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Wer bedroht uns denn? 70 Jahre Nato

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
5. April 2019
Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO

Es ist wie oft bei Geburtstagsfeiern: Da kriegen sich die Mitglieder der Familie schon mal in die Haare. So ähnlich ist der Eindruck, den man von den Feierlichkeiten aus Anlass des 70. Geburtstages der Nato gewinnt. Man streitet über die Kosten des Bündnisses der Welt, Deutschland mache sich einen schlanken Fuß, so könnte man die Kritik von US-Präsident Trump beschreiben. Auf gut Deutsch: Wir zahlten zu wenig für so viel Sicherheit. Dass ausgerechnet Trump mit dem Finger auf Berlin zeigt, verwundert. Derselbe Trump, der die Nato schon mal für überflüssig bezeichnet hatte, dessen Diktum doch lautet: America first, America first, America first, und der dann Deutschland attackiert, weil es zu wenig zahle für eine Allianz, die er selber nicht schätzt. Oder sollen wir das als Geschwätz des mächtigsten Mannes der Welt abtun?

Die Geburtsstunde der westlichen Allianz beginnt im Grunde während des Zweiten Weltkrieges, als USA-Präsident Roosevelt entschied, sich Hitlers Vernichtungskrieg in den Weg zu stellen. Amerika war fortan auf der politischen Weltbühne und wurde zur Ordnungsmacht. Hatte man Nazi-Deutschland zur bedingungslosen Kapitulation gezwungen-wenngleich unter großen Opfern, allein die Sowjetunion beklagte 27 Millionen Tote durch den Krieg-wurde dieses Deutschland nach 1945 geteilt, der Westen eingebunden in jene Gemeinschaft, der man gern besondere Werte als Grundzüge ihres Handelns beimisst. Noch heute. Der Osten Deutschlands wurde jene DDR, die dem Warschauer Pakt angehörte. Plötzlich standen sich die einstigen Alliierten, die Hitler bezwungen hatten, als Feinde gegenüber. Hier die Nato und dort der Warschauer Pakt, auf der westlichen Seite schmückte man sich mit liberalen Werten und der Demokratie, die östliche war ein erzwungenes Bündnis, der Kommunismus ließ eine Demokratie nach westlichem Muster nicht zu, weder Presse- noch Meinungsfreiheit, keine Reisefreiheit, keine freien Wahlen. Wobei es im so genannten freien Westen ein paar nicht so freie Ausnahmen gab, Spanien, Portugal, Griechenland, die Türkei, dort herrschten lange Jahre Militärregimes, man denke an Franco, an Salazar, an die Junta in Griechenland. Und Erdogans heutige Türkei ist von unseren Vorstellungen einer Demokratie weiter entfernt denn je.

Das Feindbild passte, der Eiserne Vorhang, später die Mauer in Berlin lieferten dafür das treffliche Bild. Abschreckung der Sowjetunion, vor den Russen musste man sich hüten, sie standen ja am Alex in Berlin. Und wer rüber in den Westen fliehen wollte, ging ein hohes, oft tödliches Risiko ein, er wurde erschossen. Doch dann trat ein Sowjet-Politiker auf den Plan, den niemand auf der Rechnung hatte, auch nicht die SED in Ostberlin: KP-Generalsekretär Michail Gorbatschow, der mit seiner Politik der Perestroika(Umgestaltung) und Glasnost(Offenheit) für bahnbrechende Reformen eintrat. Er hob die Breschnew-Doktrin auf und sicherte den kommunistischen Staaten ihre Eigenständigkeit zu. 1989 betonte er in Deutschland, wo er begeistert empfangen wurde: Jeder Staat habe das Recht, „das eigene politische und soziale System frei zu wählen.“ Die Mauer fiel, das SED-Regime war am Ende, es folgte die deutsche Einheit, der Eiserne Vorhang landete auf dem Müllhaufen der Geschichte, der Warschauer Pakt wurde aufgelöst.

Westen wurde wortbrüchig

Der Kalte Krieg war beendet. Die Chancen, die sich damals boten, auch Russland enger an den Westen zu binden-Stichwort: europäisches Haus mit einem Zimmer für den Kreml- wurden auch und gerade vom Westen nicht genutzt. Ja, man wurde im Westen sogar wortbrüchig. In der Begeisterung über die offenen Grenzen und das Vertrauen zwischen den Regierenden in Washington, Moskau, Paris, London und Bonn versprachen westliche Politiker, die Nato werde sich um keinen Fußbreit nach Osten ausdehnen, werde also den Boden der einstigen Mitglieder des Warschauer Paktes nicht betreten. Leider war die Realität dann eine andere, reihenweise wurden sie aufgenommen in das westliche Bündnis, Polen, die baltischen Staaten, Tschechien, Ungarn. Und dann sollte sogar die Ukraine Mitglied der EU und der Nato werden, was eine Ausdehnung der Ostgrenze um 1000 Kilometer bedeutet hätte und: die Nato und Russland hätten eine gemeinsame Grenze gehabt. Putin fühlte sich bedrängt, vielleicht sogar bedroht, er ließ die Krim, die man der Ukraine in den 50er Jahren geschenkt hatte, besetzen, auch weil dort die Schwarzmeerflotte der Russen stationiert ist, deren Oberbefehlshaber in Moskau sitzt. Der Westen protestierte, verhängte Sanktionen gegen Moskau. Die Geschichte darf nicht vergessen werden, auch nicht bei Geburtstagsfeiern, weil sie ursächlich ist für das heutige Verhältnis zwischen der Nato und Russland, statt Vertrauen wie 1989/90 gibt es wieder ein Bedrohungsszenario.

Zu Zeiten des geteilten Deutschlands war die Nato die Sicherheitsgarantie für das freie Westberlin, ja für die Bundesrepublik, die sich, militärisch abgesichert, ökonomisch zur Wirtschaftsmacht Nummer 1 auf dem europäischen Markt entwickeln konnte. Dasselbe Deutschland, zu dessen Kontrolle die Nato einst gegründet wurde. Das von Freunden umzingelte Deutschland sollte niemandem mehr gefährlich werden, dieses Ziel gehörte zur Gründungs-Philosophie der westlichen Allianz.

Die Kritik an Deutschland wird an einem, wie ich finde, ziemlich albernen Punkt festgemacht: Deutschland leiste nicht den geforderten Zwei-Prozent-Beitrag für das Bündnis, Zwei Prozent vom Bruttosozialprodukt soll der Verteidigungsetat ausmachen. Tatsächlich beträgt er „nur“ 1,3 Prozent. In Euro sieht das schon anders aus: der deutsche Wehretat macht 43,2 Milliarden Euro aus. Zum Vergleich: So viel geben Italien, Spanien und Polen zusammen für ihre Verteidigung aus. Eine Regierung, die die Zwei-Prozent-Marke erfüllen würde, müsste den Verteidigungs-Haushalt auf mehr als 80 Milliarden aufstocken, besser aufblähen. Sie wäre wohl nicht lange im Amt.

Folgen der US-Einmischung

Die Deutschen als eine Art Drückeberger zu bezeichnen, wirkt lächerlich. Deutsche Soldaten sind an vielen Fronten aktiv. Pauschal die Kosten für die Verteidigung zu erhöhen, macht keinen Sinn. Man müsste mal die Frage stellen: Wofür soll das viele Geld dienen? Welche politische Strategie verfolgen wir damit? Weltpolizist? Bewahre! Schon heute sind manche Flüchtlingsströme aus dem Nahen und Mittleren Osten die Folge der amerikanischen Einmischung. Da wäre der Irak zu nennen, der Konflikt mit dem Iran, Afghanistan geht fast alle Mächte an, auch Russland, ähnliches trifft für Syrien zu. Überhaupt wäre hier mal über die Konsequenzen aus jahrhundertelanger Kolonialzeit zu reden und der damit verbunden gewesenen Ausbeutung afrikanischer Länder.

Einen interessanten Aspekt fand ich in der angesehenen Schweizer Zeitung NZZ(Neue Zürcher Zeitung): „Erstaunlich ist, dass außer den Amerikanern und den strategisch gegenüber Russland exponierten Balten kaum je Kritik am Militär-Sparmeister Deutschland laut wird. Vielleicht liegt das ja einfach daran, dass immerhin elf Nato-Länder sich die Verteidigung noch weniger kosten lassen. Vielleicht ist es aber auch so, dass manchen Europäern die Vorstellung unheimlich ist, dass die mit Abstand größte Wirtschaftsmacht des Kontinents in absehbarer Zeit auch militärisch alle anderen Staaten überflügeln könnte.“

Niemand will die Nato als Bündnis des Westens in Frage stellen. Aber nach 70 Jahren über den Sinn einer solchen Allianz zu reden und die Aufgaben, über Werte, für die man steht und einsteht, über die Risiken und Kosten, ja. Das Beistandsversprechen, das die Sicherheit eines jeden Mitglieds garantiert, gilt. Und dies allein beantwortet schon die Frage: Warum braucht man das Bündnis?

Bildquelle: Bundesarchiv, B 145 Bild-P098967 / Unbekannt / CC BY-SA 3.0 DE

 

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Tags: 70 Jahre NATODeutscher Beitrag zur NATOLastenverteilungNATOTrumpUSAUSA firstVerteidigungsbündnis in der Bewährung
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