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Menschenfeindlichkeit ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen – Sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
17. Januar 2020
Einschußloch

Drei Einschusslöcher im Schaufenster des Bürgerbüros des SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby in Halle(Sachsen-Anhalt), der Bürgermeister von Kamp-Lintfort(Niederrhein), Christoph Landscheid(SPD), der nach vielen Bedrohungen einen Waffenschein beantragte, hat von NRW-Innenminister Herbert Reul(CDU) Personenschutz erhalten, Sylvia Kugelmann, Bürgermeisterin im schwäbischen Kutzenhausen, eine Kommunalpolitikerin einer unabhängigen Wählergruppe, will nicht mehr kandidieren nach all den Anfeindungen, denen sie fast täglich ausgesetzt war. Sie hat genug, nachdem ein Unbekannter ihr einen Nagel in einen Autoreifen gestochen  hatte und sie merkte, dass der Reifendruck bei Tempo 160 nachließ. Damit nicht genug: ihr Wagen wurde eines Abends rundherum mit Katzenkot beschmiert, es stank wie die Pest, ihre Kleidung wurde verdreckt. Vorfälle dieser Art sind keine Ausnahmen mehr: Fast täglich erleben Politikerinnen und Politiker Beleidigungen übelster Art, sie werden mit dem Tode bedroht, Ähnliches erfahren Polizisten, Sanitäter, Ärzte, Mitarbeiter von Jobcentern. Wer anderen helfen will, wird schnell zur Zielscheibe. Was ist los in Deutschland? 

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat das Problem zum Thema gemacht, der fehlende Respekt im Umgang miteinander, die beinahe absolute Enthemmung in den sogenannten sozialen Netzwerken, die längst asoziale Kommunikationsforen sind, die immer aggressiver werdende Stimmung im Netz, der zunehmende Antisemitismus, die Pöbeleien, Worte, die zu Taten werden. Man nehme die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke(CDU), den Anschlag auf die Synagoge in Halle am Jom-Kippur-Tag, der nur deshalb „nur“ zwei Tote forderte, weil die Eingangstür aus schwerer Eiche den Schüssen des Angreifers standhielt. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker wurde am Tag vor der Wahl bei einem Messer-Attentat lebensgefährlich verletzt, dem damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine erging es nicht anders bei einem Wahlkampftermin in Köln. Oder man denke an den Anschlag auf den CDU-Politiker Wolfgang Schäuble, der seitdem im Rollstuhl sitzt und von Glück sagen kann, dass er das Attentat überlebt hat.

Hass-Rede selbst in Parlamenten

Die Anklage von Karamba Diaby, die Menschenfeindlichkeit sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen, trifft ins Schwarze, denn das alles ist keine Randerscheinung mehr. Auch wenn die Kanzlerin Angela Merkel sich öffentlich vor das Opfer gestellt hat und damit klar gemacht hat, dass man mit solchen Attacken auch sie treffe, der Täter hat mit dem Angriff schließlich auf einen angesehenen SPD-Politiker gezielt, auf die Mitte der Gesellschaft. Karamba Diaby lebt seit Jahrzehnten in Deutschland, schon zu DDR-Zeiten war er hier, hat studiert, wurde promoviert, ist verheiratet, hat Kinder, spricht fließend Deutsch. Seine Integration ist gelungen, wenngleich die Täter, die Rechtsradikalen ihn ihre Verachtung spüren lassen, weil er aus Afrika kommt, ein Schwarzer ist. Artikel 1, Grundgesetz, die Würde des Menschen ist unantastbar, ist für diese Hasser kein Hindernis. Karamba Diaby weist in einem Interview mit der SZ anklagend daraufhin, dass selbst in den Parlamenten die Redebeiträge immer aggressiver würden, herabwürdigend, menschenverachtend gegenüber Minderheiten. Wörtlich stellt er fest: „Das ist ein Nährboden für die Gewalt auf den Straßen.“ 

Der frühere AfD-Chef Alexander Gauland hat sich in diesem Sinne geäußert, so, als er die mangelnde Geburtenkontrolle in Afrika für den Klimawandel verantwortlich gemacht hat. Aber Gauland sei „leider nicht der Einzige“, so Karamba Diaby in dem Interview weiter. „Solche Redner haben wir genug im Bundestag. Es kann nicht sein, dass solche Hassreden in den Parlamenten fast Normalität geworden sind.“ Die niedersächsische SPD-Landtagsabgeordnete Doris Schröder-Köpf, die frühere Frau des Kanzlers Schröder, und heutige Landes-Beauftragte für Migration, will sich gegen diese Drohungen zur Wehr setzen, sie will sie zur Anzeige bringen, Drohungen, in denen ihr mit Vergewaltigung gedroht wird, mit Mord. Auch ihr Fall ist keine Ausnahme. „Ich kenne kaum jemanden im Landtag, der das nicht schon erlebt hat“, betonte sie in einem Interview mit der „Neuen Presse“(Hannover)

Es ist das alles wahrlich kein Spaß, wenn bei Pegida-Umzügen Demonstranten Pappschilder in den Händen tragen mit den Konterfeis von Angela Merkel und Sigmar Gabriel am Galgen, es ist kein Spaß, wenn man Amtsträgern androht, man werde sie vergasen, aufhängen, wenn man ihnen wünscht, sie mögen verrecken. Das ist genau die verbale Entgleidung, die wir in den 20er und 30er Jahren beim Aufstieg der Nazis erlebt haben, als aus Worten Taten wurden. Es stimmt zwar auch, dass sich immer wieder Demokraten versammeln und gegen die Rechten auf die Straße gehen und Flagge zeigen. Aber reicht das aus gegen die hässlichen Bilder der Neonazis und Rassisten?  Sieben Jahre konnte eine Terror-Gruppe wie der NSU mordend durch Deutschland ziehen, zehn Menschen wurden getötet, Ausländer verdächtigt, dabei waren die Täter Rechtsextremisten, Neonazis. Je nach Quelle gehen auf das Konto der Rechtsextremisten von 1990 bis heute mindestens 84 Tote oder sogar 198 Tote. Die Gewaltverbrechen der Rechten ohne Tote sind nicht mitgerechnet. Wem das alles noch nicht recht, der sei an die berühmt-berüchtigten Orte erinnert, an denen Menschen durch Rechtsextremisten zu Tode kamen: Eberswalde, Rostock-Lichtenhagen, Mölln(Schleswig-Holstein), die Gruppe Freital in Sachsen, man vergesse Solingen nicht. Der Verfassungsschutzbericht gibt die Zahl der Rechtsextremisten für das Jahr 2018 mit 24000 an. 

Morddrohungen gegen Igor Levit

Vor wenigen Tagen hat der weltberühnmte jüdische Pianist Igor Levit darüber geklagt, dass er immer wieder Morddrohungen ausgesetzt sei. Besorgniserregend war das, was der Pianist im Berliner „Tagesspiegel“ öffentlich machte. Wir kennen andere Aussagen von Deutschen jüdischen Glaubens, die sich nicht mehr sicher fühlen in unserem eigentlich schönen Land, in dem mehr und mehr Rechtsextremisten, Rassisten und Menschenfeinde ihr Unwesen treiben. Seit der Flüchtlingswelle 2015 hat diese Entwicklung noch zugenommen,  diese Politik von Angela Merkel wurde von CSU-Chef Seehofer als Rechtsbruch bezeichnet. Merkel selber hat ihre humane Politik der Grenzöffnung, mit der sie Zigtausende bettel-armer Flüchtlinge ins Land ließ, mit dem Zusatz verteidigt:“ Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mehr mein Land.“ Recht hatte sie. 

Das Klima in  unserer Gesellschaft ist rauher geworden, statt Zusammenhalt, Integration, Solidarität und Respekt pöbeln die Kritiker gegen die sogenannte „Umvolkung“, grenzen aus, spalten und feinden an. Der SPD-Bürgermeister von Kamp-Lintfort, Landscheid, der übrigens 1999 mit 88 Prozent im Amt bestätigt worden war, hat während des Europa-Wahlkampfes Plakate der Partei „Die Rechte“ entfernen lassen, weil sie Aufschriften trugen wie: „Israel ist unser Unglück.“ Oder: „Wir hängen nicht nur Plakate.“   

Die Anonymität im Internet abzuschaffen, ist eine Forderung, die schwer umzusetzen sein wird. Es wäre ein Schritt, keine Frage, weil die Anonymität die Täter hemmungslos schreiben lässt, ohne Gefahr zu laufen, dass sie entlarvt und zur Rechenschaft gezogen werden können. Richtig ist, dass auch Beleidigungen Folgen haben müssten, sie könnten sogar in den Knast führen. Warum eigentlich nicht, wenn einige nur diese Sprache verstehen?! Aber was wir mehr brauchen, ist, was einer wie Karamba Diaby fordert: „Die große Mehrheit muss laut erklären, dass wir eine freie und soliarische Gesellschaft sind.“ Oder was Silvia Kugelmann beklagt hat: „Wenn die große Mehrheit schweigt, dann ist der Platz an diesem Schreibtisch sehr einsam.“ Sie habe nach Öffentlichmachung ihrer Bedrohungen nur eine Mail bekommen, darin sei sie bestärkt worden, ansonsten sei alles sehr überschaubar gewesen, Schweigen. Gemeint, was Gerhard Schröder mal gefordert hatte gemeinsam mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden  in Deutschland, Paul Spiegel: den Aufstand der Anständigen. Sonst werden noch mehr Ehrenamtliche ihre Ämter drangeben, werden noch mehr Bürgermeister hinwerfen.

40 Prozent der deutschen Bürgermeister haben nach einer Umfrage in 1000 Rathäusern durch die Zeitschrift „Kommunal“  bereits mit Stalking, Beschimpfungen und Drohungen zu tun gehabt, vor allem mit Hass-Mails und Einschüchterungsversuchen. Die Statistik weist 1241 politisch motivierte Straftaten für das Jahr 2019 aus und zwar gegen Amts- und Mandatsträger auf allen Ebenen. Der Rückzug von Politikern wäre eine Gefahr für die Stabiltität unserer Demokratie, warnen Gewaltforscher wie Prof. Andreas Zick aus Bielefeld. Genau das, die Stabilität unseres Systems, wie das die AfD nennt, wollen die Rechten ja beseitigen. Zwar ist die Mehrheit der Deutschen mit der Demokratie zufrieden, aber jeder Dritte ist dafür, „aus nationalem Interesse nicht allen die gleichen Rechte zu gewähren“. Nur vier Prozent wären unter bestimmten Umständen für eine Diktatur, aber 11 Prozent könnten sich einen Führer vorstellen, der mit starker Hand regierte. 

Ob mehr Polizei, mehr Gesetze etwas ausrichten können gegen diese negative Entwicklung? Der Konfliktforscher Zick weist eher in eine andere Richtung: marode Schulen und heruntergekommene Gebäude in ohnehin wirtschaftlich abgehängten Regionen würden bei einigen Menschen  das Gefühl der Mißachtung und der Minderwertigkeit verstärken.

Bildquelle: Pixabay, Bild von Dieter_G, Pixabay License

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Tags: AfDBedrohungHassHetzeMenschenfeindlichkeitRechtsextremismus
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