Deutschland hat einen neuen Riesen-Skandal. Und über den regt sich – glaubt man „Bild am Sonntag“ – das ganze Land auf. Nein, es ist nicht etwa die Weigerung deutscher Politiker, den traumatisierten Kindern in den überfüllten griechischen Flüchtlingslagern zu helfen. Es ist auch nicht der neue Rekord bei den deutschen Waffenexporten, mit denen unsägliches Leid in Krisenländern befeuert wird; es ist auch nicht die zunehmende Spaltung unserer Gesellschaft in immer mehr Arme und die wenigen Mega-Reichen.
Nein, es ist ein Kinderchor des Westdeutschen Rundfunks (WDR). Der empört BamS, das Zentralorgan aller Aufrechten. Und Politiker stimmen ein in das nationale Wutgeheul, wieder vorne weg der unvermeidliche CDU-Rentner Wolfgang Bosbach, der eigentlich zu fast allem etwas absondert, aber auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und FDP-Mann Alexander Lambsdorff. Der ergreift nach seiner Europa-Karriere nun als Bundestagsabgeordneter offenkundig gerne jede Chance, sich innenpolitisch zu profilieren – und sei der Anlass noch so mickrig.
Gegen diese Welle nationaler Empörung versucht WDR-Intendant Tom Buhrow gar nicht anzuschwimmen; er lässt er sich mitreißen und entschuldigt sich „ohne Wenn und Aber“. Für soviel eilfertige Feigheit muss man nicht Intendant sein, dass hätte auch jeder Volontär hinbekommen.
Zur Sache selbst: Der WDR-Kinderchor hatte das Lied von der Oma, die im Hühnerstall Motorrad“ fährt, in einer neuen, man kann auch sagen moderneren Version gesungen. Schon die klassische Oma in dem altbekannten Kinderlied ist eine fiktive Oma. Nie hat jemand geglaubt, dass die Omas, deren Kinder dieses Liedchen seit Jahrzehnten trällern, wirklich auf einer Honda oder Kawasaki durch einen Hühnerstall brettern. Der WDR-Kinderchor besingt in der neuen Version eine moderne und genauso fiktive Oma, die jeden Monat 1.000 Liter Super durch den Auspuff jagt, die im SUV beim Arzt vorfährt, die sich jeden Tag schön billiges Discounterfleisch reinzieht und zehnmal im Jahr ne Kreuzfahrt macht. Und am Ende jeder besungenen Öko-Sünde der (noch einmal: fiktiven !!!) alten Dame der Refrain: „Meine Oma ist ‚ne alte Umweltsau“. Wenn Kinder anhand dieses Liedchens vielleicht lernen, dass sie mit der Schöpfung nicht mehr so leichtfertig umgehen dürfen wie Papa, Mama, Opa und eben auch diese Oma im Lied, wäre das gewiss nicht der schlechteste Effekt. Denn die Generationen vor ihnen haben’s vermasselt. Deshalb erheben sich die Jungen jetzt.
Was für eine billige, um nicht so sagen perfide Unlogik, wenn Bild am Sonntag hetzt: „WDR lässt Kinderchor Rentner beleidigen“. Wie peinlich, wenn WDR-Intendant Buhrow diesen Vorwurf so stehen lässt, ihn sogar verstärkt. Aus dem Krankenhaus, in dem er gerade seinen kranken 92-jährigen Vater besuchte, sendet er die bußfertige Beteuerung: „Ich kann sagen, er ist keine Umweltsau“, als hätte das jemals einer behauptet.
Am selben Wochenende, an dem BamS sich über den WDR-Kinderchor ereiferte, berichtete die Süddeutsche Zeitung auf ihrer Titelseite: „Trotz mieser Öko-Bilanz wurden 2019 so viele SUV’s verkauft wie nie“ – bis November 1,08 Millionen. Frage an die Tugend- und Geschmackswächter von Bild am Sonntag: Darf man wenigstens die Fahrer und Fahrerinnen diese PS- und schadstoff-starken Monster-Autos „Umweltsäue“ nennen ? Vielleicht sind unter denen ja tatsächlich auch ein paar Omas.
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