Tucholskys letzter Eintrag in sein Sudelbuch, 1935

„Blacky“  war eine linke Institution – Zum Tod des Journalisten Rolf-Dietrich Schwartz

Er hieß „Blacky“, der Rolf-Dietrich Schwartz, der schon zu Lebzeiten eine Legende war, eine linke Institution. Sein Alleinstellungsmerkmal-ohne anderen linken Kollegen nahe treten zu wollen- als Wirtschaftsjournalist war eben, dass er anders dachte als die anderen, er dachte links, war erklärter und fundierter Kritiker des Kapitalismus. In der Bundespressekonferenz(BPK) in Bonn saß er meistens in der hinteren Reihe. Und man konnte sicher sein, wenn die Ausführungen vom Podium des Vorstands, auf dem der amtierende Vorsitzende der BPK saß, umrahmt vom Regierungssprecher und den Sprechern der übrigen Ministerien der Bundesregierung, beendet waren, meldete sich „Blacky“ zu Wort. Seine Stimme hatte Gewicht.

Ich lernte ihn kennen im Pressehaus I, dritter Stock, im Tulpenfeld im damaligen Regierungsviertel. Er gehörte zum Büro der Frankfurter Rundschau, einer erklärt linken Zeitung, die nach den Erzählungen des Büroleiters Mörbitz nach dem Krieg unterm Tresen gehandelt wurde, so links war das Blatt. Zur FR-Mannschaft gehörten einer wie Helmut Lölhöffel, eine herausragende Marke im Bonner Journalistenchor, Volker Hoffmann, Gerda Uhlmann-Strack, Horst Schreitter-Schwarzenfeld, der nach Stationen im Ausland am Rhein gelandet war.  Martin Winter löste Mörbitz als Büroleiter ab, ging dann für die FR nach Washington und wechselte 2005 zur SZ.  Ada Brandes wurde die neue Büroleiterin nach Winter, blieb es aber nur kurz,  ihr folgte Richard Meng.  Ferdos Forudastan schrieb für die FR, die spätere Sprecherin des Bundespräsidenten Joachim Gauck und die heute Chefin der Innenpolitik der SZ in München, Charima Reinhardt gehörte dem FR-Büro im Bonner Tulpenfeld an, sie wurde dann stellvertretende Regierungssprecherin unter Rot-Grün- wahrlich eine Journalisten-Schar, die es an Qualität mit jedem anderen Büro in der einstigen Hauptstadt aufnehmen konnte. Und mittendrin „Blacky“, der Mann, den man in seinem Büro oder auf dem Flur stets mit der Pfeife sah.

Anfang der 80er Jahre, vielleicht 1982, die Debatte über Sinn und Unsinn, Nutzen und Gefahren der Kernenergie kam auf Touren, organisierte der Sprecher der NRW-Landesvertretung in Bonn, Hans-Christan Hoffmann, zusammen mit dem Essener Energieriesen RWE eine Reise durch Frankreich. Im Zentrum die AKWs im Lande, ferner Cherbourg, La Hague. An Bord der Maschine mehr Kernenergie-Kritiker. Man hatte den Eindruck,  als wollte Hoffmann die Anti-Atom-Debatte befeuern.  Eines Abends waren wir in der Nähe von Avignon in einem Hotel gelandet, das einst ein Kloster beherbergt hatte, eine feine Adresse. Es wurde gespeist, getrunken und diskutiert. Dann kriegten wir hohen Besuch, ein RWE-Manager war extra eingeflogen, um mit uns über die Kernenergie zu diskutieren. Aber nein, nicht mit uns, der Manager stellte sich mir, ich war  Korrespondent der Essener Zeitung WAZ , nur kurz und höflich vor, um dann zu fragen: „Wo ist Herr Schwartz?“ Ich kenne nicht mehr den Wortlaut des dann folgenden Disputs, weiß nur, er dauerte bis tief in die Nacht.  Und es gab keinen Gewinner. „Blacky“ gab nicht nach, sondern legte immer wieder nach, ein Argument nach dem anderen. Und als die Frage der Entsorgung des atomaren Mülls anstand, hielt „Blacky“ dem gewiss gewandten Manager den einfachen Satz unter die Nase: „Es kommt mir bei der Kernenergie so vor: Da startet ein neues Flugzeug, aber es gibt keine Landebahn.“

Bei anderer Gelegenheit dieser Reise rühmten die Atom-Betreiber in Frankreich den Berstschutz ihrer Meiler. „Blacky“ Schwarz fragte nach, wie das denn bei einem Flugzeug-Absturz sei. Die Antwort kam schnell: „Über den Meilern gibt es ein Flugverbot“. Wenige Sekunden später donnerten Jets über das Atomkraftwerk. Soviel dazu.

Allein gegen (fast) alle

Richard Meng, der das Bonner Büro der FR bis zum Wechsel nach Berlin leitete und Sprecher des Berliner Senats unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit wurde, hat in einem feinen Nachruf den Kollegen Rolf-Dietrich Schwartz in der FR gewürdigt. „Nie bieder, immer kämpferisch und bis heute mit seinen klaren Ansichten aktuell: Über Jahrzehnte war er DAS Gesicht der Frankfurter Rundschau in Bonn. Einer, der zuspitzen konnte, einer, der radikal dachte und zugleich verständlich war. Ein populärer Journalist, gerade, weil er stets kämpfte. Nicht selten allein gegen (fast) alle.“ Ergänzen möchte ich: er war dabei immer angenehm, nie polternd, eher leise, eine Persönlichkeit, die auch wusste, wie man sich in Stellung bringen und präsentieren konnte. „Blacky“ war selbstbewusst, gediegen, eigenwillig. Ein Kopf, der wusste, was er konnte. Und, wie einer der ehemaligen Kollegen mir zurief, er sei ein Teamplayer gewesen.

Meng schildert den journalistischen Weg des Kollegen Schwartz, dessen Weg zur journalistischen Marke am Anfang nicht sicher gewesen sei. Der mitunter hemdsärmelige Chefredakteur und Verleger Karl Gerold habe dem studierten Volkswirt und Jungredakteur Schwartz eigentlich schon fristlos gekündigt, weil dieser „angeblich eine rote Zelle in seiner Wirtschaftsredaktion bilden wollte“. So habe Schwartz später seine Erinnerung an diese Zeit geschildert. Dass er dann 1972  nach Bonn wechselte, habe „Blacky“ als „Wegloben“ verstanden. „Nur Gefeuerte haben Aufstiegschancen“, hat er das später kommentiert, so Richard Meng in der FR. Und daraus sei eben der Beginn einer „wahren Berufung“ geworden.

In der kleinen Bundeshauptstadt wurde dieser Rolf-Dietrich Schwartz zu einer Institution, der im Gespräch oder Disput mit den Sprechern der Regierung oder den Politikern und Ministern, ja Kanzlern nie klein beigab, sondern sich auf seine höfliche, aber überlegene Art mit ihnen anlegte. Der für eine „nachfrageorientierte“ Wirtschaftspolitik stritt, für höhere Löhne und Gehälter und für Investitionen eintrat und den Etablierten oft genug mangelnde soziale Rücksicht nachwies. Wie gesagt, er tat das in einer Zeit, da er mit seinen Thesen fast allein im Ring stand, die Wirtschaft-Journalisten waren fast immer auf der Seite der Kapitalinteressen. Wie heute klingt das.

Schriebe dieser Rolf-Dietrich Schwartz noch, er müsste seinen Gedanken nicht abschwören, vieles ist weiter brandaktuell. Die neoliberale Welt war nie die Seine, dass weniger Staat ein Fortschritt sei, das hätte er nie behauptet und selbstredend nie unterschrieben. Ist es nicht so, dass seine Gedanken hochaktuell sind, wenn wir an Sätze erinnern wie: Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten? Es war sein Kampf gegen die  Bonner Windmühlen, wie Richard Meng schreibt und an diesen großen und unbequemen Journalisten erinnert. Der gefordert hat, was heute weiter aktuell ist, dass, wer Gerechtigkeit will, bereit sein sollte, umzuverteilen von oben nach unten. Das hören manche nicht gern, auch oder vielleicht weil dahinter sich mehr als ein Körnchen Wahrheit verbirgt.

Helmut Schmidt überließ ihm einige Pfeifen

Journalisten seiner Klasse  fehlen heute. „Blacky“ Schwartz kämpfte auf der linken Seite, oft allein, mag sein, dass es ihm gefiel, aber ich habe ihn nie als einen Opportunisten erlebt. Er stritt für seine Ideen, die andere nicht teilten, ihm aber den Respekt nicht versagten. Der linke FR-Korrespondent  ließ auch an der Wirtschaftspolitik eines Kanzlers Helmut Schmidt(SPD) nicht immer ein gutes Haar, was den Hamburger in seinen Amtsjahren mit Sicherheit gelegentlich erzürnt haben wird. Gleichwohl überließ er seinem Kritiker „Blacky“ Schwartz später ein paar Pfeifen aus seiner reichlichen Sammlung.

Als die Regierung nach Berlin wechselte, Gerhard Schröder von der SPD hatte den schwarzen Riesen Helmut Kohl, wie wir ihn nannten, spöttisch und anerkennend zugleich, abgelöst, sah Rolf-Dietrich Schwartz die Zeit für sich gekommen, um aufzuhören.Mit knapp 60 zog er sich zurück, damals fremdelnd mit der neuen Lage, weit weg vom Berliner Geschehen. Und einigermaßen traurig zog er sein Fazit: „Man hatte mir meine Bonner Republik genommen“, zitiert Meng ein Abschiedswort des Kollegen bei seinem offiziellen Ausscheiden aus der Redaktion der Frankfurter Rundschau im Jahre 2000. „Mit einem Male war ich so etwas wie ein Staatenloser.“

In Bonn sah man ihn nur noch selten. Ein Schlaganfall hatte ihn getroffen. „Wer hat schon geahnt, dass auch Hirnmasse zu unserem Job gehört.“ So wahr er. Bissig und sarkastisch auch gegen sich selbst. Der eine oder andere Kollegen-Freund begleitete „Blacky“ gelegentlich bei kleinen Ausfahrten in Poppelsdorf, seinem Bonner Viertel,  es wurde ruhig um ihn. Nur noch gelegentlich wurde man gefragt. „Hast Du was von „Blacky“ gehört?“ Die letzten Jahre verbrachte er in einem Pflegeheim. Letzte Woche ist er dort gestorben. Mit 78 Jahren.

„Blacky“ ist tot, las ich am Samstag im Bonner Generalanzeiger die Traueranzeiger der Familie Schwartz. Statt Blumen hat er sich Spenden für die globalisierungskritische Nichtregierungs-Organisation „attac“ gewünscht, ein Verein, der sich für eine sozial und ökologisch gestaltete Welt einsetzt. Typisch „Blacky“.

Bildquelle: Wikipedia, Tucholskys letzter Eintrag in sein Sudelbuch, 1935, gemeinfrei

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arbeitete als stellvertretender Chefredakteur und Berliner Chefkorrespondent für die WAZ. 2009 gründete Pieper den Blog "Wir in NRW". Heute ist er Chefredakteur des Blogs der Republik.


'„Blacky“  war eine linke Institution – Zum Tod des Journalisten Rolf-Dietrich Schwartz' hat einen Kommentar

  1. 22. Januar 2019 @ 23:38 Gisbert Kuhn

    Du hast einen wirklich schönen Nachruf geschrieben. Blacky war übrigens Mitglied in Hänschen Zenckes Info-Kreis.

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