Ente im Grünen

Grüne steuern zaghaft auf neue Rolle zu

Das Motto eines Parteitags soll in der Regel eine kurze, knappe Botschaft senden und eine Art Zeitansage darstellen für das, was gerade ansteht. Die Grünen haben ihre Bundesdelegiertenkonferenz in Bielefeld mit dem Wortspiel „Mehr wagen, um nicht alles zu riskieren“ überschrieben. Das ist gefällig, beliebig und inhaltsleer und bringt ungewollt treffend die Lage der Grünen zum Ausdruck.

„Mehr wagen“ liest sich wie eine Anleihe an Willy Brandt, bei dem allerdings jedermann klar war, dass es ihm um die Demokratie ging. Bei den Grünen darf sich das Publikum selbst denken, wofür die gerade erfolgsverwöhnte Partei ihren Mut aufbringen will: Eine ökosoziale Marktwirtschaft, Umweltschutz und Wirtschaftswachstum, eine europäische Armee, zwölf Euro Mindestlohn, um auch etwas Konkretes zu nennen.

Bei ihrem Kernthema allerdings, dem Klimaschutz, der in der gesellschaftlichen Debatte endlich den notwendigen Stellenwert erlangt hat, ging der Bundesvorstand doch recht verzagt zu Werke. Es war die Basis, die in Bielefeld einen CO2-Preis von 60 Euro/Tonne einforderte und durchsetzte. Die 40 Euro, die die Parteiführung in ihrem Leitantrag vorgegeben hatte, erschienen den Delegierten gerade nicht als mutig und auch nicht entschlossen genug, um einen wirksamen Beitrag zur CO2-Einsparung zu leisten.

Sie trauen offenbar ihrem eigenen Erfolg nicht. Sie suchen den richtigen Weg, wie sie regierungsfähig werden, ohne ihre Prinzipien zu verraten. Sie haben die großen Volksparteien stets mit Argwohn betrachtet, sich einst als Alternative zu ihnen auf den Weg in die Parlamente gemacht, und plötzlich fordern Wahlerfolge und Umfrageergebnisse, dass sie sich selbst zu einer Volkspartei entwickeln. Das behagt vielen in den eigenen Reihen nicht.

Der Wind kann sich schnell drehen. Die Grünen wissen das aus leidvoller Erfahrung. Sie tasten sich nur vorsichtig vor auf neues Terrain, um das Stimmungshoch nicht zu gefährden. In Bielefeld riefen sie sich ihren Europawahlerfolg noch einmal in Erinnerung, während die neuesten Meinungsumfragen sie in einem Abwärtstrend sehen. Auch die Erinnerung an den damaligen grünen Superstar Joschka Fischer flammte auf, der vor 20 Jahren am gleichen Ort für den Nato-Einsatz im Kosovo warb und auf dem Podium mit einem Farbbeutel beworfen wurde.

Prinzipienwechsel und Personenkult weckten in der Vergangenheit den Unmut der Basis und forderten die Parteispitze zu Teamwork heraus. Die Doppelspitze im Vorsitz bändigte früher die Flügelkämpfe zwischen Fundis und Realos. Seit Anfang 2018 Annalena Baerbock und Robert Habeck gewählt wurden, ist das Duo rein realpolitisch besetzt. Mit klarer Richtung und Kurs auf die Macht. Beide sind in ihren Ämtern mit rekordverdächtigen Ergebnissen bestätigt worden.

Dabei hat Annalena Baerbock hinter ihren Satz, sie sei nicht nur die Frau an Roberts Seite, ein fettes Ausrufezeichen gesetzt. Die Delegierten wählten sie mit mehr als 97 Prozent der Stimmen und erteilten damit den Medien und auch einzelnen grünen Männern eine Lektion, die mit Blick auf die Kanzlerkandidatur bislang immer nur Habeck auf dem Schirm hatten.

Am liebsten meiden sie das Thema noch. Sich weit vor 2021, dem Jahr der regulären Bundestagswahlen auf einen Kanzlerkandidaten zu einigen, erscheint ihnen verwegen. Statt einen Keil zwischen ihre Doppelspitze zu treiben, setzen die einst so streitlustigen Grünen auf Harmonie. In der Annahme, dass genau darin ihre momentane Stärke begründet liegt, während die sogenannten Volksparteien mit heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen und dem Dauerkonflikt in der Großen Koalition zu kämpfen haben. Das bedeutet aber auch, dass die grüne Programmatik noch nicht ihre Tragfähigkeit unter Beweis gestellt hat. Um dauerhafte Bindungskraft weit in die traditionellen Wählermilieus von CDU und SPD hinein zu entfalten, bleibt einiges zu tun. Die Arbeit am Grundsatzprogramm dauert noch bis Herbst 2020. Nach der Devise, allen wohl und keinem weh, kann das nicht gelingen. Wenn sie nicht auf eine große Beliebigkeit zusteuern wollen, müssen die Grünen in diesem Jahr entschieden mehr wagen.

Bildquelle: Pixabay, Jacques GAIMARD, Pixabay License

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Die promovierte Medienwissenschaftlerin arbeitete mehr als 20 Jahre in der Politikredaktion der Westfälischen Rundschau. Recherchereisen führten sie u. a. nach Ghana, Benin, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, China, Ukraine, Belarus, Israel und in das Westjordanland. Sie berichtete über Gipfeltreffen des Europäischen Rates, Parteitage, EKD-Synoden, Kirchentage und Kongresse. Parallel nahm sie Lehraufträge am Institut für Journalistik der TU Dortmund sowie am Erich-Brost-Institut für Internationalen Journalismus in Dortmund wahr. Derzeit arbeitet sie als freie Journalistin.


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