Viele hatten der Vorsitzenden der CDU nur noch das Etikett des „Weiter so“ aufgeklebt, von Mehltau auf der Partei und politischem Stillstand geredet oder geschrieben. Nach dem wahrlich desaströsen Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl, bei der die CDU gerade noch 26 % der Wählerstimmen erringen konnte, fürchteten einige gar ein weiteres Abrutschen. Manche Konservative prophezeiten, dass die CDU das gleiche Schicksal wie die SPD erleiden könnte; sie wiesen auf den Nieder- und Untergang der konservativen Parteien in Frankreich und Italien hin. Die beabsichtigte Neuauflage der Großen Koalition wurde von einigen schon als „der Anfang vom Ende der Union“ beschworen. Vereinzelt wurden Rufe nach Friedrich Merz und Roland Koch laut, die in Interviews einige Hiebe in Richtung Angela Merkel austeilten. Ihr wurde vielfach vorgeworfen, sie wolle nur noch einmal Regierungschefin werden und die Partei diene ihr lediglich als Kanzlerin-Wahlverein.
Stumpfes Parteiprofil
Angela Merkel ist keine Frau der schnellen Aktionen. Manche politische Beschlüsse – von Energiewende über Flüchtlingspolitik bis hin zur Ehe für alle – hat sie zwar überraschend für Freund und Feind getroffen. Doch sonst betreibt sie bevorzugt eine „Politik der ruhigen Hand“. Nach der Spendenaffäre von Helmut Kohl hat sie so die CDU fast vor dem Untergang gerettet. Im Jahre 2002 überließ sie dem stürmischen Edmund Stoiber wohlüberlegt die Kanzlerkandidatur. Drei Jahre danach trat sie an und vertrieb Gerhard Schröder aus dem Kanzleramt mit einem ausreichenden Ergebnis, um seitdem als Regierungschefin zu regieren – einmal mit der FDP, zweimal in einer GroKo.
Da Koalitionen nie Liebesehen, sondern pure Zweckehen sind, bei denen viele Kompromisse nur mit vielen Zugeständnissen gefunden werden, nehmen die Profile der jeweiligen Parteien an Schärfe ab. Merkel wurde immer wieder aus den Reihen der CDU als „sozialdemokratisierte Unionskanzlerin“ attackiert. Vor allem die Konservativen – angeführt vom Berliner Kreis – und die Wirtschaftspolitiker beklagen den Verlust an klarer Ordnungspolitik, vermissen die hohe Linie von „law and order“ und nicht zuletzt das Absinken der Union im Bund von einst deutlich über 40 auf nunmehr gerade noch rund
30 %. Mit der neuen Generalsekretärin könnte ein Ruck durch die Partei gehen: Annegret Kramp-Karrenbauer hatte es 2017 in der Phase des Höhenflugs von Martin Schulz geschafft, ein gutes Wahlergebnis für die CDU im Saarland zu erreichen. Dagegen stürzte die SPD an der Saar ab und war letztlich froh, sich in eine Große Koalition zu flüchten. Mit dem Wahlerfolg von Kramp-Karrenbauer gab es guten Aufwind in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen: Daniel Günther und Armin Laschet, beide vor den Landtagswahlen nicht gerade in der Favoritenrolle, wurden Ministerpräsidenten. Für Angela Merkel war das mehr als ein gutes Abschneiden der CDU. Diese politischen Siege ermutigten sie zu einer weiteren Kandidatur.
Neues Grundsatzprogramm für die CDU
Zweifellos ist Angela Merkel jetzt mit der Wahl von AKK mehr als eine riesige Überraschung geglückt. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Republik, dass eine souveräne Ministerpräsidentin Generalsekretärin ihrer Partei wird. Manche hatten zuvor darauf spekuliert, dass die Spitzenfrau von der Saar ein Fachressort im Merkel-Kabinett übernehmen würde. In Zukunft wird sie sich jedoch der gesamten Bandbreite der Politik widmen und dabei das Profil der CDU wieder schärfen müssen. AKK wird vor allem ein neues Grundsatzprogramm entwerfen müssen, das bisherige stammt aus dem Jahr 2007. Armin Laschet, stellvertretender CDU-Vorsitzender, hat dafür bereits vorgegeben, „dass der Markenkern seiner Partei eben nicht das Konservative ist, sondern dass das christliche Menschenbild über allem steht“.
Die neue Generalsekretärin wird in enger Abstimmung mit Angela Merkel und vielen anderen CDU-Politikern die Grundwerte der Partei deutlich machen müssen, die als Basis für die politische Gestaltung unseres Landes weit bis in das nächste Jahrzehnt tragen sollen. Deshalb gilt es dabei, insbesondere die jüngere Generation anzusprechen, ohne die ältere zu vernachlässigen. Stichworte dürften die innere und äußere Sicherheit, die Zukunft Europas, das Bildungssystem, die Digitalisierung, die Sicherung der Sozialsysteme und die Fortschreibung der Sozialen Marktwirtschaft sowie die Teilhabe aller Menschen am Wohlstand und die Stärkung der Heimatregionen sein. Sicher ist schon jetzt, dass die CDU die Partei in der Mitte bleiben will und keineswegs den radikalen Kräften am rechten Rand Tribut zollen wird. Ohnehin wäre die AfD mit ihren dumpfen Parolen nicht zu übertreffen; die Wähler dieser Partei sind auf Dauer nur mit klaren politischen Überzeugungen und Entscheidungen zurückzugewinnen.
Nach dem gelungenen Coup mit Annegret Kramp-Karrenbauer könnte die Kanzlerin noch mit neuen Personen im Kabinett überraschen. Engagierte Politiker mit frischen Gesichtern bieten sich für die CDU-Ressorts an. Jens Spahn, Thomas Bareiß, Carsten Linnemann und einige andere aus der CDU könnten die Stimmung von Weiter so und Lethargie vertreiben und einen neuen Aufbruch signalisieren. Auch davon würde Angela Merkel profitieren, zumal sie mit er neuen Generalsekretärin ein deutliches Zeichen für ihre Nachfolge setzt.
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