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Home Politik

Fatale Eindrücke in der Flüchtlings-Debatte

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
14. Oktober 2016
Flüchtlinge

Nein, und da gebe ich dem Grünen Daniel Cohn-Bendit Recht, Deutschland ist nicht mit den vielen Hunderttausenden von Flüchtlingen überfordert. Und die Politik ist es auch nicht. Es gibt gewisse Enttäuschungen in bestimmten Reihen der Gesellschaft über Politik und über die Parteien, vor allem die Union wie die SPD, die Mitglieder und Anhänger verloren haben. Aber CDU und SPD sind immer noch ein bestimmender Teil in der politischen Debatte. Und es ist Unsinn, wenn der Eindruck erweckt wird, wie gestern in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ geschehen, als würde die AfD die Volksparteien vor sich hertreiben. Und es ist völlig daneben, wenn ein weiterer falscher Eindruck erweckt wird, als wäre Gauland schon oder bald Kanzler.

Wer von Überforderung redet, vergisst, dass Millionen Bürgerinnen und Bürger angepackt haben, geholfen haben, damit Tausende und Abertausende von Flüchtlingen aufgenommen werden konnten, dass sie etwas zu essen und trinken bekamen, dass sie medizinisch versorgt wurden. Es war das große Herr von Freiwilligen, das sich bereitfand, Tag für Tag und oft Nacht für Nacht, um Menschen in Not unter die Arme zu greifen. Sie haben bewiesen, dass abseits rechtsradikaler und feiger Übergriffe auf Flüchtlingsheime die Menschenwürde gewahrt wurde. Es wird allzu leicht vergessen- gerade in den Fernseh-Diskussionen über Wut-Bürger, Populismus und was sonst noch alles. Für die Helfer bleibt oft nur ein anerkennender Satz.

Deutschland nicht überfordert

Deutschland ist nicht überfordert. Es gab und gibt Probleme. Aber seit die Grenzen dicht sind und der Strom von Flüchtlingen abgeebbt ist, lichtet sich das gelegentliche Chaos, das entstehen musste, weil damals plötzlich so viele kamen. Und vergessen wir abseits aller Debatten über die AfD und deren Anhänger nicht, dass wir verpflichtet sind, Menschen in Not zu helfen. So steht es im Grundgesetz. Darüber sollten wir ruhig öfter reden. Und nicht immer nur denen das Wort erteilen, die Kritik an der Grenzöffnung durch die Kanzlerin im letzten Jahr üben und daran, dass durch das zunächst teils unkontrollierte Hereinlassen von Zigtausenden Menschen, die vor den Bomben geflohen waren, um das Leben ihrer Familie und die eigene Haut zu retten, tausendfach Gesetze verletzt worden seien. Was soll dieses Gerede!? Noch einmal: Was hätte die Kanzlerin denn machen sollen? Grenzen dicht und Soldaten an die Front, um Flüchtlingen den Weg nach Deutschland zu verwehren? Die Bilder wären um die Welt gegangen und hätten ein Bild von Deutschland gezeigt, das wir zum Glück nur noch aus Erzählungen, Filmen und Büchern kennen. Die Menschen nicht reinzulassen, ja das wäre nicht mehr mein Land gewesen. So ähnlich hat es Angela Merkel gesagt, so sehe ich das im Grunde auch.

Warum Menschen die AfD wählen, darüber wird viel gerätselt und diskutiert. Es gibt, darauf verweisen wissenschaftliche Untersuchungen seit Jahrzehnten, auch in Deutschland einen Bodensatz für rechtsradikale und nationale Gedanken. Mag sein, dass der größer geworden ist, weil die CDU unter der Führung von Merkel und mit Hilfe der SPD in der großen Koalition etwas nach links gerückt ist, mag sein, dass das damit zusammenhängt, dass sich die Union inhaltlich verändert hat, indem sie sich den gesellschaftlichen Erfordernissen angepasst hat. Beklagt jemand etwa, dass die Kernenergie die Zukunft hinter sich hat? Dass der Kohle ähnliches bevorsteht, weil wir die Umweltbelastung runterfahren müssen? Beklagt jemand Reformen in der Schulpolitik, den Ausbau der Gesamt- und Ganztagsschulen?

Offenheit und Ehrlichkeit in der Debatte

Wir brauchen in der politischen Darstellung mehr Offenheit, Ehrlichkeit. Die Menschen haben ein Recht darauf zu erfahren, wo die Probleme sind und wie sie gelöst werden, was sie kosten und wer das alles in welcher Höhe zu bezahlen hat. Das ist sachliche Politik, die den Bürgerinnen und Bürgern vermittelt werden muss-oder besser noch: Die mit den Menschen vor Ort erörtert werden sollte. Neudeutsch heißt das: Die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen. Die Probleme dürfen nicht schön geredet werden, die Wahrheit kommt sowieso auf den Tisch. Aber es stimmt einfach nicht, wenn die AfD und deren Helfer behaupten, Flüchtlinge bekäme hier eine Rundumversorgung zum Nulltarif und die Deutschen gingen leer aus.

Ein anderes Problem, bei Maybrit Illner nicht angesprochen, aber sehr aktuell: Wer heute fordert, die Stromtrassen unter die Erde zu legen, der muss auch die riesigen Kosten dafür in Kauf nehmen. Viele Stromleitungen werden über Land geführt werden müssen, sie werden nicht jedem gefallen, die Landschaft wird dadurch nicht ansehnlicher. Aber ohne wird es nicht gehen. Wer das leugnet, belügt die Wählerinnen und Wähler. Hier muss die Politik protestierende Zeitgenossen überzeugen. Nicht jede Bürgerinitiative ist sinnvoll.

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende, Julia Klöckner, zugleich Chefin der Union in Rheinland-Pfalz, hatte eine feine Spitze an die Adresse eines ehemaligen CDU-Mannes, der in die AfD eintreten will, parat. „Jesus war Aramäer, also ein Mann, den Alexander Gauland nicht als Nachbar hätte haben wollen.“ Richtige Attacke auf Gauland, der einst für die CDU in Hessen gearbeitet hatte, so unter Walter Wallmann. Aber Frau Klöckner, die vor Monaten zur eigenen Überraschung die Landtagwahl gegen die Titelverteidigerin von der SPD, Malu Dreyer, verloren hatte, konnte es nicht lassen, wieder einmal ein Verbot der Vollverschleierung für Frauen zu fordern. Als wenn damit die Probleme zu lösen wären!

Mir gefallen Verschleierte auch nicht

Mir gefallen verschleierte Moslem-Frauen auch nicht. In meinem Ortsteil Bonn-Kessenich kommt mir in der Woche vielleicht eine verschleierte Frau entgegen, deren Gesicht ich nicht erkennen kann. Wenn ich mit dem Rad durch Godesberg fahre, erlebe ich schon mal eine Handvoll Frauen, die ihre Gesichter hinter Tüchern verdecken. Schön ist das nicht. Aber sollen wir alles verbieten, was uns nicht gefällt? Es handelt sich zumeist um Medizin-Touristen, die sich in den Bonner Kliniken behandeln lassen, die also nur kurzzeitig hier leben. Richtig ist der Hinweis der Kanzlerin, dass Frauen, die ihr Gesicht verschleiern, in Deutschland nicht integriert werden wollen. Im Übrigen, Frau Klöckner: Mir machen andere Dinge mehr Sorgen und das sind die Neonazis und ihre Angriffe gegen Flüchtlinge. Deren Verhalten ist kriminell und müsste viel stärker von der Polizei und der Staatsanwaltschaft verfolgt werden. Mich stören die Vorkommnisse in Freital, in Bautzen, in Dresden, ich finde das Auftreten von Pegida teils widerlich. Warum laufen denen Hunderte hinterher? Das ist ein Thema. Und dass gerade in Sachsen, in diesem schönen Land, diese hässlichen Übergriffe passieren, das ist etwas, was uns beschäftigen muss.

Aufschlussreich das Auftreten eines gewissen Stefan Petzner, Ex-Pressechef des vor Jahren verunglückten FPÖ-Chefs Jörg Haider. Auf die Frage von Maybrit Illner, wie man dem rechten Populismus begegnen solle, antwortete Petzner: „Die heutige Sendung ist eines der besten Beispiele, was falsch gemacht wird von den etablierten Parteien“. Das Mittel radikaler Populisten sei immer die Provokation, der Tabu-Bruch, das einzige Mittel dagegen sei das Ignorieren dieser Provokationen. „Dann müssten die Populisten ihre Dosis erhöhen und würden den Bogen überspannen.“

Ob das der Wahrheit letzter Schluss ist? Julia Klöckner sieht die AfD zwar als eine Art Stachel im Fleisch der anderen Parteien, die man aber nicht brauche und die man überflüssig machen müsse. Man dürfe die AfD nicht größer machen als sie in Wirklichkeit sei und die CDU dürfe keine Koalitionen mit dieser Parte eingehen, denn die AfD stehe für das Gegenteil von dem, was das Christentum ausdrücke. Oder lassen wir Cohn-Bendit dazu reden: Probleme benennen und sie lösen.

Bildquelle: Wikipedia, Wikiolo derivative work: MagentaGreen – Diese Datei wurde von diesem Werk abgeleitet Polizei fängt Flüchtlinge an.JPG: 50px
Polizei fängt Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof ab. Das Foto wurde am 12. September 2015 aufgenommen, CC-BY-SA 4.0

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Tags: FlüchtlingeFlüchtlingsdebatteFlüchtlingspolitikMaybritt IllnerRechtsextremismusRechtspopulismus
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