Zum Auftakt des dreitägigen Staatsbesuchs von Recep Tayyip Erdogan steht es gewissermaßen 1:0. Deutschland und nicht die Türkei wird 2024 die Fußballeuropameisterschaft ausrichten. Das war keine Überraschung, und es ist auch nicht das größte Problem, das den türkischen Staatschef umtreibt.
Erdogan braucht Geld. Er hat sich mit protzigen Prestigeprojekten auf Pump übernommen, mit US-Präsident Donald Trump zerstritten, die Lira ist im freien Fall, ausländische Investoren sind abgeschreckt. Die unanständige Machtfülle, mit der Erdogan sich per Verfassungsreferendum ausgestattet hat, nützt ihm da nichts. Also besinnt er sich auf die Freunde von früher, die er in den vorigen Jahren mit Nazi-Vergleichen und Faschismus-Vorwürfen noch so brüsk verprellt hat.
Vergeben und vergessen, unter den roten Teppich gekehrt? Weit gefehlt, sagen Bundesregierung und Bundespräsident. Wenn ein so gar nicht ehrenhafter Staatsmann mit allen Ehren empfangen wird, gelte die Geste dem Land und nicht der Person. Der Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir konkretisierte: „Dem Teil der Türkei, der der leidtragende der Politik Erdogans ist, dem gilt die Solidarität der Demokraten der Bundesrepublik Deutschland. Die lassen wir nicht allein, wenn sie sich für Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Europa einsetzen.“
„Wir erwarten nach dem Trauma des Putschversuchs von 2016 die Rückkehr der Türkei zu rechtsstaatlichen Verhältnissen“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dem Redaktionsnetzwerk Deutschland und betonte: „Wir können und werden den Druck auf Medien, Justiz und Gewerkschaften nicht akzeptieren.“ Auch die Fälle der in der Türkei inhaftierten deutschen Journalisten werde er ansprechen.
Anzusprechen gilt es auch die „Spionage-App“, über die in mehreren Medien pünktlich zu Erdogans Eintreffen in Berlin berichtet wurde. Die türkische Polizei habe eine App entwickelt, mit der weltweit Kritiker der türkischen Regierung angezeigt werden können. Und beim Stichwort Spionage wird auch das Gebaren der türkisch-islamischen Union „Ditib“ anzusprechen sein, der das Bespitzeln von Erdogan-Kritikern in Deutschland vorgeworfen wurde und die inzwischen ins Visier des Verfassungsschutzes geraten ist.
In Köln-Ehrenfeld hat der Verband eine große Moschee errichtet, die nun im Beisein von Erdogan eingeweiht werden soll. Das verfestigt nicht nur den Vorwurf, die Ditib agiere in Deutschland als verlängerter Arm der türkischen Regierung, sondern sät auch neuen Unfrieden in der Stadt, die mit Istanbul eine Städtepartnerschaft unterhält. Anhänger und Gegner Erdogans haben Demonstrationen angemeldet. Nordrhein-westfälische Politiker und auch Oberbürgermeisterin Henriette Reker haben eine Einladung zu den Feierlichkeiten ausgeschlagen.
Allerdings will Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) den Staatsgast offiziell im Schloss Wahn empfangen. Bei aller Distanz ist auch das ein Ja zum Dialog. Und bei aller Skepsis, dass Erdogan ein einsichtiger Gesprächspartner sein wird: der Weg zu einer (Wieder-)Annäherung an Europa und zu einer Verbesserung des Miteinanders hier und der Lebensbedingungen für die Menschen in der Türkei führt über den Dialog.
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