Es mag Zufall gewesen sein. So viele Literaturpreise, so viele Reden bei den Events, so viel literarische Selbstverliebtheit. Vielleicht ein Grund, dass die Danksagung von Juli Zeh bei der Verleihung des mit 30 000 Euro dotierten Heinrich-Böll-Preises der Stadt Köln medial so echolos blieb. Ein Freitagabend (8. November) im Kölner Rathaus. Ein gesellschaftliches Ereignis. Mehr nicht?
Weghören der Eliten
Es mag Zufall gewesen sein. Vielleicht aber auch ein peinlich berührtes Weghören der Eliten in Medien, Wissenschaft, Kultur, denen die Schriftstellerin vorwarf, „steindumme Floskeln“ der Politikverachtung zu beklatschen und zu feiern. In Feuilletons und Talkshows sei in den letzten Jahren „immer feste druff“ geschlagen worden „auf die Politik und das System“, und Politiker seien dabei „immer unverfrorener als minderwertiger Menschenschlag geschildert“ worden.
Juli Zeh (45), promovierte Völkerrechterin, ehrenamtliche Verfassungsrichterin in Brandenburg, Erfolgsautorin – unter anderem mit dem Bestseller „Unterleuten“, der mehr als 160 000 mal verkauft wurde – zeigt in ihrer Rede eine Entwicklung auf, in der der Weg zur Politikverachtung unheilvoll seinen Ausgang zum Ende des letzten Jahrhunderts nahm; es war nun cool, sich für Politik nicht mehr zu interessieren. Ein Weg, in dem politisch engagierte Schriftsteller wie Heinrich Böll nur noch milde als „alte weiße Männer“ belächelt wurden, Bölls „Ideal des aufgeklärten, verantwortungsbewussten Citoyens“ nichts mehr galt.
Politik lächerlich machen
Nach der Coolness gegenüber der Politik kam laut Zeh die Lust, den Politikbetrieb ins Lächerliche zu ziehen – und in Stufe Drei die Selbstverständlichkeit, den Politiker zum Feind zu brandmarken, dem man am öffentlichen Sprechen hindern muss. Die universitären Sprechverbote für den AFD-Gründer und dort längst ausgestiegenen Bernd Lucke, den Ex-Bundesinnenminister Thomas de Maiziere oder den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner als Beispiele.
„Und auf Stufe Dreieinhalb“, so Zeh, „erträgt man dann überhaupt keine vom eigenen Weltbild abweichenden Meinungsäußerungen mehr. Auch nicht, wenn sie von Nicht-Politikern stammen. Dann bedeutet die Politisierung des Privaten plötzlich, dass sich Freundeskreise trennen, dass sich langjährige, gute kollegiale Beziehungen auflösen, weil der eine etwas über Flüchtlinge oder übers Klima gesagt hat, was der andere nicht erträgt. Auf Stufe dreieinhalb gibt es also eigentlich gar keinen Unterschied mehr zwischen Politikern und Nicht-Politikern. Es gibt vor allem noch Leute, die Dinge sagen, die mir nicht gefallen. Und die man gegebenenfalls daran hindern muss.“
Verbale Angriffe
Eine Gesellschaft, in der der eine den anderen nur noch ertragen kann, wenn er exakt so ist und denkt, wie man selbst. Das züchte die Gefahr, in der „verbale oder körperliche Angriffe auf Politiker“ an der Tagesordnung seien. „Geben wir uns nicht der bequemen Annahme hin, es handele sich jeweils um Einzelfälle, um Exzesse von hasskranken, im Internet radikalisierten Spinnern“, warnt Zeh und schlussfolgert:
„Wir tragen alle Mitschuld… Es ist höchste Zeit, den demokratischen Selbsthass zu beenden und zu einem respektvollen Umgang mit unserem System, mit uns selbst und miteinander zurückzukehren.“
Die Autorin ist sich sicher: „Eine Zeitlang mag die Demokratie unsere Verachtung noch verkraften – sie brummt weiter mit dem Schwung, den sie in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhundert aufnehmen konnte. Aber ewig wird das nicht so weitergehen. Demokratie braucht Demokraten, sonst stirbt sie von innen“.
Und die Gefahr dieses Sterbens sieht Juli Zeh nicht als Phänomen der politischen und gesellschaftlichen Ränder, sondern befürchtet, „dass die Demokratie von ihren besten Kindern gefressen wird. Nicht von den Rändern her, sondern aus der Mitte.“
Eine wuchtige Rede, eine Aufforderung an alle, sich der Entwicklung entgegen zu stemmen. Eine Rede, die der Tradition Heinrich Bölls, der Demokratie immer als Bühne des Streitens und Zusammenführens empfand, gerecht wurde.
Vielleicht war es tatsächlich Zufall, dass diese Rede in den Medien so echolos blieb. Nur an Zufälle mag man in der Inszenierung zynischer Politikverachtung eben jener Mitte der Gesellschaft kaum noch ohne Zweifel glauben.
Im Übrigen: Große Teile der Rede finden sich zum Glück bei zeit.de.
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