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Wir schaffen das – Angela Merkel und die Flüchtlingskrise

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
23. August 2025
Die Raute

Am 31. August 2015 sagte die Bundeskanzlerin Angela Merkel jenen Satz, den man heute bei aller Zurückhaltung historisch nennen kann. „Wir schaffen das“. Und meinte die Lösung einer wirklich schweren humanitären Katastrophe, wie es sie seit dem 2.Weltkrieg wohl nicht gegeben hat in der Bundesrepublik. Wir schaffen das, sagte sie fest entschlossen und ohne Angst, dabei waren Hunderttausende von Flüchtlingen, Syrern, Afghanen und Nordirakern auf der Balkanroute unterwegs nach Europa, vor allem nach Deutschland. Als die übrige europäische Welt zögerte, zeigte sie ihren Mut und ihren Humanismus, diesen Menschen zu helfen.

Ich kann mich noch an die ersten Debatten erinnern, in denen Merkel kritisiert und gefragt wurde: Wie will sie, wie wollen wir, wie sollen wir denn das alles schaffen? Ich habe Merkel, die ich nie gewählt habe, bewundert ob ihrer Worte, ihrer Entschlossenheit, ihrer Haltung und jene Kritiker gefragt: Was hätte sie denn machen sollen? Hätte sie Bundespolizei anfordern sollen, die mit Maschinenpistolen die deutschen Grenzen gesichert und die Flüchtlinge zurückgewiesen hätte? Man stelle sich nur mal vor, es wären Schüsse gefallen. Wie hätte die Öffentlichkeit reagiert, das Ausland, wenn diese Bilder um die Welt gegangen wären? Es war ein Moment, wo man als Deutscher fast ein wenig stolz war auf die Kanzlerin und ihre humane Politik, Menschen in Not zu helfen und sie nicht abzuweisen.

Seehofer kanzelte die Kanzlerin ab

Wer erinnert sich noch an die Kraftmeierei eines Horst Seehofer auf dem CSU-Parteitag, wo er die Bundeskanzlerin auf offener Bühne abkanzelte und sie neben dem Rednerpult stehen ließ. Peinlich war das, unverschämt. „Wir sind der Auffassung“, donnerte er ins Plenum seiner Parteifreunde, „dass die Zustimmung der Bevölkerung zur Bewältigung der Flüchtlingskrise nicht auf Dauer zu haben ist, wenn wir nicht zu einer Obergrenze kommen.“ Merkel hatte auf dem Parteitag traditionell ein Grußwort an die Schwesterpartei im Freistaat gerichtet, sich dabei aber bewusst nicht auf eine Obergrenze festlegen wollen. „Du weißt, dass wir hartnäckig an diesem Ziel arbeiten“, beschwor der bayerische Ministerpräsident die CDU-Chefin, „wir sehen uns bei diesem Thema wieder.“ Drohte er dann fast mit dem Bruch der Fraktionsgemeinschaft in Berlin. „Wir sind Schwesterparteien, und wir wollen das nach aller Möglichkeit auch weiter  unternehmen, auch mit unserer Bundestagsfraktion.“  Er trage „die Hoffnung im Herzen“, dass man sich „noch irgendwie verständigen“ könne. Seehofer erntete Kritik auch aus der CDU, aus der Opposition musste er sich vorhalten lassen, „oberlehrerhaft und unerhört“ gegenüber der deutschen Bundeskanzlerin aufgetreten zu sein. Von den Grünen(Claudia Roth) hieß es, Seehofers Verhalten zeuge von „schlechter Kinderstube.“ Aber so was hat die CSU noch nie interessiert, Hemdsärmeligkeit gehört zur DNA der Christsozialen.

Merkel selber verteidigte ihre Flüchtlingspolitik: „Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mehr mein Land.“ Sie stellte sich damit auch hinter Menschen, die Flüchtlinge an Bahnhöfen jubelnd und mit Blumen empfangen hatten. Diese Bilder, so Merkel, seien um die Welt gegangen und hätten international einen positiven Eindruck hinterlassen. „Da hat die Welt gesagt, das ist aber eine schöne Geste. Und das kam aus dem Herzen der Menschen.“ Zuspruch erhielt Merkel vom damaligen Trainer des FC Bayern München, Pep Guardiola. „Angela Merkel hat uns und der Welt gezeigt, wie Deutschland ist. Ich bin sehr stolz auf die deutschen Leute“, sagte der Katalane, „und darauf, in dieser Zeit in Deutschland zu arbeiten.“

Man darf nicht vergessen, dass damals 2015 immer wieder Bilder gezeigt wurden von Flüchtlingen, die in Booten übers Meer schaukelten, von Nachrichten, dass Boote gekentert und die Insassen ertrunken waren. Menschlichkeit ging trotz solcher Meldungen fast mit unter, der Egoismus der Europäer stand im Vordergrund. Dabei war nicht zu übersehen, dass manche Kommune überfordert war mit der Integration, dass es an Wohnungen fehlte, an Ausbildungsplätzen, an Deutschkursen, an Lehrern, die Flüchtlinge unterrichtet hätten. Und richtig war sicher auch, dass manche Zuweisung von Flüchtlingen regional unüberlegt war. Am Rande eines Dorfes mit vielleicht Tausend Einwohnern ein Flüchtlingsheim zu errichten für 500 Geflüchtete, muss Diskussionen auslösen. Was hätten die fremden Menschen in der Fremde machen sollen, ohne Job, ohne Deutschkurs, ohne Anschluss an eine Stadt? Die AfD frohlockte, für die Rechtsextremen war Merkels „Wir schaffen das“ wie ein Wundermittel, plötzlich hatten sie ihr Thema, konnten sie ihren Ausländerhass ausleben.

Merkels Amtsvorgänger, Gerhard Schröder(SPD) lobte, die Kanzlerin habe ein „Herz gezeigt“, und schob die Kritik gleich hinterher: „Aber sie hatte kein Konzept“. Hätte sie sich und das Land darauf vorbereiten können? Der Hilfe-Anruf Ende August 2015 aus Österreich ereilte die Kanzlerin am Wochenende, es blieb nicht viel Zeit für Konferenzen oder Absprachen, Seehofer zum Beispiel war nicht erreichbar, da er sein Handy grundsätzlich an Wochenenden abstellt. Die Geflüchteten standen quasi vor der Tür, Familien, alleinstehende Mütter mit ihren Kindern, sie mussten versorgt werden, mit Lebensmitteln, ärztliche Hilfe war erforderlich. Wir schaffen das, hat Merkel nicht einfach so gesagt, sondern überlegt, wie das eben Naturwissenschaftler tun, die vom Ende her denken.

Willkommenskultur?

Willkommenskultur? Schon damals wurde an die Integration der Millionen deutschen Vertriebenen Ende des Krieges und in den Jahren danach erinnert. Bis zu 14 Millionen Menschen waren auf der Flucht vor der Roten Armee, große Teile des damaligen Reiches waren vom Krieg zerstört, es gab kaum Wohnungen, nur wenig zu essen, Heizmaterial war knapp, es war kalt. Riesige Probleme. Und sie wurden gemeistert, weil es politisch gewollt war. Ja, es gab Widerstand, Flüchtlingen schlug manch böses Wort entgegen, sie mögen weiterziehen, man habe selber nichts, hieß es oft und das war noch die höfliche Art der Abweisung. Von wegen Willkommenskultur! Und dabei handelte es sich doch anders als heute um Deutsche, sie sprachen unsere Sprache, pflegten dieselbe Kultur.

Das Thema Migration lässt uns nicht in Ruhe. Putins Krieg gegen die Ukraine hat viele Menschen fliehen lassen, nach Polen, nach Deutschland. Wieder haben wir eine Diskussion über Überforderung, fehlende Wohnungen, die mangelnde Anbindung an den Arbeitsmarkt, es fehlen Lehrer, um die Kinder zu unterrichten. Asylpolitik bleibt umstritten, daran kann der neue Bundesinnenminister Dobrindt(CSU) nichts ändern. Und den Zulauf zur AfD nicht stoppen, die Rechtsdraußen haben in Umfragen fast die Union eingeholt.

Bundeskanzler Friedrich Merz will von der Politik Merkels nichts wissen. Aber das wusste man vor seiner Amtsübernahme schon, denn der Sauerländer und die Frau aus der Uckermark werden in diesem Leben keine Freunde mehr. Dabei hilft Merz diese Haltung wenig, längst muss er einsehen, dass sein Ziel, die AfD zu halbieren, schon jetzt, da er gerade 100 Tage im Amt ist, kaum zu erreichen sein wird. Hardline-Politik allein wird die AfD nicht schmälern. Den Fehler darf er nicht machen, dass er die Rechten kopiert, die Menschen wählen nun mal das Original. Merz sollte den Erfolg wählen, das Vertrauen der Menschen in seine Politik zu gewinnen suchen. Das Land braucht Arbeitskräfte, auch aus dem Ausland, Geflüchtete müssten besser integriert werden, versorgt werden mit Wohnungen, mit Jobs, die Schulen besser ausgestattet werden, damit Flüchtlingskinder Deutsch lernen. Das ist die Voraussetzung, dass wir uns besser verstehen, dass wir gemeinsam die Probleme lösen. Lassen wir uns nicht von den Rechten gegeneinander aufhetzen. Es stimmt auch, dass wir nicht alle aufnehmen können, aber alle wollen auch nicht nach Deutschland. Ob es einer Obergrenze bedarf, lasse ich mal dahingestellt. Die Politik muss den Eindruck vermitteln, dass sie gewillt und in der Lage ist, die Asylpolitik zu steuern. Migranten einfach zurückzuweisen, die Grenzen dich zu machen, scharfe Kontrollen, all das widerspricht doch Europas Rechtsverständnis, unserer humanistischen Haltung.

Kriege und Armut

Wir schaffen das. Der Satz bleibt richtig, wenn wir eine europäische Flüchtlings- und Asylpolitik betreiben. Abkommen mit sicheren Drittstaaten können helfen, ja der Schlüssel sein für eine moderne Migrationspolitik. Flucht und Migration werden uns noch länger beschäftigen, weil Kriege und Armut die Menschen zur Flucht treiben- auf der Suche nach einem sicheren Leben. Nur Mauern hochzuziehen und zu glauben, damit habe sich das Thema erledigt, der greift zu kurz. Es ist ein Prozess, der wahrscheinlich von Dauer ist und uns herausfordern wird.

Ja, es gibt die guten Geschichten, die bösen aber auch, wozu die Silvesternacht auf der Kölner Domplatte 2015/20116 zählt, das schlimme Messer-Attentat von Solingen vor einem Jahr, gerade findet der Prozess gegen den Tatverdächtigen statt, der eigentlich hätte abgeschoben werden sollen. Und ja, es gibt die Erfolge in der Integrationspolitik, Geschichten von jungen Flüchtlingen, die inzwischen fließend deutsch sprechen, Krankenpfleger geworden sind und jetzt sogar selber Pfleger ausbilden. Die AfD darf diesen Prozess nicht gewinnen, sie will ihn ja auch nur zerstören, wie es einer ihrer Abgeordneten gesagt hat: „Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen.“ Artikel 1 des Grundgesetzes legt fest: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Es heißt bewusst die Würde des Menschen und nicht nur die Würde des Deutschen, alle Menschen im Land sind damit gemeint. Überlassen wir den Verfassungsfeinden nicht das Feld.

Zehn Jahre ist es her, dass die Kanzlerin Angela Merkel gesagt hat: Wir schaffen das. Damals kamen rund 900000 Menschen nach Deutschland, aus Syrien, Albanien, Kosovo, Afghanistan, dem Irak. Knapp eine halbe Million Menschen stellten einen Antrag auf Asyl. Sie leben heute irgendwo in Deutschland, in Bonn, wie in Berlin, Hamburg, München, in Essen, Bochum und in Gelsenkirchen, in Halle wie in Leipzig. Deutschland ist bunt, nicht braun. Viele haben es geschafft.

 

Bildquelle: Wikipedia, Armin Linnartz, CC BY-SA 3.0

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