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Home Politik

Der neue Bundestag- wieder mal historisch

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
25. Oktober 2017
Reichstagsinschrift "Dem Deutschen Volke"

Der neue Bundestag- größer denn je. Historisch. Gerade, also vier Wochen nach der Bundestagswahl, hat das Parlament das erste Mal getagt. In dieser konstituierenden Sitzung wurde Wolfgang Schäuble(CDU), der bisherige Bundesfinanzminister zum Parlamentspräsidenten gewählt. 709 Abgeordnete gehören dem Parlament an. Alterspräsident Hermann Otto Solms(FDP) regte deshalb in seiner Rede an, man möge das aufgeblähte Parlament reduzieren. Zum Vergleich: Dem ersten deutschen Bundestag-gewählt am 14. August 1949- gehörten nur 410 Abgeordnete an, einschließlich der nicht voll stimmberechtigten Politiker aus Berlin.

Und erstmals zählen eine äußerst rechte Partei, die AfD, zu den Fraktionen des 19. Bundestages, neben der CDU-CSU, der SPD, der FDP, den Grünen und der Linken. Eine Partei, in deren Reihen verdeckte bis offene Rassisten sitzen, die laut der französischen Zeitung „Le Figaro“ eine Anti-Flüchtlingspartei ist, eine Partei, die Ressentiments pflegt, die ausgrenzt und, ja auch hetzt. Und diese AfD sitzt im Plenarsaal, aber niemand will mit ihr etwas zu tun haben, geschweige denn zusammenarbeiten oder gar Koalitionen bilden. Eine nicht einfache Situation, denn diese AfD gilt es zu bekämpfen, aber nicht so, dass ihr noch mehr Wähler zulaufen, nicht so, dass sie draußen mit einer Märtyrerrolle werben kann. Dass ihr Abgeordneter Albrecht Glaser nicht die nötigen Stimmen erhält für die Wahl zum Vizepräsidenten, darf nicht verwundern: Glaser ist ein Islam-Feind, er hat den Islam ausgegrenzt. Das Grundgesetz lässt so etwas nicht zu.

Es weht ein anderer Wind

Aber klar ist mit dem ersten Tag, dass die Stimmung im so genannten Hohen Haus eine andere sein wird. Wenn es nach Schäuble geht, soll mehr gestritten werden, um die Sache, um den richtigen Weg. Schäuble weiß, was das ist. Er zählte zu den streitlustigsten Politikern des Bundestags in den vielen Jahren, in denen er dem Haus angehört. Er ging nie einem Streit aus dem Weg, das mag nicht jedem gefallen haben. Aber der Streit, und da hat er Recht, ist ein Wesensmerkmal des Parlaments. Dass es in Zeiten der großen Koalition zu ruhig zuging im Reichstag genannten Berliner Bundestag, war der schwachen Opposition geschuldet und der drückenden Überlegenheit der Regierung unter Angela Merkel. Das ist hoffentlich vorbei. Die SPD jedenfalls ließ Merkel gleich spüren, dass nunmehr ein anderer Wind weht.

Was nicht heißt, dass es um die Person der CDU-Vorsitzenden gehen sollte, sondern um ihre Politik, überhaupt um die Zukunftsfragen dieser Gesellschaft, all der Dinge, die die Menschen draußen interessieren, weil es sie was angeht, was in Berlin beschlossen wird. Mehr Nähe zu den Bürgern wird der Politik abgefordert, das Hohe Haus müssen sie des öfteren verlassen, damit sie spüren, was draußen los ist, warum Menschen sauer sind auf die da oben, wo ihnen den Schuh drückt. Es gibt Gründe, warum der Wähler im Ruhrgebiet der SPD und auch der CDU an einigen Orten die rote Karte gezeigt hat, es gibt gute Gründe, warum so viele Wählerinnen und Wähler in einigen Regionen in Bayern, darunter in Deggendorf, nicht die CSU, sondern die Populisten der AfD gewählt haben. Diesen Ursachen muss man auf den Grund gehen. Vielleicht nicht mit der Obergrenze, aber die Politiker müssen den Einheimischen ihre Politik erklären, damit sie sie verstehen, sonst kehren noch mehr Zeitgenossen ihnen den Rücken. Politik darf die Menschen nicht überfordern, das gilt auch für die Flüchtlingspolitik.

Heftig, aber nicht menschenverachtend

Streit, zivilisierter Streit, es geht um Inhalte, um den richtigen Weg, um Wohnungen, um Jobs, um Alleinerziehende, Asyl- und andere Flüchtlingsfragen, um die Rente, darum, wie wir morgen leben wollen. Der Streit darf heftig sein, aber nicht menschenverachtend. Es ist einfach mieser Stil, wenn Leute bei Demonstrationen Plakate in die Luft halten, die Merkel und Gabriel am Galgen zeigen. So ist es passiert bei Pegida und man wartet weiter auf die Distanzierung der AfD, denn Pegida, das ist deren Vorfeldorganisation. Und noch eins an die Adresse von Alexander Gauland: Kritik an der Politik der Kanzlerin, auch Polemik ist erlaubt, ja sie muss sein, aber eine Kanzlerin jagt man nicht, diese Sprache ist menschenverachtend.

Streit, Polemik, Lautstärke. Schon im ersten Bundestag 1949 ging es hoch her. SPD-Chef Kurt Schumacher beschimpfte den ersten deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer einen „Kanzler der Alliierten“. Das mag aus heutiger Sicht harmlos klingen, damals war es ein scharfes Schwert. Und es war nicht die Ausnahme. Man denke an den Streit um die Wiederbewaffnung, an die Notstandsgesetze, die zur außerparlamentarischen Opposition führten, an die Ostpolitik der Regierung Brandt/Scheel, an das erste konstruktive Misstrauensvotum der Union gegen Brandt, das aber Rainer Barzel verlor. Nicht vergessen sind die lebhaften Auseinandersetzungen um die atomaren Mittelstreckenraketen, um ein weiteres Misstrauensvotum dieses Mal gegen den Kanzler Helmut Schmidt, das Helmut Kohl gewann. Viele FDP-Abgeordnete verließen die Partei, wie Jahre zuvor beim Streit um die Ostpolitik, um den Grundlagenvertrag, die Aussöhnung mit Polen, die Attacken der Opposition gegen die Regierung Brandt, der man den Ausverkauf Deutschlands vorhielt.

Wehner, Strauß, Schmidt

Herbert Wehner, der SPD-Fraktionschef, kannte in mancher Debatte keine Verwandten, Franz Josef Strauß zögerte nicht, wenn es darum ging, die SPD und deren angeblich falsche Politik heftig zu attackieren, Helmut Schmidt hatte selten Glacéhandschuhe an, wenn er seine Politik verteidigte und den politischen Gegner angriff. Beispiele über Beispiele, die hin und wieder die Grenze des Erlaubten nicht nur berührten, sondern auch überzogen. Joschka Fischers Ruf Richtung Bundestags-Präsident Richard Stücklen (Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“, wobei das letzte Wort kaum zu hören war, das Mikrophon des Bundestages war abgeschaltet) war sicherlich nicht die feine Art. Aber der CSU-Mann Stücklen konnte einstecken und austeilen.

Streit, der keine tiefen Gräben aufreißt, ein Streit unter Demokraten, die nach der Debatte wieder normal miteinander reden, die sich an einen Tisch setzen. Und ja, gemeinsame Politik gemacht haben. Man denke an die erste große Koalition, mit Schmidt und Barzel als Fraktionschefs, mit Strauß und Schiller als Minister, mit Kurt-Georg Kiesinger als Kanzler und Willy Brandt als Außenminister. Kiesinger, der CDU-Mann, war Mitglied der NSDAP gewesen, Brandt, der Sozialdemokrat, vor den Nazis nach Skandinavien geflohen. 1966 saßen sie an einem Kabinettstisch. Es waren nicht die schlechtesten Jahre für die Bundesrepublik.

Erregung und Krisengefühl

Noch einmal Wolfgang Schäuble, der nunmehr vom Podium des Bundestagspräsidenten die Debatten leiten und verfolgen wird, er muss über der Parteipolitik stehen. Er wies auf die Zeiten hin, als beim Streit um die Ostverträge die Gesellschaft politisiert und polarisiert wurde, was aber dem Ganzen nicht geschadet habe. Erregung und Krisengefühl sind für ihn nicht neu. Seine Erfahrung gibt ihm die Gelassenheit, die er nicht zur Schau stellen muss, die er ausübt. Und deshalb sieht er in aller Ruhe den kommenden Auseinandersetzungen entgegen.

Noch eine Bemerkung zur Zusammensetzung des 19. Bundestages.Dem zweiten Bundestag-1953 bis 1957- gehörten 487 Abgeordnete an, 129 Parlamentarier waren ehemalige NSDAP-Mitglieder, so das Berlin Document Center. Und noch ein Satz von Schäuble: Es habe in den letzten Monaten „Töne der Erniedrigung und der Verächtlichmachung“ gegeben. Wörtlich fügte er hinzu. „Ich finde, das hat keinen Platz in einem zivilisierten Miteinander.“

Bildquelle: Wikipedia, User Mcschreck , gemeinfrei

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Tags: BundestagBundestagsdebattenBundestagswahlGeschichte der BundesrepublikParlamentarismusparlamenzarische DemokratiePolitische Kultur
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