Wer ihm begegnet ist, konnte sich zumeist der Faszination seiner Persönlichkeit nicht entziehen. Oskar Lafontaine war und ist immer noch eine der auffallenden politischen Figuren in der Bundesrepublik. Er war nie leicht zu berechnen, er konnte sehr populär sein, aber auch gnadenlos arrogant und oberlehrerhaft. Das war ihm egal. Er war er. SPD-Politiker, Oberbürgermeister von Saarbrücken, Ministerpräsident des Saarlands, der der CDU die Mehrheit in diesem kleinen Land an der Grenze zu Frankreich abgejagt hatte. Dann hätte er nach dem Willen von Willy Brandt SPD-Chef werden sollen, was er nach einer Nacht, in der er darüber schlief, ablehnte. Er wurde Kanzlerkandidat der SPD und verlor krachend gegen Helmut Kohl in der Einheitswahl 1990, bei der er nie eine reelle Chance hatte. Man darf nicht vergessen, dass er bei einem Messer-Attentat lebensgefährlich verletzt wurde, aber weitermachte. Gerade ist er 75 Jahre alt geworden.
Dann wurde er doch noch SPD-Parteivorsitzender, weil er beim Parteitag in Mannheim den unglücklich hantierenden Rudolf Scharping quasi handstreichartig stürzte. Er verhalf Gerhard Schröder zur Mehrheit, um schließlich und endlich den schwarzen Riesen Kohl nach 16 Jahren abzulösen, er wurde Finanzminister, schmiss hin, trat aus der SPD aus, schloss sich der Linkspartei an, führte sie mit Gregor Gysi. Und heute sitzt der Jubilar in Merzig im Saarland mit seiner um viele Jahre jüngeren Frau Sarah Wagenknecht, hat die Bewegung „Aufstehen“ -gemeint gegen Rechts- gegründet. Und hofft auf Mitstreiter. Gewinnen wird er am Ende nicht, wie immer, könnte man hinzufügen.
Der KZ-Vergleich mit Helmut Schmidt
Mir wählet de Oskar. So der Wahlkampfslogan der SPD an der Saar vor Jahrzehnten. Die sieggewohnte CDU hatte gegen ihn gegen Chance. Er füllte die Hallen, emotionalisierte wie sonst keiner in seiner Partei. Er fegte den amtierenden Ministerpräsidenten aus dem Amt. En Marche. Das hätte ein Spruch sein können, der auf Oskar Lafontaine passte. Andererseits war er so einfach nicht. Er konnte polemisieren und polarisieren, wenn ihm danach war und der Gegner ihm auf die Nerven ging. Da spielte es keine Rolle, in welcher Partei dieser war. Auch Sozialdemokraten mussten mit Attacken des Saarländers rechnen. Man denke an den großen Helmut Schmidt, der war immerhin Bundeskanzler. Und der eigentlich kleine Oskar Lafontaine erlaubte sich den Vergleich, dass man mit den Talenten des Hamburgers wie Disziplin und Pflichtgefühlt auch Leiter eines KZ hätte werden können.
Ja, der Oskar Lafontaine war schon eine politische Rakete. Er sympathisierte mit der Friedensbewegung und kämpfte gegen den Nato-Doppelbeschluss. Viele trauten ihm jedes Amt der Republik zu. Die Herzen vieler angesehener Journalisten aus allen Teilen Deutschlands flogen ihm zu, sie verehrten ihn, was eigentlich nicht Sache von Journalisten sein sollte. Aber es war so. Man schaue in die großen Zeitungen und Magazine der 80er und vor allem der 90er Jahre. Seiten wurden dem Saarländer und seinen Ideen gewidmet. Er galt als der Mann von morgen, der kommende Kanzler, weil er Visionen hatte. In der Tat kämpfte Lafontaine für den Schutz der Umwelt zu Zeiten, als es kaum jemanden interessierte. Die Probleme der deutschen Einheit hat er den Wählerinnen und Wählern auf den Kopf zugesagt mit der Folge, dass er die Wahl haushoch verlor. Dabei hatte er in der Sache recht. Die Finanzkrise hat er als einer der ersten vorhergesagt. Lafontaine war schon vor vielen Jahren ein Verfechter der nachhaltigen Wirtschaft und ein Kritiker des stetigen Wachstums. In der Flüchtlingspolitik hat er eigene Ideen, nämlich den afrikanischen Staaten zu Hause wirklich zu helfen und ihnen nicht die gut ausgebildeten Arbeitskräfte abzuwerben. Er hat die Sorgen der Menschen im Blick, wenn er die AfD bekämpft.
Ich habe ihn bei SPD-Kundgebungen im Saarland erlebt. Mit Bussen der SPD wurden Journalisten an die Saar gefahren, das dauerte oft Stunden, weil die Fahrt mitten durch die Eifel ging. Aber man tat sich den Tort an, um den Mann der Zukunft zu beobachten. Und oft genug saß der große Mann der SPD, Willy Brandt, in der ersten Reihe. Er hatte den Oskar als seinen legitimen Nachfolger ausgesucht, er applaudierte dem Jungen, bewunderte dessen sprachliche Kraft. Links der Mitte hatte Brandt die neue Mehrheit entdeckt.
Lafontaine hielt Brandt Deutschtümelei vor
Aber dann gab es Risse zwischen Brandt und Lafontaine, vor allem im Zusammenhang mit der deutschen Einheit, mit der Oskar Lafontaine wenig anfangen konnte. Dagegen bedeutete diese sensationelle Entwicklung ein Jungbrunnen für den Alten, der aber immer weiter gedacht hatte. Für Willy Brandt war Europa das Thema der Zukunft, bei aller Liebe für die deutsche Einheit und die deutsche Hauptstadt Berlin, in der er Jahre zuvor Regierender Bürgermeister gewesen war. Lafontaine und auch Gerhard Schröder, der Brandt eigentlich auch verehrte, hielten dem großen Vorbild Deutschtümelei vor. Der Riss war da.
Oskar Lafontaine am Rednerpult, das war eine Wucht, die einen mitriss. Beispiel Mannheim, der Parteitag, der Scharping stürzen ließ. Der Mann aus dem Westerwald hatte eine langweilige Rede gehalten, die im Grunde viele dem Einschlafen nahe gebracht hatte. Und das in einer Situation, in der die SPD in Umfragen auf 23 Prozent gesunken war. Wir reden von der Mitte der 90er Jahre. Die Partei sehnte sich zurück an die Macht in Bonn. Und dann kam Oskar Lafontaine. Er peitschte die Delegierten nach vorn, wühlte sie auf. Inhaltlich war das alles ziemlich Kraut und Rüben. Der springende Punkt war, dass Lafontaine die Emotionen der Genossinnen und Genossen traf. Und dann kam der kleine, aber wesentliche Satz seiner Rede, die die Parteifreunde von den Sitzen riss: Wer nicht selbst begeistert ist, kann auch andere nicht begeistern. So ähnlich war das damals. Scharping genoss die Sympathie von Johannes Rau und anderen aus der konservativen SPD-Ecke, mit Lafontaine und Schröder verbanden viele die Hoffnung, endlich den Kanzler Kohl im Kanzleramt abzulösen. Lafontaine wurde gewählt.
Stichwort Johannes Rau: Auch wenn eine Vereinbarung später dementiert wurde, Rau wurde mit der Zustimmung von Schröder und Lafontaine Bundespräsident. Vor allem Lafontaine hielt sich an ein gegebenes Versprechen, den langjährigen Ministerpräsidenten von NRW zum Staatsoberhaupt und Platz zu machen für seinen Nachfolger Wolfgang Clement. Mit Rau verband ihn eine Freundschaft, die bis zum Tod des Wuppertalers hielt. Lafontaine verabschiedete sich von Johannes Rau im Berliner Dom.
Er konnte Gesprächspartner brüskieren
Er konnte seine Gesprächspartner ziemlich brüskieren. Interviewpartner mussten es sich gefallen lassen, dass ihnen der Oskar Lafontaine die Welt erklärte. Selbst bei Redaktionsbesuchen konnte es passieren, dass der Gast, eben der SPD-Politiker Lafontaine eine Frage des Wirtschafts-Redakteurs der Zeitung dazu benutzte, um diesem klarzumachen, dass er keine Ahnung hatte.
So war er immer. Dabei konnte er sehr gefällig sein, humorig, er war ein Kenner der Kunst, der Malerei, belesen, er schätzt gutes Essen und beste Weine, ist international unterwegs und an neuen Entwicklungen interessiert. Ein Mann der Vergangenheit war er nie.
Was er erreicht hat? Vieles und wenig zugleich. Er hat es nicht zum Kanzler geschafft, da musste er Schröder den Vortritt lassen, den Mann, den das Volk mehr liebte als ihn. Würde man ihn heute fragen, er würde natürlich darauf bestehen, dass er in vielen inhaltlichen Fragen Recht gehabt habe. Aber er hat das Recht nicht bekommen. Fast wie Franz Josef Strauß. So wird es auch mit seiner neuen Bewegung sein, die geboten ist angesichts des zunehmenden Einflusses rechtsradikaler und neonazistischer Gruppen. Aufstehen gegen Rechts. Die vereinte Linke. Das wäre richtig. Aber es ist kaum anzunehmen, dass ihm die SPD, die er verlassen hat, folgen wird. Und seine Frau Sarah Wagenknecht wird es nicht mal schaffen, die Linke hinter sich zu versammeln.
Sein Freund auf der rechten Seite des politischen Spektrums, der CSU-Mann Peter Gauweiler, hat ihm anlässlich seines Geburtstages zugerufen: „Wir snd zu alt, um nur zu spielen- zu jung, um ohne Wunsch zu sein.“ Glück auf für alles Weitere wünschte ihm der Freund. Oskar Lafontaine sei der Vorschwimmer gegen den Strom politischer Korrektheit. Er wird unbequem bleiben. Hoffentlich.
Bildquelle: By Dirk Vorderstraße (Oskar Lafontaine (DIE LINKE) in Hamm) [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons
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