„Ich erwachte im Morgengrauen des 8. April durch den Krach von schwerem Gewehrfeuer auf. Der Mob war wieder auf der Straße, Schüsse wurden aus der ganzen Stadt gemeldet. Teile der Regierungstruppen und der Gendarmerie hatten sich am Vortag dem Wüten der Präsidentengarde und der Interahamwe angeschlossen. Alle UN – Standorte beherbergten Tausende angsterfüllter Ruander,“ erinnert sich der Kommandeur der UN – Truppe in Ruanda, Oberst Romeo Dallaire Jahre später in seinem Buch „HANDSCHLAG MIT DEM TEUFEL- Die Mitschuld der Weltgemeinschaft am Völkermord in Ruanda (Zweitausendeins, 2003, ISBN 978-3-86150-906-6).
„Die ersten Fernsehbilder vom Massenmord waren so ungeheuerlich, daß die Außenwelt von einer Verirrung der Natur sprach. Aber dieses Menschheitsverbrechen war nicht das Werk steinzeitlicher Chaosmächte, sondern einer modernen, gebildeten Elite, die sich aller Instrumente eines hochorganisierten Staatswesens bediente: des Militärs, der Polizei und der Milizen, des Verwaltungsapparates, der Bildungseinrichtungen, des Gesundheitswesens und der Massenmedien. Die Täter waren keine Dämonen, sie waren Menschen, die sich entschieden hatten, Böses zu tun“, bilanziert Alison des Forges, die die erste große Untersuchung zum Völkermord geleitet hat. Und dies alles schreibt Bartolomäus Grill in seinem Buch „UM UNS DIE TOTEN“ – „Meine Begegnungen mit dem Sterben“ (Siedler, 2014, ISBN 978-3-8275-0029-8)
„Im Lager vier hinter dem Kinderlager ist ein entsetzlicher Gestank. Die ausgemergelten Menschen laufen den ganzen Tag umher, suchen nach Wasser und Lebensmitteln, meistens vergeblich. Im Lager ist die Cholera ausgebrochen. Unser Fahrer, ein Hutu, ist traurig, wütend, entsetzt. Seine Familie lebt in einem der entfernten Lager. Er schläft im Auto eines Freundes. Um das Lager Kathale herum werden die Bäume geschlagen. Das Lagerleben ist nicht zu beschreiben. Wer sind die Täter? Wer sind die Opfer? Es ist Regenzeit. Wo sollen die Toten hin? Den Menschen in der ruandisch-zairischen Grenzprovinz geht es von Tag zu Tag schlechter, es gibt kaum noch Wasser,“ notiere ich in meinem Tagebuch.
Das Kinderlager ist ein Alptraum
Das Kinderlager in Kathale ist ein Alptraum. Australische Krankenschwestern versuchen, zu helfen. Eine von Ihnen erzählt, „die Kleinen dahinten, die dort liegen, werden wahrscheinlich überleben“. Ausgemergelt, mit dünnhäutigen Gesichtern, starren Augen, abgemagerten, kleinen Körpern. „Die dort in der Mitte auf den grünen Planen werden es wohl nicht schaffen“. Hinten rechts liegen die kleinen Toten. Sie sollen gleich abtransportiert werden. Wohin. Ein Schulterzucken. Als wir aus dem Kinderlager zurückkommen, sind wir völlig fertig. Keiner von uns spricht. Keiner schaut einen an. Der nächste Tag beginnt mit früher Berichterstattung im Radio wie im Fernsehen. Ich merke, daß ich das Elend gar nicht richtig beschreiben kann. Mir fehlen die Worte. Mittags geht es mir ähnlich. Am Abend fällt es mir am allerschwersten. Ein Alptraum.
„In allen Phasen ist jene mörderische Besessenheit und kaltblütige Perfektion zu erkennen“, stellt Bartholomäus Grill fest, „die auch die Organisation des Holocaust angetrieben hat. … Wie kommt es, daß ein Arzt seine Patienten im Krankenbett umbringt? Daß Lehrer ihre Schüler zerstückeln? Daß Pfarrer ihre Gläubigen mit Benzin übergießen und anzünden? Daß Familienväter Embryos aus den Leibern von Schwangeren reißen? Was ging im Physikprofessor vor, der eine Mordliste seiner Kollegen erstellt hat? Wie konnten die latholischen Nonnen Getrude und Maria 5000 Tutsi des Klosters von Sovu verweisenund sie, wie vorher abgesprochen, in die Messer ihrer Mörder treiben?“
Oberst Romeo Dallaire hat diese Katastrophe verhindern wollen. „Gerüstet mit diesen Informationen rief ich in New York an und sprach mit Kofi Annan, Iqbal Riza und Maurice Baril. Mein Mandat war praktisch beendet. Ich brauchte Anweisungen, wie ich weiter verfahren sollte…. Ich berichtete dem Triumvirat von dem humanitären Desaster… In New York müßte das Ausmaß der Krise jetzt klar geworden sein“, meint Romeo Dallaire noch heute. Eine Illusion. Er darf nichts tun, nicht eingreifen und hat auch unterdessen die militärischen Kräfte nicht. Die Überlebenden dieses Massakers fliehen überwiegend nach Westen auf die zairische Grenze zu, in die Gegend von Goma. Und hier beginnt die zweite Katastrophe in einer einst wunderschönen Landschaft, die nun von verletzten, erschöpften verhungernden und verdurstenden Menschen ruiniert wird.
Bildquelle: Wikipedia, I, Inisheer, CC BY-SA 3.0
Zum 2. Teil des Berichts: EINE LANDSCHAFT DES GRAUENS – ÜBER DEN VÖLKERMORD IN RUANDA TEIL 2
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Anmerkung der Redaktion:
Vor 25 Jahren begann das schreckliche Morden in Ruanda, ein furchtbarer Krieg in Afrika, der auch ein internationaler Konflikt war.
Unser Autor Jörg Hafkemeyer hat als ARD – Korrespondent aus dieser Todeszone berichtet für die deutschen Radio- wie Fernsehsender. Hafkemeyer ist zudem Autor der 1995 ausgestrahlten ARD-Dokumentation „Im Palast des Leoparden“ über den Ruanda-Krieg mit einem Exklusivinterview mit General Mobutu. In dem zweiteiligen Text für den Blog-der-Republik erinnert Hafkemeyer an das Morden in dem zentralafrikanischen Land, an die Rolle des zairischen Diktators Mobutu, an die vergeblichen Bemühungen des kanadischen UN – Kommandeurs, Oberst Romeo Daillaire, an die vielen Toten und Flüchtlinge.
Unser Autor Jörg Hafkemeyer hat als ARD – Korrespondent aus dieser Todeszone berichtet für die deutschen Radio- wie Fernsehsender. Hafkemeyer ist zudem Autor der 1995 ausgestrahlten ARD-Dokumentation „Im Palast des Leoparden“ über den Ruanda-Krieg mit einem Exklusivinterview mit General Mobutu. In dem zweiteiligen Text für den Blog-der-Republik erinnert Hafkemeyer an das Morden in dem zentralafrikanischen Land, an die Rolle des zairischen Diktators Mobutu, an die vergeblichen Bemühungen des kanadischen UN – Kommandeurs, Oberst Romeo Daillaire, an die vielen Toten und Flüchtlinge.