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Home Politik

Urwahl? Warum denn nicht! Die SPD und die Geschichte ihrer Vorsitzenden

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
11. Februar 2018
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Die SPD sucht mal wieder einen Vorsitzenden(oder eine Vorsitzende). Und da sie immer auch gern Opposition ist, die die Welt verbessern will, die aber ebenso mit dem gelegentlichen Hang zum Untergang ausgestattet ist, geschieht das im Streit. Wie denn sonst bei der ältesten , deutschen Partei, die am 23. Mai diesen Jahres immerhin 155 Jahre alt wird. Mit Stolz blicken Sozialdemokraten auf die wechselvolle Geschichte ihrer Partei zurück, auf Zeiten, in denen sie verboten und ihre Mitglieder und Funktionäre verfolgt wurden, wegen ihrer politischen Überzeugung in Gefängnissen landeten oder umgebracht wurden. Aber diese SPD überlebte sowohl das Sozialistengesetz von Bismarck wie die Verfolgung durch Nazis und Kommunisten. Und wenn sie mal wieder Stürmen ausgesetzt war oder fast am Boden lag, auch nach dem Zweiten Weltkrieg, erinnerte sich einer wie Hans-Jochen Vogel, Vorsitzender der SPD in den 80er Jahren, an die wirklichen Bedrohungen für Sozialdemokraten in der Geschichte: „Ach wissen Sie, da haben unsere Vorfahren schon anderes er- und überlebt.“

Warum sollen die Vorsitzenden dieser Partei nicht durch Urwahl aller Mitglieder gewählt werden? Präsidium mag jemanden küren, geschäftsführend ernennen, ein Parteitag den-die- Kandidaten-tin- bestätigen, aber die Urwahl, das wäre doch die Basisdemokratie und würde einem Vorsitzenden mehr Respekt verleihen und alle Mitglieder daran beteiligen. Es wäre ihr Vorsitzender. Das neue Wir-Gefühl der SPD.

Blicken wir ein wenig in die Geschichte der Parteivorsitzenden, die ja immer auch eine Männer-Geschichte war. Wenn jemand zum SPD-Vorsitzenden gewählt worden war, war das für den neuen Chef dieser Partei eine große Ehre. Ich erinnere mich, als Gerhard Schröder, ein Mann, der aus kleinsten Verhältnissen kam und nicht unbedingt als rührselig gilt, als Kanzler das Erbe von Oskar Lafontaine antrat und SPD-Parteivorsitzender wurde. Schröder war richtiggehend gerührt und den Tränen nah. Oder Willy Brandt, der SPD-Chef war von 1964 bis 1987. Brandt war der erste SPD-Kanzler nach dem Krieg, ein Mann, den die Genossen liebten und verehrten. Dieser Willy Brandt erinnerte mehrfach auf Parteitagen an einen seiner berühmten Vorgänger, Otto Wels. Wels hatte im März 1933 das Nein aller 94 sozialdemokratischen Abgeordneten in der Berliner Kroll-Oper zum sogenannten Ermächtigungsgesetz(wörtlich: „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“) in einer denkwürdigen Rede begründet und mit den Worten beendet: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“. Mit dem Ermächtigungsgesetz, dem alle anderen Parteien-die Kommunisten waren schon gar nicht zugelassen-zustimmten, wurde die NS-Diktatur im Grunde installiert. Die SA-Schlägertruppen standen übrigens während der Debatte schon im Saal.

Willy Brandt, die Ikone der Partei

Willy Brandt war sicherlich die Ikone der Sozialdemokratie nach dem Krieg, der Kanzler der Ostverträge, überhaupt der Aussöhnung mit dem Osten, mit Polen, der UdSSR, Friedensnobelpreisträger, Berliner Regierender Bürgermeister, der Mann, der vor den Nazis nach Skandinavien geflohen war und den der politische Gegner deswegen kritisierte, der Mann, gegen den die Adenauer-CDU in den 60er Jahren eine üble Wahlkampf-Propaganda abzog und Flugblätter in Millionen Haushalte werfen ließ: Willy Brandt, alias Herbert Frahm. Ja, so hieß es eigentlich, das uneheliche Kind. Diese Anwürfe haben ihn getroffen, verletzt. Heinrich Böll hat Brandt gegen diese infamen Attacken in Schutz genommen. Später wurde ihm in der Bundesrepublik die Ehre zuteil, die ihm gebührte. Bundeskanzler Helmut Kohl zum Beispiel hat sich persönlich von Brandt, als der auf dem Sterbebett lag, verabschiedet.

Die Geschichte der SPD und die Liste ihrer Vorsitzenden ist lang. Sie beginnt mit Ferdinand Lassalle, der 1863 den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein gründete, und August Bebel, dem Mitbegründer der SDAP, einem Drechsler, sie reicht von Friedrich Ebert, dem Sattler und ersten Reichspräsidenten, den erwähnten Otto Wels, über Kurt Schumacher, den ersten SPD-Chef nach 1945, körperlich gezeichnet von den Folterungen durch die Nazis, über Erich Ollenhauer, Willy Brandt, Hans-Jochen Vogel, Björn Engholm, Johannes Rau, Rudolf Scharping, Oskar Lafontaine, der die SPD im Streit mit Schröder verließ und sich der heutigen Partei Die Linke anschloss, Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Matthias Platzeck, Kurt Beck, Sigmar Gabriel zu Martin Schulz. Anders ausgedrückt: Von 1946 bis 1987 hatte die SPD drei Vorsitzende, danach wechselte der Vorsitz immer schneller, wurden die Amtszeiten kürzer. Und weil eine Schwester von Martin Schulz sich gerade darüber ausgelassen hat über die Berliner Schlangengrube der SPD, die ihren Bruder Martin zu Fall gebracht habe, eine kurze Ergänzung zu Willy Brandt: Selbst der große Willy Brandt erlebte nach Jahrzehnten ein bitteres Ende als SPD-Chef: Weil er die parteilose Griechin Margarita Mathiopoulos zur Pressesprecherin der Parteizentrale machen wollte, erhob sich ein Proteststurm in der SPD und den Medien. Brandt verließ nach 23 Jahren die Brücke der Partei. Später trat Mathiopoulos in die FDP ein, war verheiratet mit dem CDU-Politiker Pflüger und wurde bundesweit noch einmal bekannt, als ihr nach Plagiatsvorwürfen der Doktortitel der Uni Bonn entzogen wurde.

Andrea Nahles- erste Frau an der Spritze der SPD

Mit Andrea Nahles könnte nun erstmals in der Geschichte der SPD eine Frau die älteste Partei in Deutschland führen. Dass der amtierende Chef den Stab nach Gutsherrenart an Frau Nahles weitergeben will, ist auf Kritik gestoßen. Jetzt soll Nahles vielleicht vom Präsidium der SPD, das in dieser Woche tagt, zum Parteichef ernannt werden. Auch dieses Verfahren ist nicht unumstritten. Nicht nur die Parteilinke fordert eine Urwahl des/der künftigen Vorsitzenden der SPD. Gerade in der jetzigen Zeit des Umbruchs und der Erneuerung wäre dies ein Weg, um der möglichen Chefin der Partei eine breitere Zustimmung zu geben. Der bisherige Lebenslauf von Andrea Nahles ist aufschlussreich: als Juso-Vorsitzende und spätere Anführerin der Parteilinken hatte sie eher gemäßigte Sozialdemokraten des öfteren auf die Palme gebracht. Als sie dann 2005 gegen den Willen des mächtigen und in der Partei populären Parteichefs Müntefering Geschäftsführerin wurde, brachte das den Sauerländer zur Überraschung vieler zu Fall und sorgte für Unruhe in der SPD. Sie erlangte mit ihrem ungestümen Ehrgeiz- so las ich es in der SZ am Samstag- den wenig schmückenden Beinamen einer Hexe oder Schlange. Wer Andrea Nahles näher kennt, weiß, dass sie mit solchen Attacken umzugehen weiß. Seit sie 2013 das in der SPD-Klientel sehr geschätzte Arbeitsministerium übernahm und dort Herzensthemen der Partei wie Rentenreform u.a. umsetzte, erfuhr die einst linke Wortführerin die Anerkennung der ganzen SPD. Und als sie beim Sonderparteitag der SPD vor wenigen Wochen in Bonn mit aller Leidenschaft und Entschlossenheit für die GroKo kämpfte-anders als der scheidende SPD-Chef Martin Schulz- wurde Andrea Nahles von den Delegierten gefeiert.

Ob Andrea Nahles, die in der Öffentlichkeit umstritten ist, aber zum Beispiel von ihren Kollegen im letzten Merkel-Kabinett-auch von den Unionsministern- sehr geschätzt wurde, weil sie sachlich beschlagen sei, kämpferisch, verlässlich, als SPD-Chefin am Ziel ihrer Karrierewünsche-oder soll man sagen Träume- ist? Jedenfalls dürfte der Kampf um die Wählerinnen und Wähler für die politische Konkurrenz unangenehmer werden. Die 47jährige alleinerziehende Mutter einer siebenjährigen Tochter, seit einigen Monaten Chefin der Bundestagsfraktion der SPD, praktizierende Katholikin aus der Eifel, Mitglied der Partei seit 30 Jahren, gab in ihrer Abiturzeitung einst als Berufswunsch an: „Hausfrau oder Bundeskanzlerin.“ Parteifreunde haben nur einen Wunsch: Sie möge künftig im Bundestag eine scharfe Klinge schlagen und stattdessen auf Singen oder das Bätschi verzichten.

Bildquelle: http://www.spd-leimen.de/Geschichte/tradition.html

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Tags: BasisdemokratieGeschichte der SPDinnerparteiliche DemokratieSPDSPD-ParteivorsitzendeUrwahl
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