Der letzte Kreuzritter

Man muss gehen, so lange man noch laufen kann – Der Abschied fällt vielen Politikern schwer: Kanzlern, Parteichefs, Ministerpräsidenten

Man muss gehen, solange man noch laufen kann. Mit diesen Worten hat der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann seinen freiwilligen Abschied aus der Villa Hammerschmidt, dem damaligen Sitz des Staatsoberhauptes, nach einer Amtszeit begründet. Es hat viele erstaunt, dass der beliebte Essener von sich aus auf eine zweite Amtsperiode verzichtete. Ein solcher Schritt kommt selten vor in der Politik. Meist muss man sie aus den Ämtern drängen, sie abwählen, ihnen quasi den Stuhl vor die Tür setzen, ehe sie merken, dass es Zeit ist zu gehen. Das war bei Konrad Adenauer nicht anders als bei Helmut Kohl. Oder Johannes Rau. Und ob Angela Merkel noch in der Lage ist, selber den Tag des Abschieds zu bestimmen oder ob sie abgewählt wird, ist nicht gewiss. Jedenfalls könnte es für sie nach dem Sturz ihres langjährigen getreuen Weggefährten, des Fraktionschefs der Union Volker Kauder, ungemütlich werden. Noch zwei Sätze zu Heinemann: Vielleicht hat er gemerkt, dass die Kraft zu Ende geht. Zwei Jahre nach seinem Abschied ist er gestorben.

Ein guter Abgang ziert die Übung

Ein guter Abgang ziert die Übung, das gilt für den Turner am Reck und am Barren, das gilt auch für Politiker in der ersten Reihe. So ähnlich hat vor vielen Jahren mal ein CDU-Abgeordneter gegenüber Helmut Kohl begründet, warum er seine Laufbahn im Berliner Reichstag nicht fortsetzen werde. Der Mann wollte halt nicht erleben, dass Jüngere ihm eines Tages per Kampfabstimmung das Mandat abnehmen, ohnehin hatte er vor, noch ein wenig als privater Unternehmensberater zu arbeiten. Kohl selber habe auf die Bemerkung, die auch auf Kohls ziemlich unwürdigen Abgang zielte, mürrisch reagiert. Der Kanzler der Einheit hätte einen besseren Abschied gehabt, wenn er 1996 gegangen wäre und den Platz zum Beispiel für Wolfgang Schäuble freigemacht hätte. Aber, nein, er hielt sich für den Besten, wenn es um seine eigene Nachfolge ging. Und so passierte eben die Spendenaffäre, die die wirklich große Karriere des Pfälzers an die Wand fuhr. Wer spricht heute noch von Kohl? Es ist nicht vergessen, wie seine Nachfolgerin wegen der Spendenaffäre ihm die Würde des Ehrenvorsitzenden aberkannte.

Oder nehmen wir Konrad Adenauer, den ersten Bundeskanzler, der auch mit 85 Jahren noch nicht aufhören wollte, zumal er Ludwig Erhard das Amt nicht zutraute. Adenauer trug sich sogar mit dem Gedanken, Bundespräsident zu werden, verzichtete aber, nachdem ihm der Justizminister erklärt hatte, dass er als Präsident politisch wenig zu sagen hätte. Erzählt wird aus Unionskreisen, dass die Personalie  Bundespräsident in einer Fraktionssitzung von Heinrich Krone, dem Fraktionschef,  vorgetragen werden sollte. Krone war gewieft genug, um dem Alten aus Rhöndorf den Vortritt zu lassen: Der Herr Bundeskanzler möchte eine Erklärung  abgeben, so ähnlich wird Krone zitiert. Aber Adenauer wehrte ab. „Ich mach et nit.“ Frage Krone: „Wer soll es denn machen? „Adenauer: „Der Heinrich Lübke.“ Darauf  Lübke: „Ich kann das nicht.“ Dann wieder Adenauer: „Dann machen Sie et, so jut Sie et können.

Als die FDP Adenauer zum Rücktritt zwang

Was nach einer Posse klingt, war natürlich Machtpolitik. Aber der große Kanzler hatte sich verschätzt. Er gab der FDP und der Union bei der Wahl 1961 mündlich zu erkennen, dass er im Falle seiner Wiederwahl 1963 abtreten werde. Sonst hätten die Liberalen Adenauer nicht gewählt. Und die FDP ließ nicht mehr mit sich verhandeln. Also musste Adenauer in den sauren Apfel beißen. Man kann das in Kohls Erinnerungen nachlesen. Viele in der CDU hätten Adenauers Bemühungen, Erhard als Kanzler zu verhindern, als Bösartigkeit angesehen, einem Mann, dem die CDU viel zu verdanken hatte, das Amt des Kanzlers zu verweigern. Dabei sei Erhard in allen Wahlkämpfen eine der entscheidenen Säulen auch für Adenauers Wahlerfolge gewesen. In der CDU-Fraktion habe sich sogar eine „Brigade Erhard“ gebildet, Anhänger des Wirtschaftsministers, die seine Politik auch in der Publizistik unterstützten. Adenauer, schreibt Kohl, hätte lieber den damaligen Finanzminister Franz Etzel als seinen Nachfolger gesehen, aber Erhard habe die stärkeren Bataillone gehabt. Erhard wurde Kanzler, aber nur für kurze Zeit. Bei der Bundestagswahl 1965 kam die CDU auf 47,6 Prozent der Wählerstimmen und verfehlte die absolute Mehrheit nur knapp. Die FDP erreichte 9,5 Prozent und die aufstrebende SPD kam auf  39.3 Prozent. Erhard schaffte die Neuauflage der Koalition mit der FDP, aber das Bündnis stand auf wackeligen Beinen.

Im Streit um die Haushaltspolitik lehnte die FDP es ab, ein wegen der anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten – Bergbaukrise – wachsendes Defizit durch Steuererhöhungen auszugleichen. Es kam zu einer Regierungskrise, die im Rücktritt der FDP-Minister aus dem Kabinett Erhard gipfelte. Das geschah am 27. Oktober 1966. Bundeskanzler Erhard reagierte mit der Erklärung, dass er am Ende seiner Möglichkeiten sei. Er wies auf innere Probleme der Union hin, eine fehlende Geschlossenheit und er ließ erkennen, so Kohl in seinen Erinnerungen, dass er mitweinen Regierung keine Zukunft mehr sehe.

Erhard wurde dann richtiggehend abserviert als Kanzler in einer Vorstandssitzung der CDU im Kanzlerbungalow. Da wurden viele Namen genannt, nur der des Amtsinhabers nicht mehr: Barzel wollte es werden, Schröder, Gerstenmaier, Kiesinger. Und der baden-württembergische Ministerpräsident wurde es dann, nachdem die CSU-Landesleitung Kiesinger vorgeschlagen hatte. Als die Sitzung vorbei war, seien alle schnell verschwunden, schreibt Kohl, der dann von Erhard angesprochen wurde, der sehr deprimiert gewesen sei: „Herr Kohl, jetzt sehen Sie, wie es ist, wenn man gestürzt ist, dann ist man ganz allein.“ Er habe sich fast geschämt, so Kohl in seinen Erinnerungen. Er sei dann auf Bitten Erhards geblieben und sie hätten noch eine Flasche Wein getrunken.

Willy Brandt ging freiwillig aus dem Amt

Willy Brandt ging 1974 freiwillig. Wegen der Guillaume-Affäre, ja. Aber auch, weil er die ständigen persönlichen Anwürfe aus der rechten Ecke und andere Anfeindungen auch aus Reihen der Union nicht mehr ertragen konnte oder wollte. Dazu kamen die bissigen Bemerkungen seines Fraktionschefs Herbert Wehner in Moskau: „Der Herr badet gern lau.“ Aber Brandt, der Friedensnobelpreisträger, ging freiwillig aus dem Amt. Ein Misstrauensvotum hatte er zuvor gegen Rainer Barzel gewonnen. Stürmische Zeiten waren das. Später verharrte der große alte Mann der SPD ein wenig zu lange im Amt des SPD-Vorsitzenden und musste erleben, wie die Jüngeren nach vorn drängten. Er trat dann schließlich wegen einer lächerlichen Personalie-es ging um den Pressechef der SPD- zurück.

Johannes Rau war 20 Jahre Ministerpräsident von NRW, lang, sehr lang, zu lang, wie einige auch aus seiner eigenen Partei und der Landtagsfraktion fanden. Sie wollten ihn drängen, das Amt des Regierungschefs frühzeitig an seinen Freund Wolfgang Clement weiterzugeben, doch Rau zögerte. Erzählt wird die Geschichte-sie ist dementiert worden-,dass der Kanzler Gerhard Schröder und sein SPD-Chef, Finanzminister Oskar Lafontaine, mit Rau vereinbart hätten, für seine Wahl zum Bundespräsidenten zu sorgen, wenn er vorzeitig aus dem Amt in Düsseldorf scheide. So geschah es, Clement wurde Ministerpräsident. Rau im Jahr drauf Bundespräsident, ein Amt, das er fünf Jahre innehatte, dass folgte sein Nachfolger Köhler. Die Mehrheiten in der Bundesversammlung hatten sich geändert. Der Wechsel war auch gut so, denn Rau erkrankte schwer und starb 2006 in Berlin.

Oder nehmen wir die Fälle Kurt Biedenkopf, Edmund Stoiber, Kurt Beck. Biedenkopf, in Sachsen als Ministerpräsident sehr erfolgreich und respektvoll „König Kurt“ genannt, verpasste den Rückzug zur rechten Seite und musste schließlich 2002 gehen. Man kritisierte u.a. seinen Führungsstil. Der entscheidende Fehler war wohl, dass seine potentiellen Nachfolger wie zum Beispiel  Georg Milbradt nicht länger warten wollten. Dabei hatte Biedenkopf Sachsen nach der Wende nach vorn gebracht. Ähnlich erging es Edmund Stoiber, der grandiose Wahlsiege für die CSU bei Landtagswahlen errungen hatte, so 2003, als die CSU auf über 60 Prozent kam. Aber als Stoiber 2005 nach langem Zögern nicht in die Regierung Merkel eintrat, war sein Ruf schnell angeknackst und so erlebte er bei einer CSU-Tagung in Kreuth, was es heißt, wenn man plötzlich von vielen Seiten angegriffen wird. 2007 gab er ziemlich entnervt auf und Ämter ab. Seine Nachfolger Beckstein(als Ministerpräsident) und Huber(als Parteichef der CSU) konnten sich nicht lange freuen. Sie wurden abgelöst von einem gewissen Horst Seehofer, der wiederum zu lange zögerte, weil er unbedingt Markus Söder als Ministerpräsident verhindert wollte. Oder Kurt Beck, der nicht merkte, wie sein Image als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz litt, auch weil es diverse Projekte gab, bei denen das Land unter seiner Führung sich finanziell übernommen hatte, darunter bei der Modernisierung des  Fußballstadions in Kaiserslautern. Becks Nachfolgerin wurde  Malu Dreyer, die es gerade noch schaffte, das sinkende Ansehen der SPD im Land durch ihre integre Persönlichkeit wettzumachen und sich gegen die CDU-Hoffnungsträgerin Klöckner zu behaupten. Bei Beck kam noch hinzu, dass er zwischendurch SPD-Bundesvorsitzender wurde, was ihn sichtlich überforderte. Zudem kam er mit Berlin nicht zu Recht und liess das die Freunde in der Hauptstadt spüren. Sein Abgang als SPD-Chef war keine Zierde, man frage Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier.

Kommen wir zu Merkel oder zunächst zu Kauder. Der Fraktionschef der Union war 13 Jahre wichtigster Mitstreiter der Kanzlerin. Was sie sagte, machte er, widerstandslos, er setzte um, was sie wollte. Die Fraktion fand als eigenständige Macht nicht mehr statt, sie nickte ab. Und irgendwann hatten sie es genug in der Fraktion, als sie erneut von Merkel und Kauder vernahmen, dass es „Weiter so“ gehen solle, wie in all den Jahren zuvor, verweigerten sie der Kanzlerin die Stimme und stürzten Kauder, der nicht gemerkt hat, dass sich da eine Stimmung gegen ihn aufgebaut hatte.

Hans-Jochen Vogel ging freiwillig-in Ehren

Das machte einst sein Kollege von der SPD, Hans-Jochen Vogel, besser. Vogel war Partei- und Fraktionschef, einer, der es genau nahm mit seiner Arbeit und der die Fraktion auf Trab hielt getreu dem Spruch: die Opposition ist die Regierung im Wartestand. Bis zur Kanzlerschaft hat es Vogel-er gehörte den SPD-geführten Regierungen unter Brandt und Schmidt  an- nicht geschafft. Und irgendwann trat er zurück, als Chef der Fraktion und der Partei. Freiwillig, er wurde nicht gedrängt, man hatte ihn nicht über, er war noch fit. Er ging. In allen Ehren.

Über Angela Merkel wird schon länger räsoniert, wie lange sie das noch macht. Die Arbeit als Kanzlerin ist ja kein Kinderspiel. Und der Zuschauer kann beobachten, wie sie sich abrackert für Deutschland und Europa, er kann sehen, wie schwierig es geworden ist, Politik zu machen in diesen Zeiten der Trumps, Putins, Erdogans, der Nationalisten, Egoisten und Rassisten, wie komplex alles geworden ist und unübersichtlich. 13 Jahre macht sie nunmehr den Job. Und jetzt ist ihr Kauder abgewählt. Ob sie das verschmerzt, einfach wegsteckt nach dem Motto: Kauder? Der war doch gestern. Aber sie wird spüren, dass das mit dem Weiter-so nicht mehr funktioniert. Die Leute wollen etwas anderes, was genau, das weiß niemand. Ob Merkel das noch hinkriegt?

Quelle: Helmut Kohl. Erinnerungen. 1930-1982.Drömer-Verlag. 2004. München. 683 Seiten

Bildquelle: Wikipedia, Der letzte Kreuzritter, romantische Rezeption des Deutschrittertums im 19. Jahrhundert, Gemälde von Carl Friedrich Lessing, gemeinfrei

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arbeitete als stellvertretender Chefredakteur und Berliner Chefkorrespondent für die WAZ. 2009 gründete Pieper den Blog "Wir in NRW". Heute ist er Chefredakteur des Blogs der Republik.


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