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Der Kampf ums Vertrauen der Wähler – Merz und Mützenich könnten bald gemeinsam regieren müssen

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
16. Dezember 2024
Zwei Erdmännchen, die sich ignorieren

Es ist eine lebhafte Debatte, teils leidenschaftlich geführt, die der Vertrauensfrage des Kanzlers vorausgeht. Mancher Sozialdemokrat wird sich gefragt haben, warum Olaf Scholz diese Rede nicht früher gehalten hat, warum er nicht immer so kämpferisch aufgetreten ist, warum erst gegen Ende seiner Amtszeit, erst zur Vertrauensfrage? Andererseits gibt es Stimmen aus der SPD, die sich über die Selbstgerechtigkeit, die Scholz auch während der Rede zur Vertrauensfrage ausstrahlte, wunderten. Hätte, wenn und aber. Sein potentieller Nachfolger Friedrich Merz lässt nichts ungescholten stehen, was der Amtsinhaber da auftischt und so tut, als stehe er vor der Verlängerung.  Scholzens selbstgepriesene Erfolge sind laut Merz der Grund für die Krise der Republik. Der Unionschef und Kanzlerkandidat redet frei und mit dem Rückenwind der Umfragen und des Beifalls seiner Parteifreunde lässt er keinen Zweifel daran, dass er Scholz ablösen will, er, der solange warten musste auf seine Chance. In die Debatte greift der Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck ein, den vor allem die Christsozialen, aber auch Merz anlasten, dass es der deutschen Wirtschaft so schlecht gehe. Aber dieser Habeck teilt an diesem Nachmittag ganz schön aus und hält der Union die Bilanz all der Merkel-Jahre vor: Züge, die nicht pünktlich sind, wenn sie nicht ausfallen, marode Straßen und Schulen, eine heruntergewirtschaftete Bundeswehr. Das war ein anderer Grüner Habeck, nicht der Märchenerzähler. FDP-Chef Lindner hat einen schweren Stand, er gilt als der Verräter der Ampel, als der, der die Todsünde begangen hat, dort Opposition zu proben gegen die Regierung, der er selber angehört hat und aus der er durch ein Wort des Kanzlers geworfen wurde. Und dann kam Rolf Mützenich, der Fraktionschef der SPD,  der dem Kanzler über drei Jahre den Rücken frei- und die Fraktion hinter dem Regierungschef beisammen hielt. Und der an diesem Tag dem Liberalen Lindner die Leviten liest: „Schämen Sie sich nicht?“ Da hätte man gern gewusst. wie sehr dieser Hieb die Seele des einstigen Finanzministers getroffen hat.

Das ist einer der letzten parlamentarischen Tage des Parlaments kurz vor Weihnachten. Der Inhalt ist bekannt, der Bundeskanzler wird die Vertrauensfrage stellen, aber er will sie verlieren, damit er anschließend zum Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier gehen kann, um das Staatsoberhaupt zu bitten, den Bundestag aufzulösen. Am 23. Februar soll neu gewählt werden. Der Kanzler hat kurz vor dem Ereignis in einem Interview klar gestellt, dass er nicht als Vizekanzler einem Kabinett des Kanzlers Friedrich Merz angehören werde. Eine Selbstverständlichkeit. Olaf Scholz hat in dem Interview auch gesagt, dass er aber darum kämpfe, Bundeskanzler zu bleiben. Bei den Umfragen scheint das fast unmöglich. Die Union liegt mit gut 30 Prozent klar vorn, die SPD kommt auf Werte um die 16 Prozent. Eine Aufholjagd soll die SPD nach vorn peitschen, man erinnert an die letzte Wahl 2021, als die Union lange führte und am Ende unterlag. Mit Scholz als Kanzlerkandidaten. Wer so argumentiert, ignoriert, dass die SPD damals geschlossen war, auch dank der Führung durch Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, Lars Klingbeil und Kevin Kühnert. Und nicht vergessen sollte man, dass es damals ein gewisser Markus Söder war, der bayerische Ministerpräsident und CSU-Parteichef, der dem eigenen Kanzlerkandidaten Armin Laschet das Leben schwer machte.

Olaf Scholz scheint all das, die schlechten Umfragen, die Debatte in der SPD über seine Kanzlerkandidatur und die Konkurrenz durch Boris Pistorius, nichts auszumachen. Zumindest merkt der Beobachter der Debatte nichts davon. Scholz redet seinen Klartext, laut und vernehmlich, streicht die Erfolge für die kleinen Leute heraus, den höheren Mindestlohn zum Beispiel, die Schwierigkeiten, mit denen seine Ampel von Anfang an zu kämpfen hatte, nämlich die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine. Ja, dieser Krieg stand nicht auf seiner Agenda und er veränderte alles. Die Energieversorgung musste unabhängig von Russland neu organisiert werden, die Bundeswehr, von der CDU-geführten Regierung Merkel über Jahre im Stich gelassen und damit nicht mehr verteidigungsfähig, verschlang nicht nur eine Ministerin, sondern führte auch zu  Milliarden über Milliarden Euro an Kosten. Scholz verteidigt seine Politik und hält dem Herausforderer die Versäumnisse der Angela Merkel-Regierung vor, gemeint waren gewiss auch die dazu gehörenden Ressortchefs wie des CSU-Verteidigungsministers von und zu Guttenberg, ein Blender im Amt und bei der Promotion. Dass Scholz an diesem Tag auch nur eine Bemerkung über mögliche eigene Fehler gemacht hätte, nicht im Leben. So ist er.

Ein Kanzler auf Abruf

Olaf Scholz, ein Kanzler auf Abruf? Das kann man so sagen, auch wenn erst Wahlkampf gemacht, erst gewählt und dann gezählt werden muss. Zu früh sollte der Mann aus dem Sauerland nicht jubeln, noch ist nicht aller Tage Abend. Aber an diesem Tag genießt er seine Rolle, die es ihm ermöglicht, ja sogar abverlangt, dass er den Kanzler angreifen muss. Deutschland in der Krise und dem Kanzler fällt nichts ein. Natürlich erwähnt Friedrich Merz eigene Versäumnisse nicht, gemeint die von Angela Merkel. Das wird er sich verkneifen, obwohl er es sicher gern täte, unter der Hand, irgendwo im Keller, wo niemand zuhört. Merkel und Merz sind keine Freunde und werden es nicht, auch wenn die Ex-Kanzlerin eher sanft mit ihm umgeht. Merz sieht man seinem Gesicht an, wie es ihm Spaß macht, dem Scholz ein paar Dinge hinzureiben. Fremdschämen müsse man sich für diesen Kanzler, der auch außerhalb des Landes nicht ernst genommen werde. Die Unions-Fraktion bejubelt Merzens Attacken, die im Rahmen bleiben, ohne einen beleidigenden Tonfall, der möglich gewesen wäre. Man weiß, dass Merz und Scholz nicht miteinander können. Im Bundestag hatte Merz vor Monaten Scholzens Glaubwürdigkeit angezweifelt im Zusammenhang mit der Cum-Ex-Affäre und wörtlich zu Scholz´Gedächtnislücken gesagt: “ Herr Bundeskanzler, ich glaube Ihnen kein Wort.“ Ein starkes Stück, andererseits musste sich der SPD-Politiker das gefallen lassen, weil seine Ausrede selbst Parteifreunde nicht überzeugte.

Wer die Debatte verfolgte, wird sich Gedanken gemacht haben über die mögliche Regierungsbildung von morgen, also nach der Wahl.  Mit Christian Lindner rechnet kaum jemand, da die FDP in allen Umfragen unter der Fünf-vh-Hürde rangiert. Überhaupt hat das Ansehen der Liberalen nach dem Bekanntwerden ihres Scheidungspapiers schwer gelitten. Dass Freidemokraten ein Papier verfassen, um die Strategie für das Ende der Ampel-Regierung festzulegen, ist schon ein starkes Stück, das umso schwer  wiegt, weil darin militärische Begriffe die D-Day, offene Feldschlacht  und Torpedo verwendet wurden. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich greift Lindner heftig an, ebenso wie dies für die Grünen Robert Habeck macht. Opponieren in der Regierung, das geht gar nicht. Überhaupt wüsste man heute gern, ab wann für die FDP das Ausstiegs-Szenario begann? Etwa schon im ersten Jahr der Ampel, weil man merkte, dass FDP und die Grünen nicht zueinander passen? Die Angriffe von Lindner Richtung Scholz wirken buchhalterisch, der frühere Bundesfinanzminister hat an diesem Tag nicht viel zu melden.

Schwarz-Grün mehr als fraglich

Wer wird Deutschland nach der Wahl Ende Februar regieren? Schwarz-Grün? Nach dieser Debatte scheint das kaum möglich. Merz hat sich auf Habeck eingeschossen, dazu kommt das drastische Nein zu Schwarz-Grün von Söder aus München. Aber auch Habeck lässt nichts aus, greift Merz an, der vieles fordere, aber die Finanzierung der Projekte nicht erwähne. Merz blende ganz offensichtlich die Realität aus, das gelte auch für die Veränderung der geopolitischen Lage. Mit Weiter-So, wie es die Union plane, werde man die Zukunft nicht gewinnen. Merz wolle zurück, ihm fehle der Blick nach vorn, stattdessen arbeite er mit den Rezepten von gestern.

Ein Tag der Klarheit? Nur, was die Vertrauensfrage betrifft. Die verliert planmäßig der Kanzler. Aber wie es später weiter gehen soll mit diesem Land, welche Koalition die Republik regieren wird und wie sie alle Altlasten bezahlen will, wie die marode Infrastruktur mit Bahn, Straßen, Brücken auf neuesten Stand gebracht, wie endlich im Lande die Digitalisierung angepackt werden soll, was aus der Rente wird, der Pflege, dem Wohnungsbau, dem Klimawandel, der Bundeswehr, um nur einige Themen zu nennen, weiß niemand. Dazu die Gefahr von Rechtsaußen, von der AfD, die alles schlecht redet und darauf hinarbeitet, dass die Unzufriedenheit der Menschen mit unserer parlamentarischen Demokratie wächst. Es blieben viele Fragen offen.

Es ist Rolf Mützenich, der in dieser heftigen Debatte neben der berechtigten Kritik an Lindner und an Merz Worte findet , die dazu geeignet sind, über die Zukunft nachzudenken. Mützenich fordert Würde ein für das politische Geschehen, Würde, in der eine solche Debatte stattfinden muss. Eine Würde, mit der Demokraten miteinander umgehen, weil sie in der Lage sein müssen, nach der Wahl einen Kompromiss zu finden für die Bildung einer Regierung, um die Zukunft des Landes zu gestalten. Nicht einfach ist eine Koalition, weil es Parteien im Bundestag gibt wie die AfD, mit der keine demokratische Partei gemeinsam regieren will. Und dazu kommt dann noch eine Partei namens BSW(Bündnis Sahra Wagenknecht), mit deren Einzug in den Bundestag zu rechnen ist, man kann auch von befürchten reden. Frau Wagenknechts Position allein zu Russland ist weder für die Union noch für die SPD auf Bundesebene tragbar. Darin sind sich Union und SPD einig: man wird die Nato nicht verlassen, in der EU bleiben, der Euro wird nicht auf D-Mark zurückgedreht, die Ukraine wird in ihrem Kampf gegen Russland nicht im Stich gelassen. Bleibt noch eine andere Frage, deren Klärung erst im Januar beginnt mit der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Donald Trump.

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