André Poggenburg

AfD-Rechtsaußen Poggenburg gründet neue Partei – oder: Wem gebührt die Deutungshoheit über den Begriff „Patriotismus“?

Neues aus dem weit rechten politischen Spektrum: André Poggenburg aus Sachsen-Anhalt verlässt die AfD und gründet eine neue Partei. So weit – so schlecht? So weit – so gut? Darauf zu antworten, ist müßig. Warum sollten sich Demokraten, namentlich linke Demokraten den Kopf zerbrechen, was solche Erosionserscheinungen für die Partei der Gaulands und Weidels bedeuten könnten. Mögen sie sich doch zerlegen, was soll’s.

Etwas anderes macht zornig. Der stramm nationalistische Poggenburg nennt seine neue Partei „Aufbruch deutscher Patrioten“. Das ist schon wieder einer der Fälle, in denen die extreme Rechte die Deutungshoheit über einen Begriff beansprucht, der aus dem Lager der linksbürgerlichen Demokratiebewegung stammt. Vor 35 Jahren haben sie das Wort Republikaner für eine Partei reklamiert, die nun wahrlich nicht in der deutschen Freiheitstradition stand. Später dann traten rechte Formationen wie die AfD unter der Flagge Schwarz-Rot-Gold an, die aus den deutschen Revolutionen hervorgegangen war und nach 1918 von der SPD zur Farbe des Deutschen Reichs erhoben wurde.

Und nun Poggenburgs Patrioten. Als am 23. Mai 1999 Johannes Rau gerade zum Bundespräsidenten gewählt worden war, sagte er unter anderem diesen bemerkenswerten Satz: „Ich will nie ein Nationalist sein, aber ein Patriot wohl. Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt – ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.“ In dieser guten Tradition steht offenbar auch der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, der am 11. November 2018, hundert Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, konstatierte: „Nationalismus ist der Verrat am Patriotismus.“

Es würde schon sehr verwundern, wenn diese Sicht des Patriotismus sich mit der des Parteigründers Poggenburg deckte. Und schier widersinnig wäre es, seine Patriotensicht mit dem von Dolf Sternberger und Jürgen Habermas entwickelten demokratischen Programm des „Verfassungspatriotismus“ in Beziehung bringen zu wollen – denn da geht es um Werte, die seit der Aufklärung erstritten und vor siebzig Jahren endlich im Grundwertekanon des Deutschen Grundgesetzes verankert wurden: also um die Würde des Menschen, die Freiheitsrechte, die Gleichheit vor dem Gesetz, um den demokratischen Rechtsstaat, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung.

Dafür, dass diese Werte zum anerkannten Allgemeingut würden, in Deutschland, in Europa, in der Welt, haben auch deutsche Patrioten gekämpft:

– Die Journalistenkollegen Philipp Jakob Siebenpfeiffer und Johann Georg August Wirth, die 1832 beim Hambacher Fest erstmals Tausende Demokraten gegen die reaktionäre, restaurative Politik des Fürsten Metternich mobilisierten;

– Robert Blum, Abgeordneter im ersten frei gewählten deutschen Parlament, der Frankfurter Nationalversammlung, und führender Demokrat und Republikaner während der bürgerlichen Revolution von 1848, den die Habsburger Staatsmacht in eklatanter Missachtung seiner Abgeordnetenimmunität in Wien erschießen ließ;

– schließlich der Dichter Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Wegen demokratischer Umtriebe wurde er vom preußischen Staat aus seiner Professur entfernt und insgesamt 39 Mal aus deutschen Staaten, allen voran Preußen, ausgewiesen. Sein berühmtestes Werk, das „Lied der Deutschen“, schrieb er 1841 auf der Insel Helgoland, wo er keine Verfolgung befürchten musste – die Insel gehörte damals zu England.

Die Reihe verfolgter, exilierter, diffamierter deutscher Patrioten ließe sich beinahe endlos fortsetzen: der niederdeutsche Dichter Fritz Reuter, der im 19. Jahrhundert wegen Majestätsbeleidigung sieben Jahre in preußischer Festungshaft saß; die Göttinger Sieben, sämtlich Professoren, unter ihnen die Brüder Grimm, die 1837 gegen den Verfassungsbruch des Königs von Hannover protestiert hatten und aus ihren Ämtern, zum Teil auch aus dem Land gejagt wurden; nicht zuletzt Heinrich Heine, der viele Jahre im Pariser Exil lebte, weil er hier die Freiheit zu schreiben hatte, aber zeitlebens ein glühender deutscher Patriot blieb.

Infam und widerlich war, wie nach dem Zweiten Weltkrieg in der jungen Bundesrepublik diejenigen behandelt wurden, die nach 1933 vom nationalsozialistischen Deutschland ins Exil getrieben wurden bzw. aus Angst um Leib und Leben Zuflucht im demokratischen Ausland gesucht hatten. Für den herrschenden politischen Konservatismus der 1950er und 1960er Jahre und für die wieder in Amt und Würden sitzenden Altnazis waren sie vaterlandslose Gesellen, denen jegliches Recht auf Teilhabe im neuen Staat abgesprochen wurde.

Das wohl bekannteste Opfer dieser giftigen Tiraden vom rechten Flügel war der Norwegen-Emigrant, SPD-Politiker und spätere Bundeskanzler Willy Brandt, auch er ein patriotischer deutscher Demokrat. Für ihn traten in den ehrabschneidenden Debatten jener Jahre zwei Schriftsteller ein, Heinrich Böll und Günter Grass, auch sie zweifelsfrei Patrioten, auch sie Zielobjekte rechter Parteien und der Springerpresse, selbst dann noch, als sie, ebenso wie Brandt, mit Nobelpreisen geehrt wurden und sehr zur Mehrung des Ansehens ihres Vaterlandes in der Welt beitrugen.

Was heißt das alles für uns? Wir sollten, wenn es um den Begriff Patriotismus geht, die Deutungshoheit nicht den Rechten überlassen (den Nationalismus, ganz im Sinne von Rau und Macron, überlassen wir ihnen hingegen gern). Wir stehen an der Seite der guten Traditionen unseres Landes, und diese guten Traditionen sollten / könnten uns Leitbild sein. Leider muss eingestanden werden, dass sich die deutsche demokratische Linke jahrzehntelang einer solchen Diskussion rundum verweigert und so dieses Feld dem politischen Gegner vom rechten Rand überlassen hat. Als Peter Brandt und Herbert Ammon Mitte der 1980er Jahre ihr Buch „Die Linke und die nationale Frage“ herausbrachten, reagierten linke Intellektuelle mit heftigstem Protest.

Man muss nicht jeden Fehler wiederholen. Es könnte ja endlich einmal auch der linke Teil der Gesellschaft geschichtsbewusst über Patriotismus beziehungsweise den Antagonismus Patriotismus / Nationalismus nachdenken. Einen Popanz, ein Tabu aufzubauen, bringt den Diskurs im Land nicht weiter – derlei leitet nur Wasser auf die Mühlen der Poggenburgs.

 

Bildquelle: Rufusmovie, via WikimediaCC BY 3.0

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(✝) 1943-2020 Rainer Zunder war als Politikredakteur für die Westfälische Rundschau in Dortmund tätig. Seit dem Eintritt in den Ruhestand engagierte er sich ehrenamtlich in der Evangelischen Kirche, im Dortmunder Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus und im Arbeitskreis Christen gegen Rechts.


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