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Home Politik

Deutsche Muslime oder muslimische Deutsche?

Gül Keskinler Von Gül Keskinler
27. Juni 2017
Moschee

Zwei Privatpersonen, eine Islamwissenschaftlerin und ein Friedensaktivist haben vor kurzem eine Idee durch die Sozialen Netzwerke im Internet geschickt: Sie wollten in Köln einen Friedensmarsch von Muslimen gegen Gewalt und islamistischen Terror durchführen, was ja nicht nur eine Idee
geblieben ist. Diese Demonstration hat unter dem Motto „ Ramadan Friedensmarsch: Nicht mit uns – Muslime und Freunde gegen Gewalt und Terror“ tatsächlich auch stattgefunden. Anstatt den erhofften 10.000 Teilnehmern waren nur vielleicht 2000-3000 Menschen gekommen. Na und – nicht meckern, sondern besser machen, möchte man den Kritikern zurufen!

Die LIB-Bewegung

Lamya Kaddor, Vorstandsmitglied des Liberal-Islamischen Bundes e.V. (LIB), hatte den Friedensmarsch
binnen weniger Tagen zusammen mit einer kleinen Gruppe von Menschen auf die Beine gestellt. Woher die Finanzierung für die Bühne und ähnliche Ausgaben kommen, wurde nicht kommuniziert.
Auch viele muslimische Bekannte von mir waren im Orga-Team und haben alle miteinander einmal mehr ihr demokratisches Engagement gezeigt, das auch ein Engagement für Deutschland und für Europa ist. Das ist doch super! Dass deutlich weniger Menschen gekommen waren als erhofft, ist meiner Ansicht nach kein Argument gegen die Idee.

Chancen für den EURO-Islam

Layma Kaddor, die Hauptorganisatorin, ist Lehrerin, muslimische Islamwissenschaftlerin und Tochter syrischer Einwanderer. Als Vorstandsmitglied des Liberal-Islamischen Bundes tritt sie für einen aufgeklärten Islam ein und meint damit u.a., dass Frauen und Männer gemeinsam in einem Raum beten können. Frauen mit und ohne Kopftuch werden zu Imaminnen ausgebildet und als Vorbeterinnen akzeptiert. In Köln, Berlin, Frankfurt am Main, Stuttgart und Hamburg soll der LIB freie Gemeinden gegründet haben und propagiert außerdem eine Art islamische „Ökumene“, in der Sunniten, Schiiten, Alewiten und auch andere Glaubensrichtungen ihre Spiritualität gemeinsam ausleben können. Es heißt, dass nicht nur die Nationalität, sondern auch die sexuelle Orientierung der Gläubigen vollkommen nebensächlich sei. Zum Angebot gehören auch genderdifferenzierte Koranexegesen in deutscher Sprache, dogmenbefreite Quellenauslegungen, verstärkte interreligiöse Verständigung, Aufklärung über den Islam u.v.m. Dieser Prozess erfüllt exakt die Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft und findet deshalb auch eine große öffentliche Aufmerksamkeit. Es sind die ersten Schritte hin zu einem aufgeklärten EURO-ISLAM. Wie viele Anhänger den LIB-Gemeinden angehören und wie sie sich finanzieren, kann man den Webseiten der Organisation nicht entnehmen.
Für mich als eine kemalistisch erzogene deutsche Sunnitin bleibt darüber hinaus bislang unklar, wo die neuen Imame und Imaminnen, die auch in deutscher Sprache predigen sollen, überhaupt ausgebildet werden. Wer hat das Curriculum für die Qualifizierung entwickelt, welchen religiösen Wissenshintergrund müssen die Personen für diese Art der Ausbildung mitbringen und wer setzt die Qualitätsstandards für diese Erneuerungsbewegungen, auf welcher Basis arbeitet sie?

Abwegige Debatten

Doch zurück zum vom LIB durchgeführten Kölner Friedensmarsch und seinen dürftigen Besucherzahlen. Der Grund dafür dürfte nicht nur an der kurzen Zeitspanne liegen, in der für die Veranstaltung geworben wurde. Viel wichtiger ist es, dass bei vielen liberalen Muslimen auch ein Überdruss gegenüber dem subtilen Rechtfertigungsdruck besteht, sich als muslimischer Mensch permanent offensiv gegen islamistischen Terror aussprechen zu müssen. „Was unterstellt man uns nur“, fragen sich viele Familien, die den menschenverachtenden Verbrechen des IS genauso sprachlos gegenüberstehen wie nicht muslimische Deutsche und andere Europäer. Auch ich selbst muss immer wieder Argumente finden, um zu erklären, dass diese unmenschlichen Bluttaten nichts mit meinem Glauben zu tun haben. Alle Versuche, den Islam mit schönen Seiten darzustellen, enden entweder in der Kopftuchdebatte, bei der Zwangsehe, der Silvesternacht von Köln, bei Erdogan, dem Salafismus oder dem IS. Wie kann sich eine durchschnittliche deutsche Familie mit muslimischen Wurzeln gegen all diese Verbalattacken wehren?

DITIB einbinden!

Nun ist es so, dass die Medien schon wieder den türkisch-muslimische Dachverband DITIB (Türkisch-Islamische Anstalt für Religion e.V) als einen der Erdogan-Regierung zugeneigten Verband kritisieren, der seine Mitglieder nicht dazu aufgefordert hatte, am Kölner Friedensmarsch teilzunehmen. Ich ärgere mich darüber, dass bei DITIB so wenig Medienkompetenz vorherrscht, dass das eigene Image immer weiter zerschlagen wird. Der Verband hat mit dem Fastenmonat Ramadam argumentiert, was ich aber für ein zu wenig starkes, bzw. vorgeschobenes Argument halte. Schon eher wird es wohl die große ideologische Distanz zu dem Veranstalter gewesen sein. Auch das hätte kommuniziert werden müssen. Die Veranstalter wiederum haben mit heißem Herzen und nicht mit kühlem Verstand gehandelt. Große Organisationen müssen aber früh genug zur Kooperation eingebunden werden. Dann wären der Friedensmarsch und ein gemeinsames Fastenbrechen auf dem Kölner Heumarkt eine besondere Geste für unser Gemeinwesen geworden.

Das letzte Wochenende im Fastenmonat wird traditionell dazu genutzt, sich mit der Familie, Verwandtschaft und dem engsten Freundeskreis zu beschäftigen. Viele widmen sich im heiligen Monat dem Glauben und den Lehren des Korans. Die Menschen sind also auf geistige Einkehr und interne Feierlichkeiten konzentriert. Werteorientierte Muslime, Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die sich gerade im Fastenmonat nach der Lehre des Islams bewegen, sich mit dem nächtlichen Frühstück (Sahur) und Fastenbrechens sowie nächtlichen Tarawihgebeten und der Koranrezitation beschäftigen, werden sich aus den Ritualen, Bräuchen und ungeschriebenen Gesetzen ihrer Gemeinden nicht herausziehen lassen und ihr Programm für eine unbekannte Organisation wie den LIB unterbrechen. Denn in der Tat hat der Monat Ramadan feste Abläufe, die bei DITIB als der größten muslimischen Organisation in Deutschland auch umgesetzt werden. Bevor man also die werteorientierten Muslime kritisiert, warum sie an jenem Samstag, Mitte Juni, kein Zeichen für den Frieden gesetzt haben, sollte sich jeder, der darüber berichtet und dies vielleicht sogar kritisch, zunächst einmal sachkundig machen.

Herausforderungen für die Bundesregierung

So arbeitet der Verband eng mit der türkischen Religionsbehörde zusammen; die Imame und Vorbeterinnen werden von Anfang an aus Ankara finanziert. So organisiert DITIB seit Jahrzenten nicht nur Sprach- und Integrationskurse für alle Migranten vor Ort. Unzählige Sozial- und Sportprojekte für Jugendliche laufen oft ehrenamtlich. Und für alte Menschen und Bedürftige wird ein funktionierendes soziales Netzwerk geboten. Auch richten DITIB-Gemeinden Beerdigungen nach muslimischen Ritualen in Deutschland aus und organisieren die Überführung von Toten bis ins kleinste Dörfchen in Anatolien. Unentgeltlich besuchen engagierte Mitglieder Menschen in Vollzugsanstalten und im Krankenhaus. Viele Integrationsprojekte werden zum Teil mit deutschen öffentlichen Geldern finanziert, den Eigenanteil für die Projekte finanzieren die Mitglieder der Gemeinden. Nicht zu vergessen ist die Arbeit mit Flüchtlingen. Freiwillige nehmen Hilfebedürftige an die Hand und führen sie durch den Bürokratie-Dschungel. In jeder Gemeinde werden Wochenendseminare für Familien angeboten, zu Themen wie Gesundheitsvorsorge, Drogenmissbrauch uv.m. Der Verband DITIB tut also auch viel Gutes und ist insofern auch ein Wohlfahrtsverband, in den staatliche Mittel fließen. In fast 55 Jahren hat die deutsche Politik es nicht geschafft, DITIB zu einem deutschen muslimischen Wohlfahrtsverband zu entwickeln und damit von der politischen Türkei ein Stück weit auch abzukoppeln.

Mit der fortschreitenden Einbürgerung von Muslimen, die nicht nur aus der Türkei stammen, sondern auch aus dem arabischen Raum und aus Afrika, wird es in Zukunft immer wichtiger werden, zwischen diesen immer vielschichtigen muslimischen Communities in Deutschland Brücken zu haben. Die Organisation DITIB in diesen Umwandlungsprozess einzubinden, das wäre vor allem eine Aufgabe für den Bundesinnenminister, den die Deutsche Islamkonferenz seit zehn Jahren leitet. Und in der Tat brauchen wir liberale Ansätze mit interreligiösen und interkulturellen Maßnahmen, die auch von Fachleuten der hiesigen Universitäten begleitet werden sollten. Sie können einen interdisziplinären Prozess anregen, der weitreichende Veränderungen mit anstoßen kann.

Bildquelle: pixabay, Clker-Free-Vector-Images, CC0 Public Domain

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Tags: DeutschlandEuropaIntegrationIslamTürkeiVerbindenWerte
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