Den Christdemokraten in Europa ist der letzte Rest an Haltung abhanden gekommen. Statt die Fidesz-Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban endlich aus der Europäischen Volkspartei (EVP) auszuschließen, hat sie die Mitgliedschaft der nationalistischen Partei nur vorübergehend suspendiert.
Das ist ein Verrat an den Grundwerten der Europäischen Union, die der ungarische Regierungschef seit Jahren mit Füßen tritt. Er kassiert die Subventionen, verweigert sich aber der europäischen Solidarität; im eigenen Land baut er ein autokratisches Herrschaftssystem auf, drangsaliert politische Gegner, beschneidet die Freiheit der Wissenschaft und die Unabhängigkeit der Justiz.
Mit gutem Grund hat die EU ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, um die bedrohlichen Entwicklungen in Ungarn aufzuhalten. Doch statt einzulenken, beleidigt Orban die Europaabgeordneten als nützliche Idioten und faselt weiter von illiberaler Demokratie. Allein das disqualifiziert ihn. Demokratie kann ohne Freiheit nicht sein.
Die Fraktion der Konservativen im Europäischen Parlament geht darüber hinweg. Seit Jahren lässt sie sich von Orbans Getreuen vorführen, seit Jahren drückt der EVP-Fraktionschef und Spitzenkandidat Manfred Weber (CSU) den nationalpopulistischen Fidesz-Abgeordneten gegenüber ein Auge zu. Das ist so durchsichtig, weil Weber die Nachfolge von Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident anstrebt und auf die Stimmen der Fidesz spekuliert, das ist zugleich so prinzipienlos, dass kein aufrechter Europäer den deutschen Christsozialen noch guten Gewissens unterstützen kann.
Die Verächter und Feinde der EU verdienen derartige Nachsicht nicht. Wenige Wochen vor der Europawahl, die zu Recht als Schicksalswahl bewertet wird, werden vielmehr glaubwürdige und überzeugte Demokraten gebraucht, die das historische Einigungswerk gegen die Angriffe der Nationalisten verteidigen. Die CSU, die sich ja ohnehin gern mit Orban gemein machte, lässt da erhebliche Zweifel aufkommen. Und die CDU scheint nun mit ihrer neuen Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ebenfalls auf europaskeptische Abwege zu geraten. Die Suspendierung der Fidesz-Partei war ihre Wunschlösung. Sie sprach vom Brückenbauen und davon, dass eine „Fortsetzung des Dialogs“ aussichtsreich erscheine. Sei das nun Heuchelei oder Naivität: In jedem Fall ist es, da sich Viktor Orban bisher nicht einmal im Ansatz als dialogbereit gezeigt hat, eine unverantwortliche Verharmlosung der rechtsnationalen, antisemitischen und demokratiefeindlichen Umtriebe in der Mitte Europas.
Bildquelle: flickr, European People’s Party, CC BY 2.0