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Altnazis saßen in vielen Ministerien – Präsidialamt wird jetzt untersucht

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
5. April 2020
Braune Blätter

75 Jahre ist das nun bald her, das Ende der Nazi-Barbarei in weiten Teilen Europas. Am 8. Mai 1945 kapitulierte das NS-Regime, Hitler, Goebbels und andere hatten sich das Leben genommen und sich ihrer Verantwortung für die Massen-Verbrechen vor der Welt entzogen. Aber viele Mittäter in den Behörden, in den neuen demokratischen Ministerien machten einfach weiter, sie wechselten das braune gegen ein weißes Hemd, waren irgendwie rehabilitiert, ohne je Reue gezeigt zu haben oder bestraft worden zu sein für das, was sie verbrochen, anderen angetan hatten. Einige Ministerien wie das Justizressort und das Auswärtige Amt wurden in der Vergangenheit unter die Lupe genommen und herauskam, was herauskommen musste: viele Altnazis waren plötzlich Demokraten geworden. Kein Ruhmesblatt für die aus den Ruinen des Zweiten Weltkrieges aufgebaute Bundesrepublik. Jetzt wird das Bundespräsidialamt auf „seine braunen Geister“ geprüft, so die Überschrift einer Cicero-Geschichte über einen Vorgang, der in den Medien bisher weitgehend unbeachtet blieb. Es geht um die Vergangenheitsbewältigung im höchsten deutschen Amt, endlich, darf man ergänzen, wird der Frage nachgegangen, inwieweit einzelne Beamte, die nach 1945 Karriere in feinem Zwirn machten und auch sonst eine gute Figur, zum Netzwerk des NS-Regime gehört hatten oder ob gar das Amt eine Art „Sammelbecken von Altnazi-Seilschaften“ war.  

Aufschlussreich die ersten Reaktionen auf die Meldung in Cicero, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Untersuchung seines Amtes angeordnet habe. Leser machten ihrem Unmut darüber Luft und forderten, man möge doch die „Ent-Deckung und Entfernung“ von Tätern des SED-Regimes vorantreiben. Das wäre tausendmal wichtiger. Ein anderer wies darauf hin, viele ehemalige Stasi-Mitarbeiter säßen heute für die Linke in den Parlamenten. So ist das also, da wird aufgerechnet, Nazi-Diktatur gegen SED-Herrschaft. Ich will das kommunistische System in Ostberlin nicht schönreden, wir haben in diesem Blog bei Gelegenheit vom Unrechtsstaat gesprochen, haben Mauer und Stacheldraht als das bezeichnet, was sie waren, Instrumente von Diktaturen, um die eigenen Landsleute in ihrem Gefängnis-Staat DDR  zu halten. Die Stasi habe ich des Öfteren als kriminelle Vereinigung eingestuft. Und so weiter.

Aber hier geht es um anderes, die Verbrechen der Nazi-Zeit, die Vertuschung, die es gegeben hat, darum, dass es vielen in der BRD gerade Recht war, nach 1945 mit den Kommunisten einen neuen Feind entdeckt zu haben, mit dem man schnell die Nazi-Zeit wegdrücken konnte. Es geht darum, dass es vielen, viel zu vielen Alt-Nazis leicht gemacht wurde, nach dem Ende der braunen Diktatur einfach als Demokrat aufzutreten. Es wurde deren Vergangenheit nie untersucht, es wurde nie ermittelt. Mehr noch, das braune Netzwerk im Westen der Republik fing sie auf und ließ sie aufsteigen im Wirtschaftswunderland.

Nichts gewusst vom Holocaust

Zurück zum Präsidialamt: Ohne dem Ergebnis vorgreifen zu wollen, darf man getrost davon ausgehen, dass auch im Bundespräsidialamt einstige Nazis fröhlich pfeifend ihrer Tätigkeit nachgehen konnten. Verdrängen und vergessen, das war die Haltung vieler Westdeutscher nach dem Ende der Nazi-Herrschaft, mit dem Erbe dieser verbrecherischen NS-Regierung, der einst Millionen zugejubelt hatten ob der Blitzsiege gegen Polen und Frankreich, wollten sie nichts mehr zu tun haben. Die einen hatten nichts gewusst vom Holocaust, so gaben sie später an, auch wenn sie mitangesehen hatten, wie ihre jüdischen Nachbarn plötzlich abgeholt wurden oder einfach verschwanden und nicht wiederkehrten. Andere hatten zwar die „arisierten“ Geschäfte der Juden für billig Geld erstanden, deren Möbel und was sonst noch an Wertgegenständen dem jüdischen Teil der deutschen Bevölkerung abgenommen wurde, aber sie hatten  sich nichts dabei gedacht. Klar, wie auch.

Zwar bekannte Konrad Adenauer kurz nach dem Krieg, es gebe keine Zweifel an den nationalsozialistischen Verbrechen, schon gar nicht daran, dass das deutsche Volk mitschuldig geworden sei. Adenauer war kein Nazi, er hatte Unterschlupf gefunden im Kloster Maria Laach, wo er von der Gestapo unentdeckt blieb, aber dieser Adenauer war auch derjenige, der mit Hans Globke einen Mann zu seinem Chef des Kanzleramtes machte, der wesentlich in der Nazi-Zeit mit darüber entschieden hatte, wer Jude welchen Grades war und deshalb eben deportiert und in Auschwitz oder anderswo ermordet wurde. Globke hatte als Kommentator die Nürnberger Rassegesetze mitverfasst und diente dennoch dem ersten Kanzler der Republik als rechte und linke Hand. Der Alte aus Rhöndorf plädierte wie das Volk für vergessen, ungeachtet der Schuld, die er weiten Teilen des Volkes zugesprochen hatte. Und deshalb sprach er 1952 diese Sätze: „Man kann doch ein Auswärtiges Amt nicht aufbauen, wenn man nicht wenigstens zunächst an den leitenden Stellen Leute hat, die von der Geschichte von früher her etwas verstehen.“

Es fehlte also an Personal, an „Leuten, die nicht mitgemacht hatten“, wie das Willi Winkler bitterböse in seinem Buch „Das braune Netz“ formuliert. Und weil das so war, tauchten ehemalige NSDAP-Mitglieder nahezu überall auf, wo Leute fehlten. Winklers Fazit: „Mit Ausnahme von Gustav Heinemann waren alle Bundespräsidenten von Theodor Heuss bis Roman Herzog vom Nationalsozialismus kontaminiert, aber sie waren wie vom Grundgesetz vorgeschrieben älter als 40 Jahre und kamen aus der Mitte eines Mitläufervolkes“.

Alte Nazis redeten überall mit. Sie waren auch überall: Kurt-Georg Kiesinger wurde zunächst Ministerpräsident von Baden-Württemberg und 1966 Bundeskanzler der Großen Koalition, als solcher saß er neben Willy Brandt, einem Sozialdemokraten, der vor den Nazis das Land verlassen musste, um sein Leben in Skandinavien zu retten. Später musste sich dieser Willy Brandt gegen CSU-Unverschämtheiten wehren, die ihn anblafften, sie wüssten, wo sie während der Hitler-Jahre gewesen wären. „Wo waren Sie, Herr Brandt?“ Die Heuchelei war groß im einstigen Land der Dichter und Denker, aus dem das Volk der Richter und Henker geworden war.

Hochhuth und furchtbare Juristen

Oder man nehme den Fall Filbinger, wie Kiesinger Ministerpräsident in Stuttgart. Und wer weiß, ob dieser Filbinger, Marinerichter in der Nazi-Zeit, nicht Bundespräsident geworden wäre, hätte nicht Augsteins „Spiegel“ in Filbingers Vergangenheit geblättert und jenen Satz veröffentlicht, der schließlich das Ende der politischen Laufbahn des CDU-Mannes bedeutete: „Was früher Recht war, kann doch heute nicht Unrecht sein.“ Professors Ingo Müller, Verfasser des Buches „ Furchtbare Juristen“, kommentierte diese Einstellung so: „Dieser Ausdruck an Unbelehrbarkeit, das Beharren auf der Rechtmäßigkeit der unmenschlichen Justiz des Dritten Reiches, zeigte erst die ganze Furchtbarkeit jenes Juristen und vieler Berufskollegen seiner Generation, denn der Marinerichter a.D. Filbinger war kein Einzelfall.“  Rolf Hochhuth, der ältere Zeitgenosse wird sich erinnern, nannte Filbinger wegen einiger Urteile aus der Kriegs- und Nachkriegszeit einen „furchtbaren Juristen“. Filbinger ging vor Gericht, Hochhuth wurde freigesprochen.

Dabei muss Justiz nicht zwangsläufig etwas Furchtbares sein und muss nicht unbedingt den Klang eines Peitschenhiebes haben, wirft Ingo Müller zu Recht ein. Auch Deutschland habe mal als Synonym für Recht und Gerechtigkeit gegolten und es habe Zeiten gegeben, da hätten sich große Teile der Richterschaft bemüht, diesem Anspruch gerecht zu werden. Wie wahr, aber es gab eben auch diese Herrschaft des Unrechts, die das Recht des Stärkeren zum Inhalt hatte und nicht die Stärke des Rechts.  

Carl Schmitts Polemik gegen Juden

Die Karriere des Staatsrechtlers Carl Schmitt aus dem sauerländischen Plettenberg gehört hierher, ein furchtbarer  Jurist, der sich bei den Nazis anbiederte wie kaum ein anderer und der auf einem von ihm organisierten Fachkongress 1936- Thema: Das Judentum in Rechts- und Wirtschaftswissenschaft-vom Rednerpult polemisiert hatte: „Der Jude hat zu unserer geistigen Arbeit eine parasitäre, eine taktische und händlerische Beziehung. Mit großer Findigkeit und schneller Wirkung weiß er das Rechte zu treffen. Das ist sein Instinkt als Parasit und echter Händler.“ Zitiert nach Prof. Ingo Müller, der dann daran erinnert, wie Carl Schmitt, der 1984 verstarb, zu seinem 80.Geburtstag von der juristischen Fachwelt begeistert gefeiert worden sei, Ausdruck der Wertschätzung, die dieser Jurist auch für seine demokratiefeindlichen Lehren genossen habe. Man reibt sich die Augen.

In dieses Kapitel passt die Geschichte von Fritz Bauer, der gegen viele Widerstände die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt durchsetzen konnte. Oder der Bundesgerichtshof, der 1959 dem SS-General Simon das Rechtsprivileg zugebilligt hatte, obwohl der „noch in den letzten Stunden des Kriegs jeder Rechtlichkeit hohnsprechende Standgerichtsurteile mit der Bemerkung bestätigt hatte: „Aufhängen muss man diese Kerle,alle .“ (Zitiert nach prof. Müller)

„Die frühe Bundesrepublik“, schreibt Willi Winkler, SZ-Redakteur in seinem Buch „Das braune Netz“, „war ein einziger Skandal.“ Überall in den Ministerien saßen Nazis, wie Studien belegt haben, sie saßen im Bundestag wie den Länderparlamenten, bei der Polizei, in den Ministerien, „sie saßen zu Gericht, in manchen Fällen sogar über ihre ehemaligen Opfer.“ Eine Partei der ehemaligen NSDAP-Mitglieder hätte bis in die 60er Jahre die größte Fraktion im Bundestag stellen können. Oder, anderes Beispiel: 90 Prozent der Berufssoldaten der neuen Bundeswehr hatten schon in der Wehrmacht gedient.

Aus Tätern wurden Opfer

Nehmen wir den Bezug zur DDR und vergleichen: der SED, dem Zwangs-Zusammenschluss aus KPD und SPD in der DDR, gehörten rund 2,2 Millionen Mitglieder an. 1989, als die DDR zusammenbrach, war auch diese Mitgliedschaft, die früher der eigenen Karriere förderlich war, ein Grund, entlassen zu werden. Einstige NSDAP-Mitglieder in der BRD wurden quasi rehabilitiert, sie konnten wieder Beamte werden oder hatten zumindest den Anspruch darauf. Ein Amnestiegesetz regelte dies und das. Und befriedete so das geschundene Land und die Leute.

In der BRD  beklagte man vielfach das Leid der Opfer,  Millionen waren vertrieben worden aus den Ostgebieten, ein Verbrechen, keine Frage. Die Deutschen, das Volk der Täter, das halb Europa überfallen hatte, wurden ein Volk der Opfer, Opfer waren die Soldaten, die im Krieg umgekommen waren, in Stalingrad gefallen oder in Kriegsgefangenschaft geraten waren. Dass die Sowjetunion rund 25 Millionen Tote im Krieg zu beklagen hatte, wurde er später thematisiert. Einer, der diesen Opfermythos bestens verkörperte, war Albert Speer, Hitlers Rüstungsminister, in Nürnberg verurteilt, in Spandau eingesessen und nach 25 Jahren wieder auf freiem Fuß. Er ließ sich feiern, weil er sich doch als unschuldig sah, er war zwar Hitler nachgelaufen, aber, so wie er auftrat, anständig geblieben, wie Winkler das beschreibt. Da geht dann spätestens dem Betrachter der Hut hoch.

75 Jahre nach Hitlers Ende redet kaum noch einer davon, dass man einen Schlußstrich ziehen müsse. Nein, es ist gut, dass man die Vergangenheit des Bundespräsidialamtes untersucht, auch wenn die Täter und die Opfer meistens schon tot sind. Wir sind es den Nachkommen schuldig, diese schlimmen Jahre deutscher Geschichte wachzuhalten, um aufzuzeigen, wohin Nationalismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit ,Rassismus und Antisemitismus führen können. Zumal es mit der AfD eine Partei gibt, die in allen Parlamenten vertreten ist, und die in ihren Reihen Neonazis hat, Rassisten, Antisemiten, Faschisten wie den Thüringer Landesvorsitzenden Höcke, eine Partei, die der bayerische Ministerpräsident und CSU-Parteichef Markus Söder die „neue NPD“ nennt.

Quellen:
Ingo Müller: Furchtbare Juristen. Berlin 2014. Edition Tiamat.  ISBN:978-3-89320-179-2.
Willi Winkler: Das braune Netz. Rowohlt-Verlag Berlin 2019. 414 Seiten. ISBN 978 3 7371 0039 7.

Bildquelle: Pixabay, Bild von Manfred Richter, Pixabay License

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