Wer durch diese Gegend spaziert, läuft durch Berliner, durch Deutsche Geschichte, mitten im alten West-Berlin zwischen Kurfürstendamm und Kantstraße in Charlottenburg. Alte, prächtige, hochherrschaftliche Häuser. Einhundert Jahre alt oder mehr in der Bleibtreu-, der Schlüter- oder der Mommsenstraße. Künstler, Anwälte, Kaufleute, Militärs haben hier gelebt… Mascha Kaleko, Tilla Durieux, Emil Flechtheim, um nur einige zu nennen, haben hier gewohnt, flanierten durch die nahe des Savigny Platzes gelegenen Straßen, flohen vor den nationalsozialistischen Schergen. Plaketten an den Häusern erinnern an die Emigranten von einst. Hier kommt Ende der 80ger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein achtjähriger Junge mit seinen Eltern Doris und Andreas Hiernerwadel her. Sie besuchen die Weinhandlung Klemke an der Schlüter- / Ecke Mommsenstraße. Das erste Mal: „Ich wusste immer, den wollt` ich haben, den Klemke,“ erinnert sich der heute 40jährige Robbie mit strahlenden Augen. Klemke gibt es zur Zeit bereits acht Jahre, seit 1980. Im West-Berlin, der Bubi Scholz, Rolf Eden, Wolfgang Gruner und seiner Stachelschweinen Günter Pfitzmann und vieler anderer… bekannter Radioreporter wie Jürgen Graf, Juliane Bartel, Hans- Werner Kock, Friedrich Luft. Klemke ist in jenen Jahren eine Weinhandlung im Kiez, fern von Neukölln, Tegel oder Zehlendorf, in einer stillen, bürgerlichen Gegend.
Siebenunddreißig Jahre später, 2017, hat Robbi sein Ziel erreicht. Ihm gehört Klemke zusammen mit seinen Eltern. 2017 habe sie den Laden erworben und eine Art Kiezweinstube mit angeschlossener Begegnungsstätte daraus gemacht: „Ich würde es immer wieder machen. Wein war immer meine große Liebe,“ begeistert sich der studierte Diplom-Kaufmann: „Die Weine sind Handarbeit, individuell und ja, wir haben auch teure Weine. Seine Eltern waren von Anfang an dabei, sind es noch heute. Die Gäste sind treu, Anwälte und Angestellte, Polizisten und Schauspieler, national wie international, Filmemacherinnen, ein Redenschreiber des „Berliner Regiermeisters“, die Frau des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler führt deren Hund vorbei, ein scheues Lächeln des früheren Spitzenpolitikers. Klemke ist nicht laut, kein Rummelplatz. Wer sich in Berlin auf eine Art Spurensuche begibt, kann hier anfangen. Robbies Vater Andreas kocht, ist in der engen, heißen Küche für das Fleisch zuständig, in der Freizeit malt er. Meistens ohne Vorlage, aus dem Gedächtnis. Seine Bilder hängen im Laden. An den Wänden, in den Fenstern zwischen den Weinregalen. Wolfgang Gruner, eine Berliner Institution und ein großer Kabarettist, war sein Freund, bis zu dessen Tod 2002. Der kleine Robbie war Gruners Lieblingskind.
Ein Gast, Klaus, meint: „Das ist hier so eine Art öffentlicher Wohngemeinschaft mit Essensausgabe und angeschlossenem Weinausschank.“ Das findet Robbie gar nicht so falsch als er durch den Weinladen mit Essensausgabe auf einer Grundfläche von gut 220 qm läuft. Langsam gehen kann er offenbar nicht, auch nicht durch den verwinkelten, verschachtelten Weinkeller, in dem 55 000 Flaschen etwa, Champagner, Rot- und Weißwein und Spirituosen lagen, gute Sache aus Frankreich und Italien vor allem. Es ist Mittag geworden. Doris Hienerwadel und eine Kollegin geben Essen aus, „eine gutbürgerliche Küche, die jeden Tag, außer sonntags ab sieben Uhr neu entsteht: „Mehr Biofleisch möchte ich gerne anbieten, die Speisekarte soll auch ein bisschen mehr vegetarisch werden“ erzählt Robbie. Schwerpunkt Fleisch und Gemüse, Fisch am Freitag. Was fehle seien gute sardische Weine. Unterdessen ist es draußen an den Stehtischen voll. Bürgermeister Müllers Redenschreiber ist wieder da, eine Regisseurin auch, wie die beiden Anwälte. Das Gesprächsthema in diesen Tagen ist natürlich Corona, die fürchterlichen Demonstration von Rechtsradikalen und den Gegnern von Coronamaßnahmen in Berlin. Kopfschütteln an den Tischen. „Corona hat uns im Vergleich zum Vorjahr nicht geschadet,“ stellt Robbie fest, „wenn wir diese Phase jetzt überleben, dann überleben wir wirklich.“
Er schlürft einen Südtiroler Sauvignon Blanc 2019, genießt ihn und ist wie immer auf dem Sprung. Mutter Doris lächelt ihm hinterher. Vater Andreas blättert in den Tageszeitungen, erinnert sich, dass sein Sohn immer lebhaft war, auch als er als Kind mit „Onkel Wolfgang Gruner“ Filme synchronisiert hat. Die drei und ihre sieben Angestellten machen alles, sonst ginge es nicht, sagen sie. Diese Art von Kiezläden sind im Berlin der zurückliegenden 30 Jahre immer seltener geworden. In Charlottenburg auch. Was sie hier sehen,“ lächelt ein Gast am Nebentisch, “ gibt`s in diesem Stadtteil so nicht nochmal.“ Und Robbie? „Dieses Abenteuer soll nie aufhören.“
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