Die Taz hat ein anerkanntes links-unabhängiges Profil mit vielen Texten, die Mensch anderswo nicht findet, auch viele mit Sachverstand geschriebene Beiträge. Umso mehr fällt ab, was Anja Krüger gestern kommentierend zum Wirecard-Skandal schrieb: „Mindestens so wichtig ist ein Plan, wie in Deutschland die Bilanzen von Großunternehmen denn effektiv kontrolliert werden können. Solange es den nicht gibt, deckt Scholz praktisch das Geschäft der Wirtschaftskriminellen.“
Mein erster Reflex war: Das ist bestellt – so wie man sich das für frühere Zeiten vorstellte: Strauß bestellt, der Bayern-Kurier bellt. Aber damit greife ich wohl daneben. Wirklich deprimierend ist die Krügersche Vorstellung darüber, was Wirtschaftsprüfung tut, was sie kann, was sie leistet, woran sie scheitern kann. Das hängt nicht von einem „Plan“ ab, der durchschlagend und wirkungsvoll sein soll.
In der Bundesrepublik werden Jahr für Jahr rund 40 000 Jahresabschlüsse von Unternehmen durch Wirtschaftsprüferinnen und –prüfer analysiert, bewertet und gegebenenfalls wird mit den Leitungen Tacheles geredet, und wenn nötig auch die Testierung verweigert. Wirtschaftsprüfer wird man nicht durch Selbsternennung wie die meisten Journalistinnen und Journalisten, sondern durch Studium und Berufsvorbereitung. eine ziemliche harte Prüfung und die folgende „öffentliche Bestellung“.
Das System funktioniert ja auch: Die KPMG, ein Unternehmen der Wirtschaftsprüfung hat am 28. April 2020 das Ergebnis einer Wirecard Sonderprüfung bekannt gemacht, wonach Umsatz- Angaben des geprüften Unternehmens nicht er- und geklärt werden konnten. KPMG wurde offenkundig daran gehindert, sich notwendige Kenntnisse zu verschaffen. Ein Jahresabschluss-Testet 2019 von Ernst& Young kam nicht zustande, weil das Unternehmen Nachweise über Vermögensbestände von 1,9 Milliarden Euro nicht erbringen konnte. Ende Juni 2020 gab das Unternehmen seine Insolvenz bekannt.
Unter Tausenden von Prüfern gibt es schwarze Schafe und auch Kumpaneien, die nicht sein dürften. Aber eine Krise der Wirtschaftsprüfung resultiert daraus nicht.
Bleibt die Frage, was eine Regierung tut und tun kann, um ein heimisches Unternehmen im Wettbewerb zu fördern. In manchen Meinungen schlägt durch, dass es unethisch sei, heimischen Unternehmen zur Seite zu stehen. Wer das ernsthaft meint, der sollte auch dafür eintreten das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie abzuschaffen – jedenfalls den ersten Teil. Es ist der Job von BMWE- Beschäftigten, dafür zu sorgen, dass Unternehmen aus der Bundesrepublik in anderen Ländern zum Zuge kommen, dass sie keine Nachteile haben, dass deren Eigentum geschützt ist, es rechtlich sichere Wirtschaftsbeziehungen gibt. In der Regel wissen die Bürokratien auch so gut Bescheid, dass sich ehemalige Verteidigungsminister nicht als politische Scharniere auf zu spielen brauchen.
Ist damit alles geklärt? Mitnichten. Man muss sich im Klaren darüber sein, dass die Stärkung der Kontrolle sozusagen „institutionelle“ Bremsen hat. Denkt man an das Bilanzkontrollgesetzt von 2004 zurück, da wird es nützlich, die interne Diskussion im Deutschen Bundestag wieder aufzurollen: Damals haben FDP und CDU/CSU kräftig mitgemischt, um ein zustimmungspflichtiges Gesetz zu verwässern.
Wer eine Herrschaft „der Wirtschaftskriminellen“ über Deutschland heraufziehen sieht, weil der Bundesfinanzminister keinen Plan habe, der sollte mal über die Grenzen gucken: Wir hier sind nicht alleine auf der Welt und die Länder um uns herum haben eigene Vorstellungen von Finanzkontrolle. Schließlich haben es die staatlichen Kontrolleure in Teilen wenigstens mit einer einfallsreichen Kriminalität zu tun, die ihre Energie in immer neue Machenschaften steckt. Frau Krüger, die erwähnte Redakteurin, bräuchte ja nur die eigenen Interviews zu lesen, um auf diese Einsicht zu kommen. Am Tag ihres schneidigen Kommentars hatte sie ein Interview mit einer Steuerberaterin im Blatt, die auf die Frage, ob sich Skandale wie der von Wirecard verhindern ließen, antwortete: „Verhindern kann man Bilanzbetrug nur, wenn die Gefahr der Aufdeckung groß ist.“ Manchmal sind die zwei Euro zwanzig für eine TAZ doch richtig gut angelegtes Geld. Oder?
Bildquelle: Wikipedia, Ordercrazy, CC0 1.0
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