der Wehrbeauftragte des Bundestages berichtete für 2017 von 784 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, bei denen psychische Einsatzerkrankungen neu diagnostiziert wurden. Im Vorjahr waren demnach 751 Krankheitsfälle aktenkundig geworden. Das sind allein die Fälle, die in den Bundeswehreinrichtungen behandelt werden. Diejenigen, die sich außerhalb des Systems um Hilfe bemühen, und insbesondere auch die, denen die Kraft fehlt, sich die Krankheit überhaupt einzugestehen und in Therapie zu begeben, fehlen in der Statistik.
Eine systematische Erfassung der psychisch Erkrankten gab es im Ersten Weltkrieg nicht. Es häuften sich die Fälle von Patienten, die die Ärzte in den Lazaretten vor ein Rätsel stellten und sich allmählich zu einem Massenphänomen entwickelten. Nicht offensichtliche Verletzungen, nicht klaffende Körperwunden oder abgetrennte Gliedmaßen, sondern bis dahin unbekannte Symptome mit unerklärlicher Ursache überforderten die Mediziner. Viele taten die Leiden ab, schoben die Patienten weiter in Heimatkliniken oder schickten sie zurück an die Front.
Der „Ausschuss für Kriegsbeschädigten-Fürsorge in der Provinz Westfalen“ stellte für die Jahre 1916 und 1917 Zahlen für die Regierungsbezirke Münster, Minden und Arnsberg zusammen. Neben den Kategorien Hand- oder Armamputierte, Fuß- oder Beinamputierte, beidseitig Arm- und beidseitig Beinamputierte, einseitig oder doppelseitig Blinde, Gehirn- und Rückenmark-Leidende werden dort in einer Rubrik „Geistes- und Nervenkranke“ erfasst und zwar mit den jeweils höchsten Fallzahlen in dieser Übersicht. 1916 waren demnach 986 Geistes- und Nervenkranke von der Kriegsbeschädigten-Fürsorge in Westfalen anerkannt, 1917 dann 731. Zusammengenommen waren die Zahlen der körperlich Versehrten mit 2115 (1916) und 1649 (1917) jeweils mehr als doppelt so hoch. Allerdings muss man bei der Betrachtung der bloßen Zahlen bedenken, dass die Anerkennung als Kriegsopfer für die psychisch Kranken ungleich schwerer war.
Die Zahl der „psychisch Zerrütteten, der als ‚Kriegsschüttler‘ und ‚Zitterer‘ mehr diffamierten als medizinisch diagnostizierten Kriegsopfer, ging bald in die Hunderttausende“, sagt der Bochumer Historiker Lucian Hölscher. In einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung schreibt er im Januar 2014 über den „Geschichtsbruch“, über die „reichlich späte historische Aufarbeitung“, die Überlagerung der Kriegsgräuel durch die des Zweiten Weltkriegs und meint:
„Im Ersten Weltkrieg allerdings waren die Erfahrungen des modernen, industriell geführten Krieges noch neu, die seelische Erschütterung der Menschen daher grundsätzlicher. In ihm zerbrachen nicht nur die Körper der Menschen, sondern auch ihre Seelen und ihr Verstand.“ Militärärzte seien „unerfahren in der Diagnose und hilflos in der Therapie“ gewesen, die militärische Führung habe psychische Krankheiten als „unehrenhafte Form der Verwundung“, als „unmännliche Schwäche“ und „Neigung zur Drückebergerei“ betrachtet.
Diese Haltung begegnet heute auch den Soldaten der Bundeswehr, die traumatisiert aus Kampfeinsätzen zurückkehren. Sie schämen sich für ihre Schwachheit in der Männergesellschaft, empfinden sich als Versager und wissen zunächst selbst nichts über die tabuisierte Erkrankung. Sie geraten in einen Strudel von sozialem Abstieg und finanziellem Ruin, landen in Alkoholismus und Obdachlosigkeit oder flüchten in den Suizid. Sie werden die Bilder nicht los, die Gerüche, den Lärm, die Schreie, die Blicke, das Schuldgefühl auch dann, wenn sie sich vorschriftsmäßig verhalten haben.
Diejenigen, die die Kraft finden, sich aus dem Abwärtssog herauszuwinden und ihr Leben wieder in den Griff bekommen wollen, stoßen vielfach auf Ablehnung und Häme. Schon 2007 stellte in einer Dokumentation des NDR der Arzt Karl Heinz Biesold am Hamburger Bundeswehrkrankenhaus fest, dass es sich bei PTBS um einen „gehirn-physiologischen Vorgang“, mithin eine „organische Hirnkrankheit“ handele. Doch das bewahrt die Patienten bis heute nicht davor, als „Weicheier“ bespöttelt zu werden. Und die Abteilung in der Hamburger Klinik, die erkrankten Soldaten einen Weg zurück ins Leben zu bahnen versucht, wird in der Truppe abfällig als „Bundeswehrklapse“ bezeichnet.
Noch 2014 zeigte eine weitere Dokumentation an mehreren Einzelschicksalen die Mauern auf, an die die Hilfesuchenden stoßen. „Das hat nichts mit den Auslandseinsätzen zu tun“, wird ihnen erklärt, „das kommt aus Ihrer Kindheit.“ Oder es heißt pauschal lapidar: „Wo kein Krieg ist, ist kein Trauma.“ Und dann wird einem Opfer abverlangt, selbst den Beweis zu führen, dass es in Afghanistan eingesetzt und bei dem Anschlag dabei war, auf den es seine Traumatisierung zurückführt. Schikane statt Beistand und ständig unter dem Verdacht, mit einem Antrag auf Wehrdienstbeschädigungskosten nur Geld machen zu wollen. „Ich habe für Deutschland gedient“, sagt ein Ex-Soldat und fragt: „Warum werde ich jetzt fallengelassen?“ Er und viele seiner früheren Kameraden fühlen sich zermürbt und im Stich gelassen. Jobcenter und Krankenkassen weisen sie ab. Den Toten und Tapferen erweisen Bundeswehr und Gesellschaft alle Ehre, den seelisch Verwundeten versagen sie selbst ein Minimum an Fürsorge.
Der „Umgang mit an PTBS bzw. an Agoraphobien (Angststörungen/pk) erkrankten Soldatinnen und Soldaten (stellt) eine schwerwiegende Verletzung der Fürsorgeverantwortung des Dienstherrn dar“, äußerte die Linksfraktion im Bundestag in der Vorbemerkung zu ihrer Anfrage an die Bundesregierung.
Die Antworten auf die vielen konkreten Fragen bleiben so dürftig, dass sie die Kritik an mangelnder Zuwendung zum Thema bestätigen. „Es werden keine diagnosespezifischen Statistiken zu Repatriierungen geführt“, heißt es zu der entsprechenden Frage nach der Anzahl im Einsatz erkrankter Soldaten, dann: „Der Bundesregierung liegen dazu keine Fallzahlen vor.“ Oder: „Eine Erhebung von Zahlen, wie viele Soldatinnen und Soldaten mit einer erfolgreich behandelten PTBS/Agoraphobie-Erkrankung erneut in den Einsatz gegangen sind, erfolgt aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht.“ Und, gleich mehrfach: „Die Angaben können in dem erbetenen Detaillierungsgrad zu dem angefragten Krankheitsbild aus dem vorhandenen Zahlenmaterial nicht ermittelt werden.“ Sowie: „Exakte Bearbeitungszeiten lassen sich derzeit nicht ermitteln, da ein Teil der Verfahren im Rahmen des Zuständigkeitswechsels zum 1. Januar 2015 von den Bundesländern übernommen wurde.“
Die Fragen von Fürsorgepflichten und Zuständigkeiten drängten sich auch bereits im Ersten Weltkrieg auf. Am 8. Februar 1917 schrieb das Sanitätsamt beim 18. Armeekorps in Frankfurt am Main an den Ausschuss für Kriegsbeschädigten-Fürsorge in der Provinz Westfalen, es seien „unter fachärztlicher Leitung besondere Lazarettabteilungen für Kriegsneurotiker (Zitterkranke, hysterische Lähmungen und Stummheit) eingerichtet worden“. Das Sanitätsamt beabsichtige, „planmässig alle vorhandenen derartigen Krankheitsfälle behandeln zu lassen, und zwar sowohl Mannschaften, welche noch dem Heere angehören, als auch solche, die schon aus dem Heeresdienst entlassen worden sind“.
Unter dem Betreff „Nachbehandlung von Hysterikern (Zitterkranken)“ schickte der westfälische Ausschuss dem Königlichen Sanitätsamt eine Auflistung der in den Bezirken bekannten Fälle. Borken, Buer, Münster, Recklinghausen, Steinfurt, Tecklenburg, Warendorf, Bielefeld, Halle, Herford, Höxter, Lübbecke, Minden, Bochum, Gelsenkirchen, Hagen, Hattingen, Hörde, Lippstadt und Witten meldeten insgesamt 214 potenzielle Patienten. Weitere Listen aus Ahaus, Beckum, Coesfeld, Lüdinghausen, Buer, Paderborn, Warburg, Wiedenbrück, Dortmund, Hagen, Hamm, Herne, Hörde, Iserlohn, Schwelm und Soest „stehen noch aus“, heißt es. Deutlich wird: es handelte sich um ein flächendeckend verbreitetes Phänomen mit hohen Fallzahlen. Das macht es im Rückblick umso verwunderlicher, dass die seelischen Kriegsbeschädigungen aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt wurden und über Jahrzehnte in Vergessenheit gerieten.
Der Badische Landesausschuss der Kriegsbeschädigtenfürsorge gab damals ein „Merkblatt für die Fürsorge für nervöse Kriegsteilnehmer“ heraus, das für ein besseres Verständnis der Erkrankungen warb. „Die Wirkung eines Armverlustes auf die Erwerbsfähigkeit ist zwar im allgemeinen leicht zu bewerten“, heißt es dort, „schwieriger ist der Einfluß einer innerlichen Erkrankung, z. B. eines Nierenleidens oder eines chronischen Lungenleidens abzuschätzen, am schwierigsten bleibt aber die richtige Beurteilung der rein seelisch bedingten Störungen, der nervösen Erschöpfungen und vor allen Dingen der sogenannten Kriegsneurose.“
Das Merkblatt erläutert: „Als Kriegsneurose bezeichnet man die seelisch bedingten Störungen, die zumeist auf eine einmalige schwere Gemütserschütterung, z. B. bei Verschüttungen, bei heftigen Beschießungen und dergleichen, im Felde entstehen. Sie kann sich in ungemein verschiedenartiger Weise äußern: als beiderseitige Ertaubung (sogenannte Labyrintherschütterung), beiderseitige Taubheit und Stummheit, Stummheit und sonstige Sprachstörungen (Stottern, Stammeln), Stimmstörung, Zittern und Schütteln einzelner Glieder, des Kopfes und des ganzen Körpers, als sogenannte Tics, Krampfanfälle, Versteifungen und Lähmungen einzelner oder mehrerer Glieder (z. B. Arm- und Handlähmungen, Lähmungen beider Beine), als eigenartige Gehstörung (Tänzeln und Stechschritt) und anderes.“
Neben der medizinischen Fachdebatte, die von Militärärzten und Psychologen auf Tagungen und in Fachpublikationen der Zeit geführt wurde und teils ebenfalls in den Archiven auffindbar ist, entspann sich aus den neu auftretenden Kriegsfolgen eine gesellschaftliche Diskussion, die sich in den Akten der Fürsorgestellen widerspiegelt. Aufschlussreich sind insbesondere Schriftverkehre, aus denen sich Rückschlüsse auf das herrschende Klima ziehen lassen. So lehnen Kranke aus der Provinz Westfalen, die zur Nachbehandlung gemeldet werden, die „fünf bis zehntägige“ Therapie vielfach mit der Begründung ab, dass sie den Verlust ihres Arbeitsplatzes fürchten, dass sie keinen Urlaub bekommen oder dass sie nicht mehr an einen Behandlungserfolg glauben.
Aus Handlungsempfehlungen an die Ausschüsse geht ferner hervor, welchen Anfeindungen die Erkrankten ausgesetzt waren: „Während unangebrachter Bemitleidung und Verweichlichung nachdrücklich entgegenzuarbeiten ist, haben die Kriegsfürsorgestellen ihre Schutzbefohlenen auch zu betreuen gegen übelwollende Nachbarn und falsche Freunde, die versteckt oder offen den Kranken als Simulanten verdächtigen und dadurch verschlimmernd und verbitternd wirken.“
Zugleich wird eingefordert, dem Sanitätsamt Meldung zu machen, wenn „ein entlassener Kriegsneurotiker in seiner Umgebung oder gar bei anderen Heeresangehörigen durch Wort und Beispiel ansteckend wirkt. Ist doch schon beobachtet worden, das aus Ortschaften, in denen ein viel angestaunter und bemitleideter Zitterer bequem lebt, aus dem Feld beurlaubte Kameraden hinterher ebenfalls an dieser Neurose erkrankten.“
Das lange vorherrschende Ziel einer Wiederverwendung für den Militärdienst verlagert sich zunehmend auf die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit. Für den Frontdienst kämen Kriegsneurotiker „überhaupt nicht und auch kaum für den Garnisonsdienst in Betracht (…), da der Armee mit solchen Nervenschwächlingen nicht gedient ist“. Daher sei der „sicherste Schutz vor abermaliger Bekanntschaft mit den Fährlichkeiten des Krieges (…) für jeden entlassenen Kriegsneurotiker die Wiederaufnahme einer regelmäßigen, möglichst der früheren Arbeit“. So lasse sich „manche schon ausgeschaltete, wertvolle Arbeitskraft dem Heimatdienst nutzbringend wieder zuführen und – was garnicht genügend hochzuschätzen ist – die Heranzüchtung von lebenslänglichen, willensschwachen Kriegsrentenempfängern verhüten“.
Die Ansprüche gegenüber dem Staat, in dessen Dienst die Soldaten erkrankten, waren damals – wie heute – ein zermürbendes Thema. Noch im Dezember 1949 wird im Hospital zum Heiligen Geist in Brilon im Auftrag der Landesversicherungsanstalt Soest ein Gutachten über den damals 53jährigen René von M. erstellt. Er war, wie daraus hervorgeht, mit zwölf Jahren ins Kadettenkorps eingetreten und 1914 als 18-Jähriger in den Krieg gezogen. Durch einen Querschläger erlitt er bald eine Verwundung am linken Fuß, er erkrankte an Ruhr, wurde in einem Bunker verschüttet, in seiner Nähe explodierte eine Gasgranate. „Krank im eigentlichen Sinne sei er nach dem 1. Weltkriege nicht gewesen“, schreibt der Gutachter über die Selbstwahrnehmung des Patienten und kommt in der Beurteilung zu der Feststellung: „Es soll hier nicht bestritten werden, dass die dem Frontdienst eigentümlichen Verhältnisse die allgemeine Körperentwicklung nicht gerade sehr gefördert haben. Dennoch besteht kein Zweifel darüber, dass die jetzt (30 Jahre nach dem 1. Weltkrieg) festzustellende Körper- und Nervenschwäche anlagemässig bedingt ist.“
Am 6. Juli 1933 geht beim Versorgungsamt Soest der Brief von Karl R. aus der Wasserstraße in Unna ein. Auch er strebt fast 15 Jahre nach Kriegsende eine staatliche Zuwendung an. Er habe, so lässt er die Behörde wissen, „bei dem Herrn Reichswehrminister“ die „Erteilung eines Zivilversorgungsscheines beantragt“. Was dann folgt, lässt tief in die Gemütslage eines ehemaligen Frontsoldaten blicken, der sich – „seit 2 Jahren konfirmiert, – 16 Jahre alt, – fast noch ein Kind“ – freiwillig zum Kriegsdienst an der Westfront gemeldet hatte.
„Es ist mein Bestreben, kein Parasit, sondern ein nützliches Glied in der deutschen Wirtschaft zu sein“, schreibt Karl R.. Er beklagt, dass er keine Anstellung finde und fragt: „Soll ich nun an meiner Kriegsbegeisterung und meiner patriotischen Gesinnung zu Grunde gehen?“
Diese Begeisterung spricht auch lange nach Kriegsende noch aus den Zeilen, die Karl. R. über sich selbst in den Jahren 1914 bis 1918 verfasst. „Mannhaft erduldet er Strapazen, die für einen derartig jungen und zarten Körper fast unmöglich sind. Die Jahre vergehen. Der Kampf geht weiter. Immer mörderischer wird das Ringen. Oft erkrankt und verwundet, kämpft nach seiner Wiedergenesung immer wieder bei Nieuport, Ypern, Arras, Bapaume und Albert jener junge Seesoldat (…). Er wurde Gefreiter und erhielt das Eiserne Kreuz. Dieses Kind war in dem Granatfeuer des Weltkrieges zum Jüngling herangewachsen. Seine Lebensschule bestand aus splitterndem und berstendem Eisen und Stahl. Bei allen Kampfoperationen, bei Patrouillen und Gewalterkundungen war er immer der erste Freiwillige.“
So heldenhaft er seine Kriegserlebnisse schildert, so verzweifelt stellt er den weiteren Verlauf seines Lebens dar. Alle Versuche, im zivilen Dasein Fuß zu fassen, scheitern. Seine junge Ehefrau stirbt. Er bleibt mit dem sechsjährigen Sohn allein zurück. „Zerschmettert die Zukunftsträume und der Optimismus, gelähmt die Energie und Willenskraft, vernichtet der Unternehmungsgeist. Fürsorgeempfänger ist er geworden. Er, der stets bestrebt war, eine starke Triebfeder der deutschen Wirtschaft zu sein, er darf heute noch nicht mal ein getriebenes Rädchen in derselben sein.“
Karl R. fleht um Gerechtigkeit, „damit er nicht mehr mit betonter Ironie, sondern wieder gläubig und vertrauensvoll die Worte sagen kann: Des Vaterlandes Dank ist Euch gewiss!“ Die Worte schlagen eine Brücke in die heutige Zeit, in der sich zum Beispiel der Verein „Combat Veteran“ für eine „Anerkennungskultur“ für Veteranen stark macht.
Der Verein, in dem sich Bundeswehrsoldaten mit Einsatzerfahrung zusammenschließen, hat beispielsweise an dem neuen Traditionserlass der Bundeswehr kritisiert, dass „das klare Bekenntnis zu einem Status als Veteran“ fehlt. „Dies ist aber elementarer Bestandteil jedweder Streitkräftetradition“, argumentieren die Soldaten. „Gerade die Veteranen haben den Beweis erbracht, dass sie bereit gewesen sind, den geleisteten soldatischen Eid auf der Grundlage von Recht und Gewissen auch unter Inkaufnahme von Gefahren, Härten und Entbehrungen in die Tat umzusetzen. Einige von uns haben dies mit Wunden an Körper und Seele oder gar dem Leben bezahlen müssen.“ Der Verein fordert einen eigenen Veteranentag, „damit die Bundesrepublik Deutschland auch derer gedenkt, die für diesen heutigen Staat persönlich eingestanden sind, bis hin zum letzten Schritt“.