Nicht einmal neun Monate nach seiner Wahl zum Regierungschef ist der britische Premierminister Boris Johnson in der Wählergunst dramatisch abgestürzt. Sein erster Auftritt im Unterhaus nach dem Ende der politischen Sommerpause geriet zur Blamage. Der Wirrkopf taugt nicht als Premier, lautet die sich verbreitende Erkenntnis. Ohne Plan schlingert er durch die Corona-Pandemie. Sein Wankelmut verprellt inzwischen auch treueste Anhänger.
Selbst in der eigenen konservativen Partei halten die ersten schon Ausschau nach einem möglichen Nachfolger und stoßen auf Rishi Sunak, den Finanzminister und Senkrechtstarter der britischen Torys. Der 39-Jährige hat in dem Dreivierteljahr, das Johnson entzauberte, das Vakuum in der Regierung gefüllt und seine Popularität rasant gesteigert. Während Johnson irgendwo zwischen unwillig, lustlos und unfähig eingestuft wird, präsentiert sich sein Schatzkanzler als unermüdlich engagierter Krisenmanager.
Nach nicht einmal einem Jahr Amtszeit von Boris Johnson in Number 10 Downing Street, stellen britische Journalisten Sunak die Frage nach seinen Ambitionen. Nein, antwortet der, er wolle nicht der nächste Premier werden. Doch die Suche nach einem neuen Hoffnungsträger ist bezeichnend, und der Vertrauensverlust in Johnson gravierend. Der neue Labour-Chef Keir Starmer, hat seit April die Umfragewerte für seine Partei und seine Person deutlich gesteigert. Der 57-jährige Jurist, der im Schattenkabinett seines Vorgängers Jeremy Corbyn für den Brexit zuständig war, versucht die im jahrelangen Brexit-Tauziehen zerrüttete Labour-Party neu zu einen. Und der rechtspopulistische Premier ist dabei eine wichtige Hilfe.
Ähnlich wie im US-Wahlkampf Präsident Donald Trump die oppositionellen Demokraten zu lange nicht dagewesener Einigkeit zusammenschweißt, nähern sich auch die unterschiedlichen Strömungen der britischen Sozialdemokraten einander wieder an. In Großbritannien stehen allerdings noch keine Wahlen an. Neben der Corona-Pandemie haben die Briten den Brexit zu bewältigen. In diesen Tagen soll es zu entscheidenden Weichenstellungen in den Verhandlungen mit der Europäischen Union kommen. Die bisherige Strategie von Boris Johnson, gekennzeichnet von Drohgebärden, Erpresssungsversuchen und Sturheit gegenüber Brüssel, lässt Schlimmstes erahnen.
Im Dezember läuft die Übergangsfrist aus, die mit dem Austrittsabkommen vereinbart wurde. Bis Ende des Jahres soll ein neuer Handelsvertrag zwischen der EU und Großbritannien ausgehandelt sein, um einen harten Brexit mit all seinen bösen und chaotischen Folgen abzuwenden. Bisher allerdings kann von konstruktiven Verhandlungen nicht die Rede sein. Vielmehr wächst in Brüssel die Sorge, dass Premier Johnson es auf ein Scheitern regelrecht anlegt. Den düstersten Szenarien zum Trotz, die der britischen Insel einen völligen Kollaps der Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten, eine tiefe Rezession, einen Zusammenbruch des Gesundheitswesens und der öffentlichen Infrastruktur vorhersagen.
Vor Beginn der neuen Verhandlungsrunde dämpfte EU-Chefunterhändler Michel Barnier die Erwartungen deutlich. Er sprach von Stillstand und Rückschritt. Knapp sechs Wochen bleiben, um ein Abkommen wie geplant beim EU-Gipfel Mitte Oktober verabschieden zu können. Doch bisher bewegt sich nichts. London pocht auf einen Vertrag, der unbegrenzten zollfreien Export in den Binnenmarkt garantiert. Eine Verpflichtung auf die europäischen Standards in Umwelt-, Sozial- und Wettbewerbspolitik lehnt Johnson jedoch ab. Und wenn er seine Hartleibigkeit der EU gegenüber rechtfertigt, klingt er wieder ganz wie Donald Trump. Das Vereinigte Königreich gehe auch ohne ein Abkommen in eine großartige Zukunft, sagt er, und kümmert sich weiter nicht um die Corona-Pandemie und die schon jetzt deutlich spürbaren wirtschaftlichen Verwerfungen.
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