Mitten in der Tragödie des II. Weltkrieges hatte unsere Gesellschaft noch den bitteren Humor, Adolf Hitler als „Gröfaz“, als „größten Feldherr aller Zeiten“ zu bezeichnen. Wieweit darf unsere Toleranz mit Jens Spahn gehen? Er ist zwar kein Militarist, zu unserem Glück nicht mal ein Befehlshaber – aber seine Art als politischer Versager berührt neuerdings unmittelbar unser militärisches und generell gesellschaftliches Überleben.
Wie kann es gelingen, Jens Spahn und zugleich die Bevölkerung wirksam auf akute Risiken durch Jens Spahn hinzuweisen? Vielleicht so: Ich nenne ihn einen
Kandidaten für den Grövaz, den „größten Versager aller Zeiten“.
Davor gilt es ihn (und uns) zu bewahren! Ein Versagen wie bei der Beschaffung von Masken kann unser Staat verkraften. Aber seine Forderung (Welt am Sonntag, vom 29. Juni) zu einem „unmittelbaren Zugriff Deutschlands auf Atomwaffen“ ist für unsere Gesellschaft existenziell bedrohlich.
Indem Regierungssprecher Stefan Kornelius sofort klarstellte: „Deutschland stehe nicht davor, über Nuklearwaffen zu verfügen“, ging er von Fakten aus, die für Experten der Rüstungskontrolle selbstverständlich sind.
Beispiel Frankreich: Dessen Gefechtsfeldwaffen waren von Anfang an so konzipiert, dass sie heranrollende russische Panzer in Baden-Württemberg bekämpfen. Sobald jedoch französischer Boden einbezogen würde, entstünde für Frankreich eine politisch neue Situation, selbstverständlich nach wie vor ohne jegliche Mitbestimmung von außen. Ein französisches Atom-U-Boot mit strategischen Waffen zur gezielten Vernichtung von Städten in Russland wurde nur für den Fall existenzieller Bedrohung von Frankreich gebaut. Wie Spahn will Macron im europäischen Rahmen als politisch bedeutungsvoll erscheinen. Mehr nicht. Aber Putin ist ein „Spahn und Macron Versteher“.
Beispiel Atomwaffen der USA in Deutschland: Diese erlauben den Amerikanern Abstufungen beim Einsatz, welche einen Gegenschlag aus Russland zunächst auf Ziele weit außerhalb der USA ablenken und begrenzen: Abstufung heißt für uns nicht politische Teilhabe – militärtechnisch wäre so etwas wie eine „einstimmige“ europäische „Mitbestimmung“ gar nicht machbar – und es wäre reine Selbstabschreckung. Die NATO ist militärisch jederzeit unmittelbar reaktionsfähig.
In einem aber, das hat vor allem Egon Bahr betont, sind alle früheren Alliierten Mächte zu jederzeit (!) einig: eine deutsche Atomwaffe darf es niemals geben! Und nirgends sonst, meine ich, wären sich ebenso die 27 Länder der EU sofort einig: Keine reale (mehr als symbolische) Teilhabe von Deutschland an Atomwaffen! Und solange die deutsche Demokratie nicht lebensmüde wird, gilt das uneingeschränkt mit für unser Land. Jens Spahn mag als Berater für den Iran taugen – hier müssen wir ihn weit entfernt halten von jeglicher Einflussnahme auf Entscheidungen.
Im Block der Republik schrieb am 25. Juni 2025 Jochen Luhmann (Titel: Optionen zum Umgang mit dem 3,5%-Ergebnis des NATO-Gipfels beim SPD-Parteitag):
„Den Planungen liegt ein sehr spezielles Kriegsbild zugrunde, welches die USA vor gut zehn Jahren begannen, in die NATO einzuführen. Zu besichtigen ist es gerade in dem, was Israel im Iran erreicht hat: Völlige Luftüberlegenheit durch vorlaufende Ausschaltung der gegnerischen Luftabwehr mittels weitreichender Präzisionswaffen. Diese Überlegenheit zu erreichen, um den Stellungskrieg, den wir in der Ukraine erleben, zu vermeiden, ist deren Sinn. Zu illustrieren ist dies auch durch das Vorgehen in der Operation Desert Storm gegen den Irak im Jahr 1991. Dementsprechend soll es gelingen in einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Russland in Europa. So sollen gegebenenfalls die Flugzeuge der NATO über Moskau und St. Petersburg kreisen können.“
Solch ein Szenario, ähnlich wie eine deutsche Atomwaffe, beides würden einen Atomschlag von Russland genau gegen Deutschland provozieren, wie nichts sonst. Entscheidend für jegliche Hoffnung auf Begrenzung u/o Vermeidung von Atomschlägen ist die politische Kontrolle jeglicher Eskalation. Heute ist die frühere gemeinsame Rüstungskontrolle Ost/West so weit entfernt, wie nie zuvor. Die Betrachtung ihrer Struktur eignet sich jedoch nach wie vor zur Beurteilung der deutschen Optionen.
Damals war ich in einem Team welches sich der Aufklärung dieser Struktur widmete. Es war kontrovers und wir zwangen uns schließlich bewusst dazu, die Resultate als pragmatische Anhaltspunkte auf der Rückseite eines Taschenbuches, knapp und klar, zu formulieren. Diese haben seitdem die breite Rüstungs-Entwicklung geradezu bis heute charakterisiert, deshalb notiere ich sie hier ungekürzt[1]:
Auf der Rückseite:
„THESEN
- Die Bundesrepublik ist mit konventionellen Waffen nicht zu verteidigen.
- Der Einsatz nuklearer Waffen in der Absicht der Verteidigung der Bundesrepublik würde zur nuklearen Selbstvernichtung führen.
- Für die Bundesrepublik gibt es nur eine in sich widerspruchsvolle Abschreckung (Abschreckung durch für beide Seiten unkalkulierbares Risiko).
- Zwischen den Supermächten gibt es heute eine in ihrer militärischen Logik widerspruchsfreie Abschreckungsstrategie.
- Die Abschreckung zwischen den Supermächten führt (aber) zum Wettrüsten.
- Das Wettrüsten führt zur Erhöhung des Kriegsrisikos.
- Der Versuch, durch Rüsten das Abschreckungsgleichgewicht zu erhalten, lähmt die Supermächte politisch und militärisch.
KONSEQUENZEN
- Gerade die Fragwürdigkeit des Abschreckungssystems eröffnet der Bundesrepublik einen Spielraum, rüstungspolitische Entscheidungen als Mittel der Außenpolitik einzusetzen.
- Bei der Beurteilung jeder Politik hat heute der Beitrag zur Schaffung eines politisch gesicherten Weltfriedens die erste Priorität.“
[1] Afheldt, H.; Potyka, Ch.; Reich, U.-P.; Sonntag, Ph.; Weizsäcker, CF.v.: Durch Kriegsverhütung zum Krieg? Die politischen Aussagen der Weizsäcker – Studie ‘Kriegsfolgen und Kriegsverhütung‘. München: Hanser 1972. 178 S.