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Home Politik

Kein Geld mehr für die NPD? Karlsruhe öffnet neuen Weg im Kampf gegen Rechtsextreme

Rainer Zunder Von Rainer Zunder
16. März 2017
Bundesverfassungsgericht

Die rechtsextreme NPD soll nicht länger Steuergelder aus der staatlichen Parteienfinanzierung erhalten. Nach einem deutlichen Fingerzeig vom Bundesverfassungsgericht, macht sich die Politik daran, die Gesetze entsprechend zu ändern. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) unterstützt die Bundesratsinitiative, die auf die Begründung zur Karlsruher NPD-Entscheidung zurückgeht. Das wird ein spannender Prozess.

Am 17. Januar 2017 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe unter dem Vorsitz des Verfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle sein Urteil im NPD-Verbotsverfahren verkündet (AZ: 2 BvB 1/13). In seiner ausführlichen Urteilsbegründung weist das Gericht den Antrag des Bundesrats auf Verbot der rechtsextremistischen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands und ihrer Unterorganisationen als „unbegründet“ zurück.
Dies war innerhalb von anderthalb Jahrzehnten schon der zweite Misserfolg von Verfassungsorganen, die das höchste deutsche Gericht in einem Verbotsverfahren gegen die NPD gemäß Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz angerufen hatten.

Am 18. März 2003 stellte das Bundesverfassungsgericht wegen der Unterwanderung der NPD durch V-Leute des Verfassungsschutzes das von den Verfassungsorganen Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung ange¬strengte Verbotsverfahren ein (AZ: 2 BvB 1/01, 2 BvB 2/01, 2 BvB 3/01). Zehn Jahre später gab es erneut Pläne, die Partei verbieten zu lassen. Diesmal war es allein der Bundesrat, der in Karlsruhe einen Verbotsantrag stellte, Bundestag und Bundesregierung beteiligten sich nicht.

Nachdem in den Jahren nach 2003 die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern ihre V-Leute aus den NPD-Gremien abgezogen hatten, schienen die Chancen für ein Parteiverbot gut zu sein. Es wäre das dritte in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gewesen.

Als erste wurde 1952 die Sozialistische Reichspartei Deutschlands (SRP), eine Nachfolgeorganisation der NSDAP, als verfassungswidrig verboten (AZ: BVerfGE 2, 1). Den Antrag hatte die Bundesregierung im November 1951 in Karlsruhe eingereicht. Etwa zeitgleich war auch der Antrag, die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) zu verbieten, beim Bundesverfassungsgericht eingegangen. Doch während im Fall SRP die Zeit bis zum Verbot mit sieben Monaten extrem kurz war, tat sich das Gericht mit einem KPD-Verfahren recht schwer. Es vergingen fast fünf Jahre, bevor die Partei im August 1956 als verfassungswidrig verboten wurde (AZ: BVerfGE 5, 85).

Einen Sonderfall bildet das Verbot der rechtsextremistischen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP), dem unter anderem der mehrfach vorbestrafte Dortmunder Neonazi Siegfried Borchardt („SS-Siggi“) als Führungsmitglied angehörte. 1993 reichte die damalige Bundesregierung in Karlsruhe den Antrag auf Parteiverbot ein. Im Jahr darauf stellten die Verfassungsrichter allerdings fest, dass die FAP gar nicht die Kriterien einer regulären Partei erfüllte, dass sie sich also nicht auf das Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 1 GG berufen konnte (AZ: 2 BvB 2/93, 2 BvB 3/93). Dies gab dem damaligen Bundesinnenminister die Möglichkeit, die FAP 1995 nach Vereinsrecht zu verbieten.

Die zwei „echten“ Parteiverbote sowie die FAP-Entscheidung schrieben Rechtsgeschichte. Schon 1952 und 1956 steckte das Gericht in Karlsruhe die Grenzen ab, innerhalb derer Parteiverbote verhängt werden können. 1994 stellte das Gericht klar, was eine Partei vorweisen muss, um die Segnungen des Parteienprivilegs für sich in Anspruch nehmen zu können.

Ein gutes Urteil aus Karlsruhe

Über Sinn und Zweck eines Verbots der NPD ist in den vergangenen Jahrzehnten des Öfteren diskutiert worden. Gerade in jüngerer Zeit war häufiger zu hören, das NPD-Problem sei inzwischen eher nachrangig, viel brisanter sei insbesondere in Nordrhein-Westfalen das Auftreten der Partei Die Rechte. Und trotzdem wäre jetzt ein Verbot der NPD gut vorstellbar gewesen. Das umso mehr, als einige zentrale Sätze aus den Urteilsbegründungen von 1952 und 1956 präzise auf diese Partei zugeschnitten zu sein schienen.

Dennoch soll die Auswertung der Entscheidung vom 17. Januar 2017 nicht in eine Urteilsschelte münden. Eher im Gegenteil: Wer sich die Mühe macht, die gut 250 Seiten und mehr als tausend Randnummern umfassende Urteilsbegründung zu lesen und durchzuarbeiten, wird zu dem Schluss kommen, dass dies ein gutes, rechtlich wie politisch-gesellschaftlich weiterführendes Urteil des höchsten deutschen Gerichts ist. Von zentraler Bedeutung sind zwei unmittelbar ineinandergreifende Punkte, die in Sachen Parteienrecht die künftige verfassungsrechtliche und politische Debatte nachhaltig prägen werden; der Bundesrat hat mit der Ankündigung einer verfassungsändernden Gesetzesinitiative damit bereits begonnen.

Schärfste Waffe des demokratischen Rechtsstaats

Im Urteil vom 17. Januar 2017 listet das Bundesverfassungsgericht sämtliche Voraussetzungen für ein Verbot auf, das „die schärfste Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde darstellt. Es soll den Risiken begegnen, die von der Existenz einer Partei mit verfassungsfeindlicher Grundtendenz ausgehen“. Ausschlaggebend ist der Begriff „freiheitliche demokratische Grundordnung“ in Art. 21 Abs. 2 GG, also „die zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind“. Diese Grundprinzipien hat das Bundesverfassungsgericht bereits in den Urteilen von 1952 und 1956 aufgezählt:

■ die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten;
■ die Volkssouveränität;
■ die Gewaltenteilung;
■ die Verantwortlichkeit der Regierung;
■ die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung;
■ die Unabhängigkeit der Gerichte;
■ das Mehrparteienprinzip;
■ die Chancengleichheit für alle politischen Parteien;
■ die Vereinigungsfreiheit;
■ der Parlamentarismus;
■ das Erfordernis freier Wahlen in relativ kurzen Zeitabständen;
■ die Anerkennung von Grundrechten, insbesondere die Menschenwürde als oberster und unantastbarer Wert in der freiheitlichen Demokratie.

Dass die NPD all dies ablehne und nicht anerkenne, stellen die Karlsruher Richter ausdrücklich fest, ebenso dass die Partei „eindeutig und nachhaltig die nationalsozialistische Ideologie“ vertrete. Unstreitig ist auch, dass – als letztes, ausschlaggebendes Kriterium – die NPD „eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung“ einnehme. Im KPD-Urteil von 1956 hatte das Gericht zudem ausdrücklich entschieden, eine Partei könne auch dann verfassungswidrig im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG sein, wenn nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf bestehe, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können.

Alles dies zusammengenommen hat ausgereicht, die KPD zu verbieten. Nicht so rund 60 Jahre später im NPD-Verfahren. Hier wich das Gericht explizit vom Urteil der Kollegen von 1956 ab und entschied: „Ein Parteiverbot kommt nur in Betracht, wenn eine Partei über hinreichende Wirkungsmöglichkeiten verfügt, die ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheinen lassen.“ Und, noch deutlicher: „An der hiervon abweichenden Definition im KPD-Urteil … hält der Senat nicht fest.“

Die Partei, die nie eine Fraktion im Bundestag hatte, zählt derzeit unter 6000 Mitglieder, ist in keinem Landtag mehr vertreten und zählt nur noch einen Abgeordneten im Europaparlament und bundesweit rund 360 Mandate in Kommunalparlamenten. Sie ist damit nach allgemeiner Anschauung gänzlich bedeutungslos.

Warnung vor einer Schlappe in Straßburg

Exakt hier setzten Vertreter anderer Verfassungsorgane an (wie beispielsweise 2012 die Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen), die den Bundesrat davor warnten, ein Verbotsverfahren einzuleiten. Die Gefahr, dass die NPD gegen ein Verbotsurteil den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg anrufen würde und dort Recht bekäme, sei zu groß. Da die Bundesrepublik Deutschland der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) beigetreten ist, sind für sie auch die Entscheidungen des EGMR bindend. Hätte das Bundesverfassungsgericht die verschwindend kleine und unbedeutende NPD verboten, wäre die Bundesrepublik aller Wahrscheinlichkeit nach in Straßburg verurteilt worden.

In seiner 250-seitigen Urteilsbegründung setzt sich das Bundesverfassungsgericht ausführlich mit der Rechtsprechung des EGMR auseinander, der in den vergangenen knapp 20 Jahren mit zahlreichen Fällen von Parteiverboten befasst war, darunter in Russland, Rumänien, Bulgarien, Spanien und – recht oft – der Türkei. Dabei wurde klar, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte deutlich schärfere Bedingungen an ein Parteienverbot knüpfte als in früheren Jahrzehnten das Bundesverfassungsgericht. Zentraler Punkt dabei: Für ein Verbot reichen eine verfassungsfeindliche bzw. verfassungswidrige Ausrichtung einer auch vor Aggression und Gewalt nicht zurückschreckenden Partei nicht aus, vorliegen müsse eine „hinreichend nachgewiesene und unmittelbare Gefahr“ für die Demokratie, es müsse Erfolgschancen geben.

So hob der EGMR Verbotsurteile aus der Türkei auf, weil „die jeweils betroffene Partei keine reale Chance zur Herbeiführung politischer Veränderungen gehabt“ habe. Andererseits bestätigte er 2003 das Verbot der Refah Partisi („Wohlfahrtspartei“, stellvertretender Parteichef war damals der heutige Präsident Recep Tayyip Erdogan), die bei Wahlen zum Zeitpunkt des Verbots auf über 21 Prozent gekommen war und durchaus Chancen hatte, ihre verfassungsfeindlichen Ziele durchzusetzen.

Künftig kein Staatsgeld mehr für Verfassungsfeinde?

Wo die Abkehr von einem zentralen Begründungsstrang des KPD-Urteils schon äußerst bemerkenswert war, weil sie das Verbot der NPD verhinderte, sorgte ein zweiter Punkt in der Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts womöglich für noch größere Aufmerksamkeit. Fast wie aus heiterem Himmel wies Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle schon während der Urteilsverkündung darauf hin, es gebe außer dem Verbot einer Partei ja „noch andere Reaktionsmöglichkeiten“, etwa den Entzug der staatlichen Parteienfinanzierung. Darüber habe allerdings nicht Karlsruhe zu entscheiden, sondern „der verfassungsändernde Gesetzgeber“, also Bundestag und Bundesrat.
Fürwahr eine kleine Sensation. Schließlich hatte man uns jahrzehntelang gepredigt, die unerträgliche Alimentierung faschistischer, aber nicht verbotener Parteien folge aus dem Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 1 GG, da sei leider nichts zu machen. Verbot oder Nicht-Verbot, dazwischen gebe es nichts.
Gibt es eben doch, wie sich jetzt zeigt.

Auch in diesem Punkt zieht der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts die Rechtsprechung des EGMR heran. In mehreren Verfahren hatten sich die Straßburger Juristen zur Frage „abgestufter Rechtsfolgen“ geäußert. Danach sind Sanktionen unterhalb des Parteienverbots – der einzigen Sanktion, die das deutsche Grundgesetz kennt – durchaus möglich und in den Verfassungen diverser Staaten vorgesehen. Dazu schreibt die Wiener Parteienrechtlerin Şeyda Emek: „Nach der türkischen Verfassung von 2001 kann das Verfassungsgericht den teilweisen oder vollständigen Entzug der staatlichen Parteienfinanzierung anordnen, statt ein endgültiges Verbot und die Auflösung der Parteiorganisation anzuordnen. In anderen Staaten, wie z.B. in Spanien, Bulgarien oder Moldawien, können die Gerichte auch zeitlich befristete Verbote der politischen Betätigung aussprechen.“

Im Karlsruher NPD-Urteil heißt es denn auch folgerichtig: „Es ist Sache des jeweiligen nationalen Rechts, unter Berücksichtigung der Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention zu regeln, ob und inwieweit gegenüber Parteien, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, Sanktionen ergriffen werden dürfen. Dabei bleibt es dem nationalen Gesetzgeber unbenommen, völlig auf eine Sanktionierung zu verzichten, gestufte Sanktionsmöglichkeiten zu eröffnen
oder sich auf die Sanktion des Parteiverbots zu beschränken.“

Erste Pläne für eine Grundgesetzänderung

Wieso hat das bislang niemand aus dem Heer hochdotierter und angeblich hochqualifizierter Verfassungsjuristen in zahlreichen Ministerien, bei der Bundesregierung, im Bundestag und im Bundesrat erkannt? Auch ihnen müssen doch die Urteile des EGMR nach dessen Reform 1998 vorgelegen haben.
Lediglich das Bundesland Niedersachsen gab 2008 bei dem Verfassungsrechtler Prof. Volker Epping von der Universität Hannover ein Gutachten darüber in Auftrag, wie die staatliche Teilfinanzierung der NPD verhindert werden könne. Ausschlaggebend ist für Epping, „ob eine Partei Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verfolgt“ – also ob sie verfassungsfeindlich ist. Darüber soll nach seiner Ansicht der Bundestagspräsident entscheiden, denn der sei schließlich diejenige Behörde, „die ohnehin schon über die Parteienfinanzierung entscheidet“. Gegen einen entsprechenden Beschluss des Bundestagspräsidenten könne dann die Partei „direkt beim Bundesverwaltungsgericht klagen“, auch die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht stehe ihr selbstverständlich offen.

„Die Versagung der Finanzierung von Parteien, die mit ihren Zielen eindeutig außerhalb des Grundgesetzes stehen, wäre zum Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung geboten“, stellt auch die Parteienrechtlerin Şeyda Emek fest. Den von Epping vorgeschlagenen Weg, wie Parteien von der Finanzierung durch den Staat abgeschnitten werden könnten, schließt sie allerdings aus: „Die Maßnahmen würden weder durch das Innenministerium noch durch den Parlamentspräsidenten angeordnet werden, sondern vom Verfassungsgericht selber, so dass das Parteienprivileg gewahrt wäre.“

Im September 2012, als sich abzeichnete, dass im Jahr darauf in Karlsruhe ein erneuter Verbotsantrag gegen die NPD eingereicht werden würde, bedauerte es Epping in einem Interview, dass die Politik, abgesehen vom Land Niedersachsen, „weiterhin allein den Weg des Parteiverbotsverfahren verfolgt“. Und es klingt schon beinahe prophetisch, wenn er fortfährt: „Dies mag sich ändern, wenn man zu dem Befund gelangen sollte, dass ein erneutes Parteiverbotsverfahren zu risikoreich sei. Warten wir die nahe Zukunft ab.“ Zum Befund des zu großen Risikos ist letztlich das Bundesverfassungsgericht selbst gelangt.

Jetzt liegen erste Grundsatzbeschlüsse zu einer Verfassungsänderung vor. Die Bundesländer und der Bundesjustizminister haben sich geäußert. In einer Entschließung fordert der Bundesrat, es müsse schnellstmöglich alles dafür getan werden, „dass Parteien, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen und deren politisches Konzept die Menschenwürde missachtet, nicht mit staatlichen Mitteln in die Lage versetzt werden, ihre Ziele zu verwirklichen“. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hält sogar einen Vollzug noch vor der Bundestagswahl im September 2017 für möglich. Hinsichtlich dieses Termins sind allerdings Zweifel angesagt.

Bildquelle: Wikipedia, Bundesarchiv, B 145 Bild-F083310-0001 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA 3.0

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Tags: Finanzierung extremistischer ParteienNPDParteienfinanzierungParteiengesetzRechtsextremismusUrteil des BundesverfassungsgerichtsVerfassungsfeindlichkeit
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