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Vor 75 Jahren – Der schrecklichste aller Kriege nähert sich dem Ende

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
6. März 2020
Militärfriedhof

Trümmer über Trümmer, fast alles in Schutt und Asche, Menschen in Kleidern, die oft genug mehr Fetzen waren, Reste. Manche hatten „nur“ ihr Leben retten können, das Haus, die Wohnung weg, ausgebrannt, zerbombt, die Moral am Boden nach 12 Jahren totalitäter Herrschaft und Aufgabe von Werten und Zivilisation.  Elend von Nord bis Süd, von West bis Ost. Der schrecklichste aller Kriege näherte sich seinem Ende, die geplagten Menschen sehnten den Frieden herbei, hofften endlich, wieder schlafen zu können und nicht von Sirenen geweckt und gewarnt zu werden von und vor Fliegerangriffen, die ihre tödliche Fracht über Deutschlands Städte abwarfen, sie waren erleichtert, am Morgen nicht von Menschen in Ledermänteln und Hüten  geweckt und abgeholt zu werden. 75 Jahre ist das nun her. In diesen Wochen erinnern viele deutsche Zeitungen an das Kriegsende 1945. Bilder bringen uns, die wir das fast nur noch aus Geschichtsbüchern und Filmen kennen, die Schrecken dieser Zeit nahe, die wir nicht vergessen dürfen. Denn der Bombenkrieg mit seinen Verwüstungen und alles dazu gehörende hatte seinen Anfang in einem übersteigerten Nationalismus, aus dem die Gewaltherrschaft der Nazis wurde. Es war ein „bodenloser Abgrund der Unmenschlichkeit, in den dieser Krieg die Menschheit stürzte“, wie es Ian Kershaw ausgedrückt hat in seinem Buch „Höllensturz. Europa 1914 bis 1945.“

Nein, die heutige Zeit ist damit nicht zu vergleichen, nur mahnen sollte man an jene Jahre, in denen der Hass geschürt wurde, in denen die Nazis ein Menschheitsverbrechen begangen, das alles bisher bekannte in den Schatten stellte. Eine Nation wie die Deutsche wurde zu einer Horde von Barbaren, die eine Industrie aufbaute, eine Maschinerie schuf, um Millionen Juden zu ermorden. Lange her, meinen Sie? Dann fragen Sie mal Juden im Lande, was die dazu sagen, wenn heute wieder Nationalisten auftreten, deren politischer Arm in allen Parlamenten in Deutschland und im Europa-Parlament vertreten ist. Fragen Sie sie mal nach der AfD und einem wie Höcke, den man einen Faschisten nennen darf und der nicht der einzige Rechtsradikale in den Reihen dieser Partei ist, die zuletzt bei Wahlen in Osten Deutschlands wie in Thüringen rund 25 Prozent der Stimmen erhielt und die man mitwirken ließ, einen FDP-Politiker wenn auch nur für kurze Zeit, zum Ministerpräsidenten von Thüringen zu wählen. Zu Thüringen gehört Weimar, die Stadt, vor dessen Theater ein Standbild von Goethe und Schiller steht.  Aber vor dessen Toren auch das KZ Buchenwald stand, was heute als Denk- und Mahnmal an jene Zeiten des Schreckens erinnert. Und dennoch spricht der Thüringer AfD-Chef Höcke davon, dass das Holocaust-Mahnmal in Berlin-Mitte, in der Nähe des Brandenburger Tores, des Reichstages und des Hotels Adlon ein Mahnmal der Schande sei.

Der Zivilisationsbruch der Deutschen

Fanatisch war der Nationsozialismus damals in Deutschland, man lese das nach, um darüber nachzudenken, wohin das führen kann. Es war das Ziel der Nazis,  die Polen nicht nur zu besiegen, man wollte ganz bestimmte Eliten des Landes auslöschen, ähnliches hatte man vor mit den Menschen in der Sowjetunion. Alle geltenden moralischen Werte wurden über Bord geworfen, es gab keine Maßstäbe an Menschlichkeit mehr. Es war ein Zivilisationsbruch ohnegleichen. Und dieser Bruch ging von Deutschland aus. Der totale Krieg führte in ein Blutbad, das die Welt bisher nicht gekannt hat. Der Feldzug in Osteuropa war von einer Grausamkeit, einer gnadenlosen Härte und Menschenverachtung ungekannten Ausmasses. Es war ein Rassenkrieg, den die Nazis wollten und den sie vom Zaun brachen, Säuberung von Rassen war ihr Ziel. Kershaw nennt das alles die „Hölle auf Erden“. Und heute will  einer wie Herr Gauland, führender Kopf der AfD, diese furchtbare Zeit als „Vogelschiss“ abtun?

Wer heute die Bilder des zerstörten Bonn sieht oder des in Trümmern liegenden Köln-beide Städte wurden etwa vor 75 Jahren durch die Amerikaner befreit, der darf die Vorgeschichte nicht vergessen.  Befreit, sage ich bewusst,  befreit von der Gewaltherrschaft der Nazis, in deren Reihen es nicht wenige  gab, die fast bis zum Ende nicht an die Niederlage glauben wollten. Ihr Fanatismus hatte ihnen die Sinne vernebelt, wenn sie denn welche gehabt haben, als sie in den Dienst dieser Räuberbande traten. Zwischen 55 und 65 Millionen Tote forderte dieser Krieg, sechs Millionen Juden wurden ermordet, erschossen, vergast, erschlagen, man ließ sie verhungen. Allein 25 Millionen Tote waren auf der Seite der Völker der Sowjetunion zu beklagen.

Es begann mit dem Ermächtigungsgesetz

Wenn wir die Bilder sehen vom zerstörten Bonn, von Köln, von Essen, das ebenso flachgelegt wurde, weil es die Rüstungsschmiede des Reiches war, Krupp hatte seine Fabriken in der Ruhr-Metropole, Krupp hatte für Hitler gearbeitet, hatte viel Geld verdient mit der Rüstung, die er für die Wehrmacht baute, Krupp hatte wie andere Führungsleute aus der deutschen Industrie der NSDAP großzügig Millionen gespendet, weil die Partei pleite war. Und Hitler hatte sich spendabel gezeigt und den Industriefirmen billige Arbeitskräfte geliefert, Kriegsgefangene, Fremdarbeiter, Zwangsarbeiter, die den Reichtum mancher Industrieller mehrte. Bonn, Köln, Hamburg wurde später befreit, Nürnberg, die Stadt der Reichsparteitage, München erst Ende April, die Hauptstadt der Bewegung, am Ende die Reichshauptstadt Berlin. Man schaue sich die Bilder an, sie hatten eine Vorgeschichte, die begann Anfang 1933 mit Wahlen, sie setzte sich fort mit dem Ermächtigungsgesetz, dem allein die Sozialdemokraten ihre Zustimmung verweigerten. Mit diesem Gesetz begann der Wegfall von Rechten für Juden und für Andersdenkende, begann die Verfolgung von Kommunisten und Sozialdemokraten, auch Christen wurden Opfer der Nazis, Kritiker wurden von der Gestapo des Nachts abgeholt und kehrten nie wieder. Richard von Weizsäcker hat uns bei seiner berühmt gewordenen Rede am 8. Mai 1985, 40 Jahre nach der Kapitulation den Spiegel vorgehalten und manche Deutsche daran erinnert, dass sie mitgemacht, oder zugeschaut und nicht gehandelt oder weggeschaut hatten. Viele, die sich später als Widerstandskämpfer gerierten, hatten nach 1945 einfach das braune gegen das andersfarbige Hemd getauscht. Beamte in vielen Ministerien durften einfach weiterarbeiten, darunter manch furchtbare Juristen, wie Rudolf Augstein, der Spiegel-Gründer, das einmal ausgedrückt hatte.

Zu dieser schlimmen Geschichte gehört selbstverständlich auch die Zerstörung von Dresden mit Tausenden von Toten, die von Würzburg, um diese Fälle herauszunehmen, gehört der ganze Bombenkrieg mit den vielen toten Zivilisten. Gehört die Vertreibung von Millionen Deutschen aus den Ostgebieten, aus dem Sudetenland, auch dies war ein Verbrechen. Übrigens hat sich der spätere Staatspräsident der CSSR, Vaclav Havel, dafür entschuldigt. Ich erwähne dies, weil es dazu gehört, es geht nicht um Abrechnung, sondern um Versöhnung, die wir Deutschen nach dem Krieg in vielfacher Hinsicht erfahren haben, durch Politiker aus europäischen Staaten, die unter der Hitler-Barbarei gelitten hatten und die dennoch Konrad Adenauer die Hand zur Versöhnung ausstreckten. Damals entstand die europäische Idee, die zur EU führte, die keinen Krieg mehr zuließ zwischen Deutschland und Frankreich, die Polen zu unseren Nachbarn machten, vor denen sie sich nicht mehr fürchten müssen. Diese europäische Idee darf nie aufgegeben werden, gerade nach dem Ausscheiden der Briten. Überlassen wir Nationalisten nicht das Feld. Der Friede ist der Ernstfall.

Wenn so etwas wie in Erfurt passiert

Der Historiker Friedrich Meineke sprach 1946 von der „deutschen Katastrophe“. Dass wir uns davon erholt haben, dass man uns wieder grüßt und abseits von Corona die Hand schüttelt, dass wir umzingelt sind von Freunden, setzen wir es nicht aufs Spiel. Die Ermordung der europäischen Juden wirkt im kollektiven Gedächtnis stark nach, hat es Heinrich August Winkler in seinem grandiosen Werk „Geschichte des Westens“ formuliert, sie wirkt nach, weil sie in ihrer kalten Systematik einzigartig war und weil dieses Menschheitsverbrechen von einer Nation begangen worden war, die kulturell zum Westen gehörte und darum an westlichen Maßstäben gemessen wird. Wenn so etwas wie in Erfurt passiert, wenn plötzlich eine rechtsradikale Partei mitstimmen darf, wer hier Ministerpräsident wird, eine Partei,die ausgrenzen und spalten, nicht versöhnen will, die umvolken will, wie es bei Teilen der AfD heißt,  die es sich zum Ziel gemacht hat, unser parlamentarisches demokratisches System lächerlich und überflüssig zu machen,  dürfen wir uns nicht wundern, dass sich Deutsche jüdischen Glaubens Sorgen machen über ihre Zukunft.

Verständlich ist, dass sie entsetzt reagiert haben, weil sie nicht glauben wollten, dass so etwas wieder möglich sein würde hier bei uns in Deutschland, weil sie die Kanzlerin Angela Merkel schätzen, einen wie Armin Laschet, der gerade ein NRW-Büro in Tel Aviv eröffnet hat, einen wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Juden, die gern hier leben, gut vernetzt sind, Freunde haben und die gern daran erinnern, wie der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder gemeinsam mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, nach einem Anschlag auf die Synagoge in Düsseldorf vor die deutsche Öffentlichkeit trat und den Aufstand der Anständigen einforderte.  Aber die Ereignisse in Erfurt haben sie unsicher gemacht, weil jeder Vierte bei der Landtagswahl in Thüringen für die AfD gestimmt hatte. Sie sorgen sich wegen der Wahlen 2021 und vor allem dem Urnengang 2025.  Sie brauchen unsere Solidarität. Jetzt dringender denn sonst. Sie müssen spüren, dass sie nicht allein sind, dass wir, die Mehrheit, hinter ihnen stehen.

Das Thema wird uns nicht loslassen. Unsere Geschichte lässt es nicht zu, auch wenn die Augenzeugen weniger werden  und die Ruinen längst beseitigt sind. Die Toten mahnen.

Bildquelle: Pixabay, Bild von Jürgen Sieber, Pixabay License

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Tags: 8. Mai 1945AntisemitismusGewaltherrschaft der NazisKriegsende vor 75 JahrenNationalismusNationalsozialismusPaul SpiegelRechtsextremismusRichard von WeizsäckerThüringen
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