Unfähigkeit zu lieben

Dieter Wellershoff: Der Sieger nimmt alles, Teil 2: Die Unfähigkeit zu lieben

Dieter Wellershoff hatte 1982 einen Gesellschaftsroman vorgelegt, in dessen Mittelpunkt das Leben des Geschäftsmannes Ulrich Vogtmann steht. Dieses war von Jugend an von einem bedingungslosen Erfolgsstreben geprägt, davon, in den Zeiten des sogenannten Wirtschaftswunders das große Geld zu machen und andere auszustechen. Die beruflich-wirtschaftliche Karriere des Protagonisten Vogtmann wurde im ersten Teil dieser Abhandlung nachgezeichnet (Joke Frerichs). Hier nun soll das Augenmerk auf die zwischenmenschlichen und Geschlechterbeziehungen gelegt werden, die einen zweiten thematisch-motivischen Hauptstrang in diesem Roman bilden.

In Vogtmanns Leben kommen drei Frauen vor, die in ihrem Wesen und Gebaren kaum verschiedener sein könnten. Bevor er die Unternehmerstochter Elisabeth kennenlernt, hat er ein Verhältnis mit der Kellnerin Jovanka. In dieser Beziehung ist alles schlicht, transparent und fast komplikationslos. Ob glücklich oder nicht, ist schwer zu sagen; viel mehr als Sexualität bietet sie ihm nicht, aber immerhin ist diese Frau auch eine emotionale Wärme spendende Instanz, zu der sich Vogtmann hingezogen fühlt. Umgekehrt sucht sie in ihm einen Halt und macht, um ihn zu binden, viele Zugeständnisse. Eine hierarchische Beziehung, die mit einer Abtreibung gegen Jovankas inneren Widerstand und Vogtmanns Ortwechsel ausläuft. Gleichwohl trägt Vogtmann ihr Foto noch Jahrzehnte mit sich – eine stumme Sehnsucht nach einfachen Verhältnissen?

Dagegen ist Elisabeth eine von oben bzw. aus der oberen Mittelklasse. Eine eher spröde, kühle Frau mit wenig erotischer Ausstrahlung. Sie hat mit der Einladung des jungen Vogtmann zu ihrer Geburtsparty die Beziehung initiiert und betrieben, die schnell zur Ehe wird. Man kann sagen: Sie hat ihn geködert. Vogtmann hat ein instrumentelles Verhältnis zu ihr; er hat Elisabeth mit dem Kalkül geheiratet, darüber einen quasi selbstläuferischen Einstieg in den Betrieb ihres Vaters zu erreichen, mit der Aussicht, schon recht bald als dessen Geschäftsführer zu fungieren.

Die Frage, ob Vogtmann Elisabeth je würde lieben können, hängt mit einer anderen Frage zusammen: ob er überhaupt zu einer Liebesbeziehung fähig ist. Im Unklaren bleibt auch, was Elisabeth in Vogtmann je gesehen, was sie an ihm attraktiv gefunden hat, um sich mit ihm auf das Wagnis dieser Ehe einzulassen. Von ihrem Status her gesehen ist sie als ökonomisch Abgesicherte die Stärkere; sie hat objektiv eine Machtposition gegenüber Vogtmann, spielt diese aber nicht aus. Sie kümmert sich kaum um die Geschäfte ihres Mannes und scheint auch gegenüber ihrem Status und dem väterlichen Betrieb gleichgültig zu sein. Sie ist gänzlich frei von Standesdünkel.; jedenfalls hat sie Vogtmann seine anfängliche Unterlegenheit nicht spüren lassen. Dennoch ist diese unterprivilegierte Stellung, in der sich Vogtmann gegenüber dem Unternehmer und Schwiegervater Pattberg und seiner Familie von Anfang an befindet, ein ständiger Stachel in dessen Selbstbewusstsein. Er war immer noch der Besitzlose, der Eingeheiratete, der nichts eingebracht hatte als sich selbst. Das war das ganze Problem seiner Ehe. Auch empfindet er die enge Verknüpfung von Sexualität und Geschäft als belastend. Er haßte die vertrackte Logik, die ihm die Freiheit nahm: Elisabeth wollte geliebt werden, um sich nicht mißbraucht zu fühlen, und er mußte sie lieben, weil er sie brauchte.

Damit lässt sich zumindest zum Teil erklären, warum Vogtmann so stark nach geschäftlichem Erfolg strebt: Er möchte allen beweisen, dass er Erfolg hat, und möglicherweise schwebt ihm auch vor, das bestehende Machtungleichgewicht zu seinen Gunsten umzukehren.

Mit dem plötzlichen Herztod Pattbergs beschleunigt sich die schleichende Entfremdung, der unmerklich fortschreitende Prozess der Trennung und Entfernung zwischen den Eheleuten. Elisabeth wirft Vogtmann insgeheim eine Mitschuld am Tod ihres Vaters vor, weil er ihn in der Firma an den Rand gedrängt und diesen das auch hat spüren lassen. Er trifft seine Entscheidungen mehr und mehr eigenmächtig. Die leise Beklemmung und Fremdheit steigert sich mit der Ausweitung der Geschäfte nach München, die Elisabeth innerlich ablehnt, weil sie mit der ständigen Abwesenheit Vogtmanns einhergeht. Dadurch verstärkt sich der Erosionsprozess ihrer Ehe noch. Gleichwohl bleibt Vogtmann auf die Unterstützung von Elisabeth angewiesen, denn sie ist schließlich als Erbin ihres Vaters die Inhaberin des Betriebs. Zwar spricht er im häuslichen Kontext kaum über seine geschäftlichen Angelegenheiten; aber er braucht gleichwohl die moralische Unterstützung seiner Frau, den Zusammenhalt mit ihr. Insofern darf es die Krise, in die er immer stärker hineinschlittert, eigentlich gar nicht geben – weshalb er sie auch nach Kräften und solange es geht verleugnet und verdrängt.

Wellershoff erreicht mit dem Stilmittel des Perspektivwechsels, dass er das jeweilige Empfinden der Eheleute different und differenziert ausleuchtet. Vogtmann und Elisabeth spüren die Krise ihrer Ehe zwar emotional, vermeiden es aber, darüber zu reden. Beide verweilen in ihrer unglücklichen Gefühlswelt. Gemeinsam ist ihnen nur, dass sie beide das Gefühl haben, das falsche Leben zu führen. Aus Vogtmanns Perspektive stellt sich dieser Sachverhalt wie folgt dar:

Da plötzlich hatte ihn  ein Gefühl von Sinnlosigkeit überfallen, das ihm von weit her bekannt war. Was sollte diese Anstrengung? Er wollte es nicht. Er steckte immer in einem falschen Leben. Das falsche war das einzige Leben, und man mußte sich darin bewähren. Doch man wollte es nicht. Man versuchte es besser zu machen, und alles wurde falsch. Und wenn man doch glauben wollte, daß es das Richtige war, wurde man ein Fälscher. Gute Fälscher waren kaum als Fälscher zu entlarven, auch nicht, wenn sie eine Ehe fälschten. Er war nur ein mittelmäßiger Fälscher gewesen, über Jahre hinweg, und hatte es selbst nicht immer wissen wollen. Und nun wollte er glaubwürdiger werden. Sie und er wollten glaubwürdig werden. Glaubwürdigere Ehefälscher. Raste er deshalb so über die Autobahn, als ob er es gar nicht erwarten könne? Manchmal war die Welt nur ein Tunnel voller Geräusche, eine bunte Leere.

Das Falsche wird durch Selbstbetrug und Verleugnung zum Pseudorichtigen verkehrt. Das Subjekt der Fälschung erhebt selbst noch den moralischen Anspruch, als Fälscher glaubwürdig zu sein. Damit ist Vogtmann in seinem ganzen Lebensdilemma beschrieben und analysiert: Er ist der Gefangene und Getriebene seiner selbst, nicht zuletzt als glaubwürdiger Ehefälscher.

Elisabeth wird als eine mehr und mehr in sich gekehrte Frau geschildert, die zunehmend erstarrt und in Lethargie verfällt. Sie hat das Gefühl, zwischen allen Stühlen zu sitzen, hin und hergerissen zwischen den familialen Werten, der Loyalität zu ihrer Herkunftsfamilie und ihrer eigenen Ehe und Familie. Sie fühlt sich für alles verantwortlich und macht sich permanent Selbstvorwürfe. Selbst die vermeintliche Schuldfrage im Zusammenhang mit dem Tod des Vaters ist sie noch geneigt, in einen Selbstvorwurf umzukehren. Sie hat das Gefühl, als Ehefrau ebenso zu versagen wie als Mutter.

Sie war einen Moment lang froh, [Christoph, den Sohn] los zu sein, seine Schlaffheit und seine unerträglichen Angewohnheiten nicht mehr sehen zu müssen. Doch dann hatte sich ihre Wut in Angst verwandelt. Sie machte unverzeihliche Fehler. Sie war immer schuldig. Das kam, weil man sie allein ließ, weil sie sich mit Ulrich nicht mehr einig war. Fast alle ihre Fehler waren unvermeidlich, weil sie den verschiedenen Ansprüchen nicht gerecht werden konnte, die von allen Seiten an sie gestellt wurden. Immer stand sie zwischen den anderen und mußte versuchen, auszugleichen, zu korrigieren, zu dirigieren, und manchmal spürte sie, wie ihr eigenes Ich bald zerflatterte, obwohl sie ihre Aufregung meist verbarg, als wäre sie immer noch der ruhende Pol der Familie, als der sie galt. Wollte sie es auch sein? Nein, sie hatte keine andere Rolle und mußte sich dauernd darin bewähren.

Elisabeth fühlt sich einerseits überfordert von den divergierenden Ansprüchen, die an sie gestellt werden. Andererseits wirkt sie seltsam abhängig und unselbständig, wenn aus ihrer Sicht von der Beziehung zu Vogtmann die Rede ist. Sie spürt die emotionale Abwehr, die Steifheit seines Körpers, wenn sie seine Nähe sucht, und scheint diesem Erkalten hilflos ausgeliefert. Und noch aus dieser Opferrolle versucht sie zu ergründen, was in ihrem Mann vorgeht, was ihn umtreibt und woran er leidet – vor allem aber, worin ihre Schuld liegt.

Warum ließ er sie jetzt allein? Wollte er sie strafen? Sie neigte immer dazu, das anzunehmen. Das Urteil gegen sie war immer schon gesprochen …

Was dachte er? Er vergrub etwas in sich, das ihn einsam machte. Solange sie ihn kannte, kämpfte er um etwas, das sie nie ganz verstanden hatte. Es war irgendetwas Ungreifbares, denn er bekam es nie in die Hand. Vielleicht litt er darunter, in ein falsches, unangemessenes Leben hineingeraten zu sein und die falsche Frau geheiratet zu haben.

Verglichen mit Vogtmanns Wahrnehmung der Ehekrise und seiner Lösungsstrategie als glaubwürdige Ehefälscher scheint Elisabeth hier noch der Illusion anzuhängen, dass etwas zu retten sei. Sie ahnt zwar das Unpassende, aber sie sieht nur in sich das Falsche; sie fühlt sich auch dafür verantwortlich, Vogtmann in ein falsches Leben gezwungen zu haben. Warum aber verharrt sie in Passivität und Lethargie statt zu kämpfen oder auch statt sich Klarheit zu verschaffen über die Eskapaden Vogtmanns in München? Schließlich könnte sie dahinterkommen, dass er sie betrügt und nicht nur den Ehefälscher, sondern auch den Ehebrecher abgibt. Vielleicht will sie es gar nicht wissen. Stattdessen heißt es von ihr:  Alles entglitt ihr, der Mann, der Sohn, ihre Beziehung zu ihrer Schwester, vor allem kam sie sich selbst abhanden.

Wellershoff führt uns eine Frau vor, die nicht kämpft, sondern erduldet. Selbst angesichts der von Vogtmann betriebenen Abholzung des Parks an der Villa regt sich in ihr nur dieses stumme Aufbäumen des Gefühls; sie ist dagegen, dass ihr Elternhaus und das Parkgrundstück so verschandelt werden, nur um Profit daraus zu schlagen, aber sie artikuliert ihre Haltung nicht; genauso wenig, wie sie sich zur geschäftlichen Expansion äußert, die sie im tiefsten Innern ebenso ablehnt.

So sieht sich Elisabeth immer mehr dem Verfall ihres Lebens und ihrer Familie ausgesetzt, ohne diesem zerstörerischen Prozess etwas entgegensetzen zu können. Das folgende Zitat könnte für das emotionale Dilemma Elisabeths eine Schlüsselstelle sein:

Es war etwas zwischen sie geraten, eine fremde Kraft, die alles auseinandersprengte: Ulrich,  sie selbst und Christoph – alle wurden immer weiter auseinandergetrieben, und sosehr sie sich auch anstrengte, sie konnte es nicht aufhalten, Lag immer alles nur an ihr, an ihren unzureichenden Kräften, an ihrer mangelnden Liebe, ihren Hemmungen, ihrem fehlenden Mut? Manchmal kam es ihr so vor, als lebte sie auf einer kleinen, immer mehr schrumpfenden Insel, und in seltsamem Widerspruch zu der Kleinheit der Insel rannte und rannte sie, ohne sie je verlassen zu können. Und dann wurde sie auch blind und konnte die anderen nicht mehr sehen.

Mit dem Symbol der schrumpfenden Insel und der Erblindung ist die Situation von Elisabeth eindringlich geschildert. Und es ist nahezu quälend zu lesen, wenn Wellershoff sie fast bis zum Schluss sagen lässt: Ich bin schuldig, wenn etwas passiert. Ich bin schuldig! Ich bin schuldig! 

Schuldig fühlt sich Elisabeth insbesondere auch im Hinblick auf den gemeinsamen Sohn Christoph. Er wird als ein unglücklicher Junge beschrieben – eigentlich das zwangläufige Produkt der missglückten Ehe von Elisabeth und Vogtmann. Ihm wurde immer schon zu wenig Aufmerksamkeit und Zuwendung zuteil; auch die frühen Bemühungen des Vaters, ihm das Boxen beizubringen, damit er sich wehren kann, laufen ins Leere. Christoph verschießt sich der Familie, ist in sich gekehrt, zieht sich zurück, wo er nur kann und gilt als Schulversager. Elisabeth verzweifelt an seinen Eigenschaften, sie hält ihn für verstockt und unerreichbar. Alles an ihm war völlig unbewußt und gefühlsleer. Sie macht sich auch hier wieder Selbstvorwürfe, an den Eigenheiten ihres Sohnes schuld zu sein, auch, dass sie nicht in der Lage ist, an ihn heranzukommen und so mit ihm umzugehen, dass er sich verstanden fühlt. Aus der Perspektive des Jungen wird offenbar, dass er nur in seiner Phantasiewelt lebt, während er nach außen vollkommen teilnahmslos wirkt. Wie in einem Wechselspiel fühlt er sich von der Mutter so unter Druck gesetzt, dass er meint, ihren Erwartungen entsprechen zu müssen. Er mußte wieder in das Bild schlüpfen, das sie sich von ihm machte. Dieses Unverständnis und Unverhältnis von Eltern und Kind gipfelt in Christophs Hilferuf, wenn er von sich sagt: Ich lebe nicht!

Auch die heimlichen Ausbrüche aus dem Elternhaus – Christoph stiehlt immer wieder wertloses Zeug aus dem Kaufhaus und hortet es in seinem Zimmer in einem Versteck – sind nichts weiter als Hilferufe, um auf sich aufmerksam zu machen. Erst eine spektakuläre nächtliche Aktion in seiner Zeit im Internat – er klettert auf einer Leiter am Schulgebäude  hoch, begibt sich in größte Gefahr abzustürzen, schafft es aber, mit der Sprühdose eine Protestparole an die Wand zu sprayen – gibt dem Jungen ein Gefühl für sich selbst und ein Glücksgefühl darüber, etwas geleistet zu haben.

Ja, das war es: Er fühlte sich selbst. Man konnte es nicht anders benennen als mit diesem selbstverständlich klingenden Worten, doch eigentlich war es wie ein Wunder … Ich, dacht er, das bin ich! Ich bin ich! Dieser Körper bin ich. Ich lebe in ihm, ich bin hier. Er war ein Mensch, der sein eigenes Leben hatte, das nur ihm gehörte, ein Recht, das er in sich trug und niemand ihm nehmen konnte.     

Es bedurfte dieser höchst gefährlichen Tat, dieser enormen Herausforderung und ihrer Bewältigung, damit Christoph ein Verhältnis zu sich entwickelt, Ich sagen zu können und das Gefühl für seine eigenen Möglichkeiten, sein eigenes Leben, hervorzubringen. Hierin scheint er sogar seinem Vater ähnlich. Ob er daraus ein stabiles Selbstbewusstsein entwickelt, bleibt fraglich. Jedenfalls wirkt Christoph gefestigter, als Vogtmann ihn einmal im Internat besucht, und ansatzweise ein Gespräch zwischen Vater und Sohn aufkommt.

Vor dem Hintergrund der bisherigen Charakterisierung Elisabeths ist ihre Entschlossenheit gegen Ende des Romans umso erstaunlicher. Ihr langjähriger Vertrauter namens Lothar, der zeit seines Lebens in Elisabeth unglücklich verliebt  war, öffnet ihr die Augen darüber, wie miserabel es um den väterlichen Betrieb steht. Er beschwört sie, Vogtmann zu entlassen und sich von einigen Geschäftsbereichen zu trennen. Das allein aber erklärt nicht die radikale Kehrwendung Elisabeths in ihrem Verhalten zu ihrem Mann. Vielmehr entdeckt sie eines Tages, dass Vogtmann sie belügt. Während ihrer ganzen Ehe, in der sie viele Demütigungen hingenommen hatte, beschwor sie ihn immer wieder, sie nicht zu belügen. Jetzt wußte sie es, wußte es ein für allemal, daß er sie belog.

Damit war endgültig alles zerrüttet und zerstört: Die Firma, die Ehe, die Familie – und Elisabeths eigenes Leben. Aus dieser verzweifelten Einsicht bleibt ihr nur noch, einen Schlußstrich zu ziehen. 

Belogen hat Vogtmann sie nicht nur hinsichtlich seiner geschäftlichen Beziehungen. Seit Jahren schon unterhält er in München eine Beziehung zu einer Frau namens Katrin.

Sie ist die dritte Frau in Vogtmanns Leben. Sie führt wie ihre Zwillingsschwester Doris das Leben einer modernen Kurtisane; sie lässt sich aushalten von wohlhabenden Männern, in diesem Fall Ulrich Vogtmann, und stellt als Gegenleistung ihren Körper und ihre Zeit zur Verfügung, begleitet den Mann auf öffentlichen und privaten Veranstaltungen, führt Konversation, kleidet sich elegant und extravagant, um etwas darzustellen. Über kleine Geschenke wie Blumen und Delikatessen aus den Münchener Supermärkten, die er ihr mitbrachte, konnte sie sich stürmisch freuen, von dem Scheck machte sie kein Aufheben, als habe er nur eine Schuld beglichen. Dafür hatte er jetzt Rechte. Sie war immer bereit, mit ihm auszugehen, auch wenn er sie erst kurz vorher anrief … Selbst wenn sie ein wenig launisch und müde klang, konnte er heraushören, daß sie seine Ansprüche anerkannte.  

Vogtmann stellt ihr nicht nur ein großzügiges monatliches Budget zur Verfügung, er beschenkt sie auch mit kostbaren Dingen, Kleidungsstücken oder Schmuck, und bewegt sich damit weit über seinen finanziellen Möglichkeiten – spekuliert sozusagen auf erhoffte künftige Gewinne und Profite. Nicht nur, dass er Katrin großzügig bedenkt, er sieht auch in ihr so etwas wie seinen Besitz. Manchmal dachte er an sie wie an ein seltenes luxuriöses Besitzstück, dessen Wert und Eigenart er noch nicht ganz verstanden hatte. Denn obwohl hier ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, verhält sich Katrin relativ autonom, als wäre sie nicht in Besitz zu nehmen. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der sie dieses müßiggängerische und abhängige Leben führte, täuschte ihn immer wieder darüber hinweg, daß sie völlig unabhängig und unerreichbar war. Vielleicht wußte sie es nicht einmal, sie war es nur.

Wir haben es im Verhältnis von Vogtmann und Katrin – bei aller vordergründigen Erotik – offensichtlich mit einer Geschäftsbeziehung zu tun; sie haben einen impliziten Vertrag geschlossen, der Beiden von Nutzen ist. Katrin ist für Vogtmann ein Statussymbol, und sie bringt ihm neben den Kosten etliche Vorteile: Er hat immer eine Anlaufstelle in München, ist nicht allein und hat Sex, wann immer er es will; er kann sich mit ihr als attraktiver, in der Konversation gewitzter Frau schmücken, und je mehr er sie beschenkt, desto leuchtender ist ihre Erscheinung. Er hat Ansprüche auf sie, die er geltend machen kann, und sie erkennt diese an. Mit Liebe hat das Ganze nicht das Geringste zu tun.

Katrin verkörpert das schicke Leben in der Großstadt – eine Rolle, die Elisabeth niemals spielen könnte, dazu ist sie zu bieder, unauffällig, unerotisch und auch zu moralisch. Wellershoff charakterisiert das Verhältnis der beiden Frauen zu Vogtmann wie folgt:

Für [Katrin] war das Leben ein Spiel oder eine Kunst, während Elisabeth alles moralisch sah und immer nach Rechtfertigungen und Gründen suchte. Elisabeth mißbilligte seine Existenz und seine Träume, obwohl sie ihn vielleicht liebte. Katrin korrigierte seine Lebensart, und sie machte das leicht, witzig, elegant. Er fühlte sich nicht von ihr unter Druck gesetzt. Im Gegenteil, sie lockerte, sie animierte ihn.

Katrin hatte auf Vogtmann diese Ausstrahlung, solange es ihm finanziell gut ging und er sich die Verbindung leisten konnte. Mit seinem ruinösen Absturz muss er sie aufkündigen, und in der Schilderung dieser Szene kommt der wahre Charakter dieser Beziehung zum Tragen: Sie ist und war immer eine instrumentelle Beziehung. Katrin zeigt nicht etwa Verständnis für die schwierige Situation oder gar Mitleid mit Vogtmann, sie kann sich einzig darüber ereifern, dass er sie fallen lässt. Und mit Eiseskälte wendet sie sich von ihm ab. Nach einer kurzen Umarmung, bei der sich flüchtig ihre Wangen berührten, sah er sie davongehen. Ihr Gesicht konnte er sich nicht vorstellen, ihr Gang schien nicht mehr von ihm zu wissen. Vergleicht man die drei Frauen in Vogtmanns Leben, so springen die Unterschiede ins Auge: Jovanka ist von allen wohl die aufrichtigste und warmherzigste gewesen, während Elisabeth voller moralischer Skrupel und Gewissenskonflikte steckt und an ihren Ansprüchen an sich selbst scheitert. Vogtmann fühlte sich von ihr wenn nicht durchschaut, so doch unter Druck gesetzt und kontrolliert; die Ehe war nie emotional und beruhte immer auf einer Lüge. Katrin schließlich ist eine kluge Geschäftspartnerin, die spielerisch mit ihren Möglichkeiten umgeht und immer auf ihren Vorteil bedacht ist; sind die Grundlagen für eine Beziehung abhanden gekommen, so wird dieser nicht lange nachgetrauert.

Bildquelle: Pixabay, Bild von Twighlightzone, Pixabay License

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Dr. Petra Frerichs, Studium der Literatur- und Sozialwissenschaften, schreibt über Literatur (und Kunst), am liebsten gegen das Vergessen von guten alten Sachen.


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