In Deutschland gibt es seit Jahrzehnten zu wenig Spenderorgane. Um dem entgegenzuwirken, setzt die Politik erneut auf die sogenannte Widerspruchslösung: Organspender sind demnach alle, die – vereinfacht gesagt – nicht aktiv widersprechen. Damit soll die Zahl der Organspenden steigen und zugleich die Wartezeit auf ein Spenderorgan verkürzt werden. Zuletzt wurde im Dezember 2024 hitzig über die Einführung dieser Widerspruchslösung im Bundestag diskutiert.
Dazu muss man sagen: Aus Sicht von Menschen, die dringend ein Spenderorgan benötigen, ist die Einführung der Widerspruchslösung fraglos begrüßenswert. Ob sie aber eine sinnvolle Lösung für alle ist, darüber kann man trefflich streiten – und tut es auch. Der Streit berührt ethische, moralische, religiöse, philosophische, aber auch rechtliche Fragen. Wobei eine Frage – disziplinübergreifend – möglichst klar und unabhängig davon beantwortet werden sollte, wie man zur Organspende steht. Denn sie ist die zentrale Vorbedingung: Es geht um die Frage nach dem menschlichen Todeszeitpunkt.
Nur von Verstorbenen dürfen bestimmte Organe entnommen werden. Eine Voraussetzung für diese postmortale Organspende ist die Feststellung des menschlichen Todes. Das ist in den meisten Fällen unproblematisch. Es gibt jedoch immer wieder Grenzfälle und damit die Frage, wann genau der Mensch eigentlich tot ist. Die Antwort findet man – und das ist bemerkenswert – so nicht im Gesetz. Schon gar nicht im Strafgesetzbuch, obwohl es dort um den Tod eines Menschen geht und obwohl dort das menschliche Leben durch Strafnormen – etwa Mord oder Totschlag – besonders geschützt wird. All diesen dem Lebensschutz dienenden Strafnormen ist jedoch gemein, dass sie den Tod eines Menschen lediglich voraussetzen, um daran Strafbarkeiten zu knüpfen. Dort ist jedoch nicht geregelt, wann der Mensch als tot gilt.
Aufschlussreicher ist der Blick ins Transplantationsgesetz. In Abschnitt 2 geht es um die „Entnahme von Organen und Geweben bei toten Spendern“. Laut Paragraf 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 ist die Entnahme von Organen oder Geweben nur zulässig, „wenn der Tod des Organ- oder Gewebespenders nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist.“ Erneut fehlt jedoch eine Todesdefinition. Auch hier wird nur die praktische Todesfeststellung vorausgesetzt. In Absatz 2 Nummer 2 heißt es ergänzend, dass die Entnahme von Organen oder Geweben unzulässig ist, „wenn nicht vor der Entnahme bei dem Organ- oder Gewebespender der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist“. Das klingt kryptisch, doch gemeinsam mit Absatz 1 ergibt diese Aufzählung Sinn: Für die postmortale Organspende muss der Mensch tot sein (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2) und mindestens der Hirntod muss eingetreten sein (Absatz 2 Nummer 2). Damit ist festgelegt, dass der Hirntod ausreicht, damit ein Mensch als tot gilt. Das bedeutet: Der Hirntod markiert den Tod des Menschen. Bislang jedenfalls. Im Oktober 2024 unternahm die FDP im Bundestag den erneuten Vorstoß, die Todesdefinition auszuweiten, sodass auch der Herz-Kreislauf-Stillstand Grundlage für eine postmortale Organspende sein soll.
Aktuell ist Ruhe eingekehrt. Die Ausweitung der Todesdefinition wird nicht mehr gefordert. Und das ist gut so. Denn statt auf eine Ausweitung, die womöglich zusätzlich für Verunsicherung in der Bevölkerung sorgt, sollte der gesetzgeberische Fokus lieber auf eine klare Todesdefinition gerichtet werden. Richtig ist, dass der Gesetzgeber letztverbindlich festlegt, wann ein Mensch als tot gilt. Es ist jedoch kritisch zu betrachten, dass diese Festlegung bislang nur implizit (und nicht ausdrücklich) im Transplantationsgesetz geschieht. Denn es handelt sich um ein zentrales Ereignis für uns Menschen, das quasi nebenbei und für juristische Laien kaum verständlich abgehandelt wird. Im Gegensatz dazu sind Begriffe wie „Organe“ oder „Gewebeeinrichtung“ in Paragraf 1a des Transplantationsgesetzes – und damit an prominenter Stelle – genau definiert. Das passt nicht recht zusammen. Vor allem aber sollte der Gesetzgeber für die Praxis mehr Klarheit schaffen, nicht nur für das medizinische Personal. Eine echte Legaldefinition und somit eine ausdrückliche Grenzziehung zwischen Leben und Tod könnte auch helfen, Bedenken der Bevölkerung im Zusammenhang mit Organspenden allgemein zu verringern – insbesondere bei potenziellen Spenderinnen und Spendern sowie bei deren Angehörigen. Mein Wunsch an den neuen Gesetzgeber lautet daher, den menschlichen Todeszeitpunkt endlich ausdrücklich im Gesetz zu definieren und damit für die Organspende eine bessere und praxistauglichere Grundlage zu schaffen.
(Zweitveröffentlichung)
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