Klimahysterie ist das Unwort des Jahres. Es hätte auch das Zeug zum Unwort der Jahrzehnte. Denn seit langem schon dient es dazu, den menschengemachten Klimawandel zu leugnen und die Anstrengungen im Kampf gegen die Klimakrise zu verunglimpfen. Mit der neuen Dynamik, die Greta Thunberg und die Bewegung Fridays For Future in die weltweite Diskussion getragen haben, erfuhr auch das Wort Klimahysterie einen Schub. Ein Schlagwort im schlechtesten Sinn, genutzt um jede Debatte im Keim zu ersticken und weiter zu ignorieren, was Wissenschaft seit Jahrzehnten an alarmierenden Erkenntnissen zusammengetragen hat.
Das ist schon für sich genommen skandalös, wenn Forschungsergebnisse über derart lange Zeit von Politik und Wirtschaft schlicht unbeachtet bleiben. Vordringliche Aufgabe der Wissenschaft ist es, der Gesellschaft zu dienen und die Welt besser zu machen. Nicht Selbstbeschäftigung in der akademischen Community, nicht Auftragsforschung für Wirtschaft und Militärs sind das Ideal, das die Freiheit der Wissenschaft begründet, sondern die Beiträge, die von den verschiedenen Disziplinen jeweils zu einem besseren Gelingen des Lebens auf diesem Planeten bereitgestellt werden. Darüber hinwegzugehen, untätig zu bleiben und notwendiges Handeln zu unterlassen, ist ein unverzeihliches Versagen.
„Es fehlt an entschlossener politischer Umsetzung“
„Hört auf die Wissenschaft!“, fordern nun auch vier große mathematisch-naturwissenschaftliche Fachgesellschaften. Sie bekräftigen, dass die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse ein entschlossenes Handeln und „energische Maßnahmen gegen den Klimawandel“ erfordern. In einer gemeinsamen Erklärung äußern Geowissenschaftler, Mathematiker, Chemiker und Biologen ihre Besorgnis über die zunehmende Erderwärmung. Sie appellieren nachdrücklich an Politik und Wirtschaft, die Fakten zu beachten und wirkungsvolle Maßnahmen zum Klimaschutz zu treffen.
2019 war weltweit das zweitwärmste Jahr, das seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gemessen wurde und bereits das fünfte Jahr einer Reihe außergewöhnlich warmer Jahre, heißt es in der Begründung. Extreme Wetterereignisse nehmen demnach in allen Regionen der Welt zu. Unter Expertinnen und Experten herrsche Konsens, dass die Erwärmung durch den Menschen verursacht wird. Das Klimapaket der Bundesregierung reiche nicht aus.
„Wir müssen zukünftig alle technischen Möglichkeiten, die sich bieten, um den Energiebedarf möglichst klimaneutral zu decken und den Klimawandel abzumildern, auch tatsächlich nutzen“, sagt Prof. Dr. Jan Behrmann, Präsident des Dachverbandes der Geowissenschaften. „Wir müssen die Energiewende viel energischer vorantreiben. Die technischen Möglichkeiten sind größtenteils vorhanden. Es fehlt an entschlossener politischer Umsetzung“, ergänzt Prof. Dr. Peter R. Schreiner, Präsident der Gesellschaft Deutscher Chemiker. Auch Tier- und Pflanzenwelt können sich den rasanten Klimaveränderungen nicht mehr anpassen, warnt Prof. Dr. Gerhard Haszprunar, Präsident des Verbandes Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland: „Der Klimawandel ist ein wesentlicher Treiber des massiven Biodiversitätsverlustes – also des Verschwindens von Genen, Arten und Habitaten, wodurch das gesamte System Erde geschwächt wird.“
Ozeane so heiß wie nie zuvor
Ob solche Appelle mehr bewirken als bisher, ist zweifelhaft. Die Forscher arbeiten und mahnen unverdrossen, ihre warnenden Worte schaffen es kurzzeitig in die Schlagzeilen und die Politiker gehen zur Tagesordnung über. Ein aktuelles Beispiel ist die Feststellung, dass das Wasser der Weltmeere 2019 so heiß war wie nie zuvor seit der globalen Datenaufzeichnung. Chinesische und US-amerikanische Forscher haben ihre Ergebnisse gemeinsam veröffentlicht und fordern eindringlich einen Stopp des Klimawandels. Wissenschaftler beobachten die Erwärmung der Ozeane seit Jahren, nun stellen sie eine zunehmende Geschwindigkeit fest, mit der sich die bedrohliche Entwicklung verschärft.
Die Meeresspiegel steigen. Inseln und Küstengebiete sind vom Untergang bedroht. Die immer schneller ansteigenden Ozeantemperaturen bedrohen nicht nur das Leben in den Meeren, sondern führen den Experten zufolge auch zu Wetterextremen wie Wirbelstürmen und heftigen Niederschlägen. Darüberhinaus seien sie einer der Hauptgründe dafür, dass es zu verheerenden Waldbränden wie in Kalifornien, im Amazonas-Gebiet und aktuell dramatisch in Australien komme. Überraschend seien ihre jüngsten Erkenntnisse nicht, sagen die Autoren der Studie selbst. Nur wann führen sie zu entsprechendem Handeln?
Zweifel an Europas Billionen-Deal
Die neue Kommission der Europäischen Union sagt: Wir haben verstanden. Bis 2050 soll Europa klimaneutral werden, hat Kommissionschefin Ursula von der Leyen angekündigt und damit für ihre Wahl im Europaparlament geworben. Nun stellt sie für das Vorhaben eine Billion Euro in Aussicht. In den nächsten zehn Jahren sollen je einhundert Milliarden Euro in den Green Deal fließen. Die Beträge klingen gewaltig, reichen aber nach Einschätzung von Experten nicht aus. Außerdem wird der Vorwurf des Etikettenschwindels laut. Vieles von dem, was von der Leyen in ihren ehrgeizigen Deal hineinrechne, sei längst geplant. Und völlig offen bleibe, woher das viele zusätzliche Geld überhaupt kommen solle.
Eine gute Frage, in einem neoliberal geprägten Wirtschaftsraum die entscheidende. Raus aus den fossilen Energien muss die Leitlinie auf dem Weg zur Klimaneutralität sein, raus aus der Kohle, dem Erdöl, dem Erdgas und zwar in allen Bereichen, der Wirtschaft, der Landwirtschaft, dem Verkehr und den Privathaushalten. Wie schwer das sein wird, demonstrieren derzeit nicht nur die Bauern mit ihren Treckerprotesten. Auch das Beispiel Siemens veranschaulicht die widerborstige Behäbigkeit der Konzerne, die sich zwar zum Klimaschutz bekennen, dem im Zweifel aber zuwider handeln. Profit first, lautet die Devise, die ebenso kurzsichtig wie verantwortungslos, in der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung aber kaum zu überwinden ist.
Das verstärkt die grundlegende Skepsis, ob unter den gegebenen Bedingungen des globalen Kapitalismus ein verantwortungsvolles nachhaltiges Wirtschaften und ein entsprechender Lebensstil möglich sind. Ziel derer, die eine Versöhnung von Wirtschaft, Konsum und Umwelt, also ein Ende der zerstörerischen Plünderung unseres Planeten für machbar halten, ist eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft. Was immer an Maßnahmen, Klimapaketen und grünen Deals auf den Weg gebracht wird, muss sich als Mindestanforderung daran orientieren. Anderenfalls entbehren sie jeder Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft.
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