„Mein letzter unmittelbarer Eindruck in Lübeck“, so hat es Willy Brandt in seiner Autobiographie „Links und frei“ aufgeschrieben, „war der „Judenboykott“ am 1.
April. Bald gesellten sich andere widerwärtige Bilder hinzu: wie die von den Bücherverbrennungen im Mai, an denen Professoren im Talar teilnahmen.“ Die Rede ist vom 10. Mai 1933, Brandt, den die Nazis längst ins Visier genommen hatten, war dabei, Deutschland zu verlassen, um im Ausland Schutz zu suchen. Und er beschreibt seine eigenen Gefühle angesichts der menschenverachtenden Nazi-Diktatur. „Man geriet mehr als einmal in Versuchung, sich seiner deutschen Herkunft zu schämen.“
85 Jahre ist es her, dass Bücher in 22 deutschen Universitätsstädten verbrannt wurden, darunter in Berlin ebenso wie in Bonn, Bremen, Breslau, Dresden, Göttingen, Greifswald, Hannover, Kiel, Königsberg, Marburg, Münster, Würzburg, Worms und München. In der bayerischen Metropole, zur Zeit der Nazis die Hauptstadt der Bewegung, fanden zwei Bücherverbrennungen statt, eine am 6. Mai durchgeführt durch die HJ und eine am 10. Mai durch die deutsche, längst braune Studentenschaft, begleitet vom Gejohle von 50000 Schaulustigen auf dem Königsplatz in München, dem Sitz der NS-Parteizentrale während der Nazi-Diktatur. Heute ziert dort ein weiß gehaltenes Gebäude den einst braunen Platz, das NS-Dokumentationszentrum, das sich seit einigen Jahren der Geschichte der Nazis gerade auch in München annimmt und sie beleuchtet. Dort wird, wie gerade bekanntgegeben worden ist, ein Mahnmal zur Bücherverbrennung installiert, das der US-amerikanische Künstler Arnold Dreyblatt entwerfern wird. Titel: Die Schwarze Liste.
Ja, auch die Männer in den Talaren waren Nazis. Einer der bekanntesten deutschen Professoren, Prof. Martin Heidegger, gerade neuer Rektor der Uni Freiburg geworden, feierte diese in Freiburg erst am 21. Juni von den Nazi-Studenten organisierte Verbrennung mit den Worten: „.,.Flamme künde uns, leuchte uns, zeige uns den Weg, von dem es kein Zurück mehr gibt!Flammen zündet, Herzen brennt!“ Heidegger trat der NSDAP am 1. Mai 1933 bei.
Unter dem Gejohle von 70000 Menschen
In Berlin nahm Propagandaminister Joseph Goebbels an der Verbrennung von Büchern teil. Ein Student verlas den Text dazu: „Ich übergebe alles Undeutsche dem Feuer“. Dann wurden die Bücher in die Flammen geworfen unter dem Gejohle der Studenten und des Publikums. Es waren Bücher von Heinrich Heine, Karl Marx, Kurt Tucholsky, Bert Brecht, Carl von Ossietzky, Sigmund Freud. Insgesamt waren 94 Autoren betroffen, einer von ihnen, Erich Kästner, beobachtete unerkannt unter den Gaffern das Flammentheater und hörte mit an, wie sein Name gerufen wurde, ehe das dazu gehörende Buch ins Feuer geworfen wurde. „Gegen Dekadenz und moralischen Zerfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Gläser und Erich Kästner .“70000 Menschen schauten in Berlin diesem elendigen Schauspiel zu. Auch französische Autoren wie Andre Gide gehörten zu den Verfemten, ebenso wie der amerikanische Schriftsteller Ernest Hemingway und sowjetische Geistesgrößen wie Leo Trotzki.
„Der Kampf gegen alles, was die Nationalsozialisten als undeutsch, dekadent und zersetzend empfanden, richtete sich gegeben Lebende und Tote“, urteilt der Historiker Heinrich August Winkler in seiner „Geschichte des Westens“ dazu. Dazu passte die Säuberung des Lehrkörpers, Studenten, die der KPD angehörten, mussten ihr Studium beenden. Missliebige Rektoren wurden durch andere ersetzt, siehe Martin Heidegger. Die Bücherverbrennung und Säuberung des Lehr- und Lernkörpers waren nicht alles, es folgten Kampagnen gegen alle Formen entarteter Kunst in der Musik ebenso wie der Malerei. Rundfunk, Film und Presse waren binnen kürzester Zeit „gesäubert“ und wurden gleichgeschaltet
Noch in diesem Jahr soll das Mahnmal errichtet werden. In einem Text der Presseabteilung des NS-Domentrationszentrums heißt es dazu: „Das kreisförmige Denkmal wird am mutmaßlichen Ort der nationalsozialistischen Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 entstehen, auf der zentralen Kiesfläche vor der Staatlichen Antikensammlung. Die in den Boden eingelassene, begehbare Scheibe aus glasfaserverstärktem Kunststoff hat einen Durchmesser von knapp acht Metern. Sie trägt eine Spirale aus 9600 Buchstaben: Bei dem Text handelt es sich um 359 Buchtitel von im nationalsozialistischen Deutschland geächteten Autorinnen und Autoren. Die Auswahl basiert auf der historischen „Schwarzen Liste“ des Berliner Bibliothekars Wolfgang Herrmann, die im Mai 1933 mehrfach veröffentlicht wurde und grundlegend bei der Auswahl der damals verbrannten Werke war.
Die Buchtitel der Spirale sind ohne Interpunktion aneinandergereiht, so entstehen assoziationsreiche Wortketten, die neue Bezüge und Bedeutungen herstellen: „DEUTSCHLANDS THEATER BISMARCK UND SEINE ZEIT EINER SAGT DIE WAHRHEIT DAS KUNSTSEIDENE MÄDCHEN … ÜBER FÜNF EHEN AUS DER ZEIT DAS KOMMUNISTISCHE MANIFEST BILDER DER GROSSSTADT DIE LESSING-LEGENDE ZUR GESCHICHTE UND KRITIK“. Dieser fortlaufende Text soll ein „poetisches Fenster“ in eine untergegangene Welt öffnen und zugleich auf deren aktive Zerstörung hinweisen. Die Spiralform nimmt Bezug auf den Verbrennungsakt, auf die Spirale aus Rauch und brennenden Seiten, wie sie in historischen Aufnahmen von Bücherverbrennungen zu sehen ist. Die Jury lobte an Dreyblatts Entwurf, dass die geistige und kulturelle Leistung der Autorinnen und Autoren im Mittelpunkt steht und nicht der Akt des Verbrennens und Vernichtens. Die Aussage des Kunstwerks sei mehrdimensional und wirke in die Gegenwart und Zukunft: Auf der einen Seite wird zu einer Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Ideologie angeregt, auf der anderen Seite zur Beschäftigung mit dem verfemten Kulturgut selbst.
Der 1953 in New York geborene Arnold Dreyblatt lebt und arbeitet seit 1984 in Berlin und hat sich als Komponist und Medienkünstler einen Namen gemacht. Viele seiner Installationen im öffentlichen Raum beschäftigen sich mit erinnerungskulturellen Themen, vielfach geht es um Prozesse des Erinnerns und Vergessens, des Sammelns und Archivierens. Hervorgehoben seien in diesem Zusammenhang Dreyblatts Arbeiten für die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück („Liberation“, „Calendarium“ und „Inmates I & II“, 2014/15), die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen („Das Dossier“, 2013), das Bundeslandwirtschaftsministerium („Inschriften“, 2010) und das Jüdische Museum Berlin („Unausgesprochen“, 2008).
Neben dem Bodendenkmal wird es eine erklärende Hinweistafel und eine Webseite mit Hintergrundinformationen zu den nationalsozialistischen Bücherverbrennungen geben.
Bildquelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-14597 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de