Am 21. Mai 2020 wird – auch wenn das Datum etwas willkürlich ist – der 75. Geburtstag von Pippi Langstrumpf gefeiert. In allen Medien wird dieses Datum prominent gewürdigt. „Sei Pippi, nicht Anika“ lautet das Motto. Sei stark, selbstbewusst, unangepasst und mach Dir die Welt, wie sie Dir gefällt. Pippi Langstrumpf ist eine Heldin. Was die Medien allerdings verschweigen ist, dass sich in den 75 Jahren die Welt für Mädchen wie Frauen weniger verändert hat als es möglich, als es nötig gewesen wäre. „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“ gilt sehr weitgehend nur für Männer. In der Wirtschaft nahezu wie vor 100 Jahren, in der Politik und an vielen Schaltstellen in der Gesellschaft.
Beispiel Wirtschaft: Der Frauenanteil in den Vorständen der DAX-Unternehmen betrug 2019 14,7%. Tendenz abnehmend!
Beispiel Löhne und Gehälter: Frauen haben in 2020 bis zum 17. März unentgeltlich gearbeitet, da Sie – gleichen Lohn für gleiche Arbeit vorausgesetzt – ein „Pay Day-Gap“ von 77 Tagen haben. Anders ausgedrückt: Männer bekommen für die gleiche Leistung 21% mehr Lohn!
Beispiel Politik: Im Bundestag stellen die Frauen 30,7% aller Abgeordneten. 1998, bei der ersten Bundestagswahl nach der geistig-moralischen Erneuerung der Gesellschaft in den 16 Jahren der Ära Kohl, betrug der Anteil 30,9%. Immerhin ist es gelungen über 22 Jahre hinweg, den Anteil gleich zu halten. Das war in den ersten 20 Jahren der jungen Bundesrepublik ähnlich. Allerdings bei eher im Durchschnitt nur wenig über 6% Frauenanteil. Spannender „Funfact“. In den bisherigen 19 Bundestagen war – von einer Ausnahme abgesehen – der Frauenanteil am Ende der Legislaturperiode immer höher als am Anfang. Frauen in der Politik: Immer eher Nachrücker und 2. Wahl! Als Direktkandidatinnen oder auf den vorderen Listenplätzen ist in unserer Demokratie für Frauen kein Platz – bisher.
Am 21. Mai 2020 jährt sich auch ein anderes wichtiges Datum: Das Ende der Weimarer Nationalversammlung. Sie schuf im Chaos nach dem politischen und militärischen Zusammenbruch des Ersten Weltkriegs eine moderne und zukunftsweisende Verfassung und ermöglichte durch weitere Gesetzesvorhaben den Übergang zur ersten deutschen parlamentarischen Demokratie. Die ist nicht an einer schlechten Verfassung gescheitert, sondern am Terror der Nazis und einer für die Demokratie unreifen „bürgerlichen“ Gesellschaft. Die Weimarer Nationalversammlung hatte aber immerhin eine Frauenanteil von fast 10%. Vor 100 Jahren! Ein Wert der die Bundesrepublik in Schamesröte versinken lassen sollte. Von 1945 bis heute hatten die deutschen Bundesländer 185 Ministerpräsidenten. Frauenanteil: 2,7 %. Rechnet man es auf die Regierungszeiten um, dann sinkt dieser Wert noch einmal erheblich. Ministerpräsidentinnen überleben im Amt deutlich kürzer als Männer.
„Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“ ist bislang leider eine trügerische Hoffnung. Frauenpower. Ja, die gibt es. Aber wenn die Schwelle des Kinderzimmers überschritten ist, weht leider der harte Wind des ungebrochenen Patriarchats. Eigentlich eine traurige Bilanz zum Geburtstag dieses starken Mädchens.
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