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Altenschuldenhilfe – Grundgesetzänderung jetzt! Ein Gastbeitrag von Bernhard Daldrup und Achim Post

Gastbeitrag Von Gastbeitrag
5. Februar 2025
Bild eines alten Rathauses mit einem Turm von Geldscheinen als Symbol für Schulden auf dem Dach., AI generiert

Bei der Altschuldenfrage stehen wir einmal mehr vor der Herausforderung, eine große finanzielle Belas­tung gemeinsam zu meistern. Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf für eine Änderung des Grundgesetzes vorgelegt, der eine Umschuldung von rund 31 Mrd. Euro auf Bund und Länder zur gro­ßen Entlastung hochverschuldeter Kommunen ermöglichen würde. Die Umsetzung wäre ein Meilen­stein der gesamtstaatlichen Handlungsfähigkeit und würde für viele Kommunen in Deutschland einen echten finanziellen Neustart zum Wohle der Menschen vor Ort ermöglichen.

Dazu braucht es eine verfassungsändernde 2/3-Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat. Das Wohl unserer Kommunen liegt in einem gesamstaatlichen Interesse – daher appellieren wir an alle demokratischen Fraktionen, sich jetzt diesem gemeinsamen Kraftakt anzuschließen! Nicht nachvollziehbar ist es, dass für eine Aufsetzung zur ersten Lesung im Bundestag bisher keine Mehrheit gefunden werden konnte. Für uns ist klar: Der Bund, die Länder insgesamt und auch die Kommunen können die Aufgabe nur gemeinsam in ei­nem breiten überparteilichen Konsens lösen.

Warum die Lage keinen Aufschlug duldet.

Nach einem Jahrzehnt positiver Haushaltsabschlüsse wachsen die Defizite der Kommunen mit gro­ßem Tempo und erwartbar über mehrere Jahre: Betrug das jährliche Defizit 2023 noch knapp 7 Mrd. Euro, ist es in 2024 auf über 20 Mrd. Euro angewachsen. Damit dürften nicht nur alle Konsolidie­rungsbemühungen der betroffenen Kommunen zunichte gemacht werden, auch der vorhandene In­vestitionsstau von weit über 186 Milliarden Euro dürfte kaum geringer werden und was dabei noch gar nicht eingerechnet ist: die Umstellung auf Klimaneutralität dürfte bis 2030 dreistellige Milliar­deninvestitionen der Kommunen erfordern.

In dieser Zeit einer dramatischen Verschlechterung der kommunalen Finanzlage ist eine Lösung des Altschuldenproblems unverzichtbar, weil die hochbelasteten Kommunen die Altschulden nicht aus eigener Kraft abbauen können und eine Verbesserung ihrer Lage nicht in Sicht ist, zumal die Zinsbe­lastungen der Kommunen auch wieder steigen. Noch immer sind die Kommunen in vielen Ländern unterfinanziert.

Es ist offensichtlich: Vor Ort merken die Bürgerinnen und Bürger, was diese Zahlen ganz konkret be­deuten: An allen Ecken und Enden fehlt das Geld – sei es beim Erhalt des örtlichen Schwimmbades, dem kommunalen Straßenbau, dem Kultur- und Sportangebot oder der Einrichtung und guten Aus­stattung von Grundschulen und Kindertagesstätten. Kurzum: die Lage duldet keinen Aufschub.

Das Problem muss angepackt werden –
darum kommt jetzt der Entwurf für eine Grundgesetzänderung.

Ein Blick zurück: Der jetzige Bundeskanzler und damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat be­reits im Jahr 2021 vorgeschlagen, dass Bund und Länder mit einer gemeinsamen Schuldenübernahme die hochverschuldeten Kommunen entlasten sollen. Bis heute hat sich dafür keine verfassungsän­dernde Mehrheit im Bundestag und Bundesrat gefunden.

Die Zuständigkeit der Kommunalfinanzierung liegt bei den Ländern, dem Bund sind direkte Beziehun­gen sogar verfassungsrechtlich untersagt, ebenso wie die Übernahme von Schulden der Länder. Tat­sächlich haben einige Bundesländer demgemäß Entschuldungsprogramme für ihre Kommunen aufge­legt – das besonders betroffene Nordrhein-Westfalen nicht.

Es braucht daher zwingend eine Verfassungsänderung und diese funktioniert eben nur mit einer 2/3-Merheheit im Bundestag und der Länderkammer, dem Bundesrat.

Ungeachtet dessen hat der Bund mit der Übernahme der Gewerbesteuerausfälle und der erhöhten Übernahme von Sozialkosten (KdU) erhebliche Entlastungen zu Gunsten von Ländern und Kommunen beschlossen. Klar ist: Das reicht nicht! Daher ist es umso dringender, mit der Lösung der Altschulden­problematik den nächsten Schritt zu gehen.

Es war daher richtig, dass die Ampel-Koalition hat das Vorhaben erneut im Koalitionsvertrag 2021 auf­genommen hat. Der zuständige Bundesfinanzminister Lindner hat allerdings keine wirksamen Maßnahmen getroffen: Verzögerung statt Entschlossenheit war seine Devise.

Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung die Initiative ergreift und die Umsetzung konkret an­geht. Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat sind handlungsfähig und die demokratischen Par­teien haben in beiden Kammern die notwendige 2/3-Mehrheit. Jetzt heißt es handeln ohne schuld­haftes Verzögern.

Insbesondere die Kommunen in Nordrhein-Westfalen würden von der Entlastung profitieren. Wenn die NRW-Landesregierung dies mit einer Bundesbeteiligung realisieren will, ist auch sie gefordert, die Grundgesetzänderung zu unterstützen und für eine Mehrheit zu sorgen.

Sind wir zur Solidarität fähig?

Wir sind selbstbewusst im Urteil, wenn es um unser Grundgesetz geht: 75 Jahre seines Bestehens ha­ben wir mit gutem Gewissen und Stolz im abgelaufenen Jahr gefeiert. Der Begriff der Solidarität kommt explizit nicht vor, seine Bedeutung hingegen an vielen Stellen: der Sozialstaat in Art. 20 Abs. 1 GG und als sozialer Rechtsstaat in Art. 28 Abs. 1 GG. Und auch die Finanzverfassung ist vom Grund­satz der Solidarität zwischen Bund, Ländern und Gemeinden geprägt.

Erst seit der Wiedervereinigung gibt es nach Art. 74 Abs. 1 GG im Grundgesetz die Legitimation für bundesstaatliches Handeln, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht.

„Gleichwertige Lebensbedingungen“, wohlgemerkt, nicht gleiche Lebensbedingungen, sind gleichsam der räumliche Ausdruck des Sozialstaatsprinzip, der das Verhältnis zwischen Bund und Ländern und den Ländern untereinander seit jeher geprägt hat. In der geschichtlichen Rückschau im Länderfinanz­ausgleich zunächst zur Stärkung der wirtschaftlichen Entwicklung vor allem Bayerns, das aus den westdeutschen Ländern unterstützt wurde. Und auch wenn der Länderfinanzausgleich (LFA) seither immer wieder Gegenstand von Diskussion und Veränderung ist, die Ausgleichsfunktion an sich – also der Solidargedanke – steht nicht in Frage.

Seit der Einheit Deutschlands 1990 kennt jeder steuerzahlende Einwohner den Solidaritätszuschlag, der – für einen besonders finanzkräftigen Teil der Gesellschaft – bis heute gilt.

Nicht gleichermaßen im Bewusstsein ist die Finanzierung des Fonds Deutsche Einheit durch die Kom­munen Westdeutschlands. Obwohl selbst durch massive industrielle Umbrüche etwa im Kohle- und Stahlsektor betroffen, mussten die Kommunen 40 % des Länderanteils aufbringen und wurden zu ei­ner erhöhten Gewerbesteuerumlage herangezogen, die 2018 – zwei Jahre eher als vorgesehen – aus­lief, weil der Fond ausfinanziert worden war. Ende 2019 lief die sogenannte Solidarpakt-Umlage aus, die die Kommunen zu einer erhöhten Gewerbesteuerumlage nach § 6 Abs. 3 Gemeindefinanzreform­gesetz verpflichtete. „Die Gemeinden werden in diesem Rahmen dann um weitere circa 3,4 Mrd. € jährlich entlastet“, lautete die euphemistische Darstellung des Finanzministeriums, um die viele Jahre dauernde solidarische Leistung zu beschreiben.

Ein weiteres Beispiel solidarischen Handels im föderalen Staat liefert die Coronakrise als der Bund 2020 auf Initiative des damaligen Finanzministers Olaf Scholz durch eine einmalige Grundgesetzände­rung – wie auch jetzt geplant – eine hälftige Kompensation der Gewerbesteuerausfälle der Kommu­nen leistete und überdies eine maßgebliche Übernahme von Kosten der Unterkunft nach dem Sozial­gesetzbuch beschloss.

Rund 11,8 Mrd. Euro der Gewerbesteuerausfälle übernahm seinerzeit der Bund, der sich überdies verpflichtete, die KdU-Kosten auf 74% zu erhöhen (vorher 49%) und damit bis heute jährlich fast 4 Mrd. Euro übernimmt.  Schließlich wurden die neuen Länder durch eine Erhöhung des Bundesanteils an den Erstattungen für die Aufwendungen der Rentenversicherung aus den Zusatzversorgungssyste­men der ehemaligen DDR entlastet. Immerhin bis heute um jährlich 340 Millionen Euro, um den Län­dern Spielräume zur Stärkung kommunaler Investitionen zu ermöglichen.   (Aufwendungen der Rentenversiche­rung aus den Zusatzversorgungssystemen der ehemaligen DDR nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG)).

Fazit: Ja, Bund, Länder und Kommunen sind zu solidarischem Handeln jenseits von Zuständigkeiten und politischen Unterschieden in der Lage, wenn die Herausforderungen dies verlangen.

Warum erst jetzt – vier Wochen vor der Bundestagswahl?

Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat sind handlungsfähig. Warum sollte eine dringliche Auf­gabe nicht noch vor der Bundestagswahl zur Entscheidung gebracht werden?

Die Regelungen zur Änderung des Grundgesetzes sind ähnlich wie bei der Übernahme der Gewerbe­steuerausfälle temporär und nachvollziehbar, also entscheidungsreif. Die Verbändeanhörung hat ebenso stattgefunden wie die Beteiligung der Länder. Das Kabinett hat beschlossen.

Auch nach der Bundestagswahl wäre für diese Maßnahme eine Grundgesetzänderung, die eine ent­sprechende Zwei-Drittel-Mehrheit erfordert, unverzichtbar. Wer helfen kann, ja, muss dies jetzt tun – ohne schuldhaftes Verzögern.

Warum nicht im Haushalt?

Im Haushalt wird zunächst das veranschlagt, was auf gesetzgeberischem Weg beschlossen ist. Eine rechtliche Grundlage existiert aber noch nicht. Im Übrigen geht es nicht um die Aufnahme neuer Schulden – sie sind leider bereits vorhanden – sondern um eine Umschuldung, die die aktuellen Haushaltsberatungen nicht betrifft und auch nicht relevant für die Schuldenbremse sind. Haushaltsre­levant werden spätere Zins- und Tilgungsleistungen des Bundes – dafür fehlt derzeit allerdings die Grundlage.

Verhindern oder Ermöglichen?

Mit der angestrebten Änderung des Bundestages sind auch zunächst keine finanziellen Verpflichtun­gen verbunden. Es wird ein späteres Ausführungsgesetz geben müssen, in dem Details der Regelun­gen getroffen werden.

Allerdings: Ohne die gesetzliche Grundlage – also die Ermöglichung einer Altschuldenhilfe durch das Grundgesetz – wird es das nicht geben. Die Grundgesetzänderung ist also die Öffnung einer Option: Hilfe durch den Bund wird möglich.

Später geht’s auch noch…

Möglich, dass eine spätere Lösung nach der Bundestagswahl gefunden werden kann. Allerdings ist das Fenster der Gelegenheit jetzt vorhanden. Ob diese Chance nach einer neuen Regierungsbildung und inhaltlichen Positionierung der neuen Bundesregierung kommt, ist völlig ungewiss.

Außerdem ist leider offen, ob der neue Bundestag die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit der demo­kratischen Fraktionen erreichen kann.

Deshalb: Die Lage duldet keinen Aufschub. Die finanziellen Herausforderungen der Kommunen wach­sen, während Investitionen für die Zukunft blockiert sind.

Solidarisches Handeln ist keine Option, sondern staatspolitische Verantwortung zur Verbesserung gleichwertiger Lebensverhältnisse und sozialer Stabilität im Land.

 

Zu den Autoren:

Bernhard Daldrup, MdB, kommunalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion

Achim Post, MdB, NRW-Landesvorsitzender, stellv. Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion

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