Ein Land, mein Land geht buchstäblich den Bach runter, gepeitscht von den Unwettern der letzten Wochen. Das Wetter ist zwar normalerweise ein reiner Zufall, aber dieses Wetter in Italien spiegelt die Probleme des Landes wieder. Italien, die Hauptstadt unter Wasser, weil die Wasserleitungen marode und die Gullies immer verstopft sind von Müll, Blättern, Abfällen aller Art. Ein Jammer, der mir zusetzt, mir, die ich seit Jahren in Deutschland lebe und arbeite und mein altes Italien aus den Medien beobachte und mir gelegentlich den Luxus erlaube, Urlaub in Florenz zu machen. Dort wo ich herkomme.
Italien, das war für viele Deutsche „la bella Italia“, der Traum vieler Germanen von Sommer, Sonne, Strand und „dolce vita“. Und heute lesen eben die Deutschen, wenn sie es nicht selber erfahren und gesehen haben, in welchem Zustand dieses Italien ist, was von der alten Herrlichkeit übriggeblieben ist. Es bröckelt an allen Ecken und Enden, der Putz fällt von den alten Fassaden, etwas, was ich nur aus den letzten Tagen der ehemaligen DDR kenne. Die Straßen sind voller Löcher. Trotz aller Liebe, die ich für meine alte Heimat immer noch empfinde, kann ich nicht so tun, als ob ich nicht sehen würde, wie heruntergekommen das Land ist.
Als ob das nicht schon ausreichte, befindet sich das Land zur Zeit auch politisch an einem Wendepunkt: Gelingt der Politikwechsel, wie ihn die Regierung aus der „Lega“ und dem „Movimento Cinque Stelle“ ihren Anhängern versprochen hat und ist das überhaupt zu bezahlen? Oder ist es nicht höchste Zeit, endlich die Wahlparolen in realistische und verantwortungsvolle politische Praxis zu verändern? Zur Zeit erwecken die Leute um Innenminister Matteo Salvini mehr den Eindruck, als wollten sie es einfach auf die Spitze treiben, sie interessieren sich offensichtlich nicht für Einwände oder kritische Anmerkungen aus Brüssel oder den EU-Hauptstädten. Der solide Haushalt ist ihnen wohl egal, es wird versprochen und versprochen, und am Ende soll es mit Schulden bezahlt werden. Es wirkt manches wie eine Provokation. Und der Witz dabei ist wohl noch, dass die Zustimmung im Lande noch wächst. Ungeachtet dessen, dass beide Regierungspartner völlig verschiedene Ziele haben.
Wir kennen auch in Deutschland eine gewisse Skepsis gegenüber dem Moloch Brüssel. Es mag ja was dran sein, dass man sich von den so genannten Technokraten, die nicht gewählt, sondern ernannt wurden, nicht alles vorschreiben lassen will. Schließlich sind die Politiker in Rom und Berlin und anderswo gewählt, sie haben eine Legitimation. So weit so gut. Richtig ist aber auch, dass Brüssel, und damit meine ich die EU als Ganzes, dafür sorgt, dass es uns allen im weiten Europa besser geht als ohne EU. Das kann man überall besichtigen, ich bin durch Polen gefahren zum Beispiel, und habe all die fertigen Projekte gesehen, die den öffentlichen Zusatz hatten: Mit Mitteln der EU finanziert. Ich war als Erasmus-Stipendiatin vor einigen Monaten in Polen, als Erasmus-Studentin kam ich vor über 20 Jahren von Italien nach Deutschland. Das ist auch EU, eine schöne EU.
Und ganz allgemein mal betont: Was wären denn all die einzelnen Länder in –Europa, wenn sie allein wären, sich wirtschaftlich behaupten müssten gegen die Konkurrenz aus aller Welt. Die EU ist ein Machtfaktor mit 550 Millionen, der sich wehren kann gegen China, Indien, die USA.
Italien, und das darf man nicht vergessen, ist ein altes, historisches Land mit stolzen Italienerinnen und Italienern, die sich ungern von fremden Mächten vorschreiben lassen, wie sie ihr Land zu führen haben. Davon profitieren die Nationalisten um Salvini, der im Grunde machen kann, was er will, und ist sich des Beifalls der Anhänger sicher. Ihm hilft dabei eine Opposition, die es gar nicht gibt, die ihn nicht kontrolliert, die ihn nicht treibt und keine Alternative darstellt. Zumindest noch nicht.
Dieses Szenario kennen wir auch aus Deutschland. Genau das macht mir Sorge. Es fehlt eine schlagkräftige Opposition. Die alte PD von Matteo Renzi ist im Grunde der Schatten der früheren Regierungspartei, nicht mehr in der Lage, politische Vorschläge zu machen. Man beschäftigt sich vielmehr mit sich selbst.
Es bleibt ein kleiner Hoffnungsschimmer, der nicht von einer Partei stammt und auch nicht betont: Wir schaffen das schon. Aber es passierte in Rom: Eine Gruppe von sechs Frauen haben das Kunststück fertiggebracht, Tausende von Bürgerinnen und Bürgern auf die Straße zu bringen, um gegen den Verfall ihrer Hauptstadt zu protestieren. Roma dice basta. So das Motto der Demo. Auf Deutsch: Wir haben die Schnauze voll. Ein Anfang gewiß, ein kleiner, aber immerhin. In diese Richtung gehen vielleicht auch Bürgervereine, parteilos, wie sie sich der ehemalige Ministerpräsident Italiens, Matteo Renzi vorstellt. Vielleicht sind sie die Lösung, um die Streitigkeiten im linken Lager zu überwinden und die Kräfte zu bündeln. Es wäre an der Zeit. Italien geht sonst wirklich den Bach runter.
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