Der neue Ali-Baba-Spielplatz an der Walterstraße in Berlin-Neukölln sorgt schon vor seiner Einweihung für Aufregung. Stein des Anstoßes sind ein Spielturm mit Halbmond sowie weiteren Figuren aus den morgenländischen Erzählungen „Tausendundeine Nacht“, dazu gehören ein orientalischer Markthändler und Kamele. Bei der Berliner CDU sorgt der Spielplatz für Kopfschütteln. Man könne die Gestaltung als originell bezeichnen, sagte Burkard Dregger, Sprecher der CDU-Fraktion für Integrationspolitik, „aber auch ganz einfach als schwachsinnig.“ Und weiter: „Vermutlich hat sich dieses doch sehr fragwürdige Projekt irgendein Beamter ausgedacht, der meint, er hätte einen Beitrag zur Völkerverständigung geleistet.“ Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) betonte, es handele sich nicht um eine Spielmoschee, sondern um eine orientalische Burg mit Bazar. Beim üblichen Beteiligungsverfahren der Nachbarschaft habe sich die Kita „Ali Baba und die Räuber“ Spielgeräte gewünscht, die die Geschichte des Namensgebers widerspiegeln. So etwas sei eine gute Tradition im Bezirk, sagte Giffey mit Recht. Immerhin gibt es schon Spielplätze zu den Geschichten von Käpt’n Blaubär oder Pippi Langstrumpf. Es handele sich deshalb um eine „an den Haaren herbeigezogene Diskussion“ – eine „Islamisierung Deutschlands“ werde herbeigeredet.
Last Exit Neukölln?
Franziska Giffey ist seit 2015 Bezirksbürgermeisterin in Neukölln. Sie ist die Nachfolgerin von Heinz Buschkowsky, der 2012 ein Buch über die Berliner Multikultiwelt veröffentlicht hat (Neukölln ist überall), deren Entwicklung er kritisch unter die Lupe genommen hat. Auch Franziska Giffey ist keine Tagträumerin, sondern setzt sich für eine Realpolitik ein, die „beim Betrachten der Wirklichkeit“ beginnt, wie auf ihrer offziellen Webseite zu lesen ist. Doch diese Wirklichkeit ist keine heile Welt. Vielmehr hat der Berliner Senat im Stadtteil Neukölln für neun Umgebungsbereiche (Reuterplatz, Rollbergsiedlung, High-Deck-Siedlung, Schillerpromenade, Richardplatz-Süd, Gropiusstadt, Flughafenstraße, Dammwegsiedlung/Weiße Siedlung, Körnerpark) einen besonderen Entwicklungsbedarf reklamiert. Von den 17 Gebieten dieser Art in Berlin liegen neun in Neukölln, wo jeweils ein Quartiersmanagement zur Entwicklung des Wohnumfeldes eingerichtet wurde.
Über die Entwicklung in Neukölln ist schon viel geschrieben worden. Gerade um das Rollbergviertel (Neukölln-Nord) herum haben sich ghettoartige Strukturen mit einer hohen Kriminalitätsrate gebildet. Dort besteht auch die Tendenz, dass Polizeigewalt nicht mehr anerkannt wird. In ihrem Buch „Das Ende der Geduld“ hatte die verstorbene Richterin Kirsten Heisig 2010 auf die Probleme in Neukölln neuerlich aufmerksam gemacht. Außerdem befindet sich dort das Zentrum des arabischen Lebens in Berlin. Auf der Sonnenallee mit ihren zahlreichen Shisha-Bars und Handy-Läden mit arabischen Beschriftungen entsteht der Eindruck, man befinde sich in einem orientalischen Land.
Seit Oktober 2015 ist Andreas Germershausen Beauftragter des Berliner Senats für Integration und Migration. Gleichzeitig leitet er die Abteilung Integration in der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Er ergänzte, dass die Gegend nicht nur wegen des hohen Migrantenanteils an sich schwer kontrollierbar sei, sondern auch wegen der hohen Arbeitslosigkeit und schlechten Bildung in der Bevölkerung als Folge einer nicht geglückten Integration.
Tausendundeine Frage zur Integration
Klaus J. Bade, Professor für Migrationsforschung an der Uni Osnabrück, schrieb schon 2007 darüber, dass es auf dem Weg vom Nebeneinander zum Miteinander in einer Einwanderungsgesellschaft zwar Versäumnisse auf beiden Seiten gäbe. Die Kosten einer Nichtintegration seien für die Kommunen am Ende aber deutlich höher als eine gezielte Eingliederungspolitik mit vielfältigen Projekten in Quartieren mit einem hohen Ausländeranteil – wie etwa Berlin-Neukölln. Und eine nachholende Integrationspolitik, wie sie nach den Versäumnissen sämtlicher Regierungen bis in die 1990er Jahre hinein notwendig wurde, könne den bereits entstanden Schaden auch nur begrenzen, was deutlich mache, wie substantiell wichtig ein zur Einwanderung zeitnahes Maßnahmenpaket sei.
Stichworte, die Fachleute schon vor vielen Jahren in den nur zäh beginnenden Prozess geworfen hatten, wurden erst in den vergangenen Jahren neu entdeckt. So werden etwa von Klaus Bade stammende Formulierungen wie etwa „Integration ist keine Einbahnstraße“ oder „Integration ist ein gesellschaftlicher Prozess, der auf Gegenseitigkeit beruht“, heute gern von Prominenten in Polittalkshows verwendet. Auch der kürzlich verstorbene CDU-Sozialpolitiker Heiner Geißler hatte dank seiner gesellschaftspolitischen Weitsicht in seinen Reden im Zusammenhang mit Zuwanderung schon früh von einer „neuen sozialen Frage“ gesprochen. Dasselbe gilt für Barbara John, die erste Ausländerbeauftragte und spätere Integrationsbeauftragte des Berliner Senats (1981 bis 2003), die heute die Erfahrung macht, dass ihr auf öffentlichen Veranstaltungen mitunter ihre eigenen, schon ein Vierteljahrhundert alten Ideen oder Redewendungen begegnen. Auch Rita Süßmuth, der Politikwissenschaftler Dieter Oberndörfer und wenige andere noch aktive frühe Protagonisten einer gezielten Integrationspolitik stellen immer wieder fest, dass die Entscheidungsträger immer noch viel zu langsam mit der Umsetzung selbst kleiner Projekte sind. Das beste Beispiel ist der groteske Hickhack um den Ali-Baba-Spielplatz in Neukölln.
In einem derartigen „Problem“-Kiez, wo sich so viele unterschiedliche Traditionen und Biographien bündeln, sich Versäumnisse und neue Herausforderungen stapeln, sollten Kommunalpolitiker eine hohe Sensibilität zeigen und bei jeder Entscheidung genau abwägen, wie schnell der soziale Friede vor Ort ins Wanken gebracht werden kann. Wie ein Märchenspielplatz, der sich an Weltliteratur orientiert derart polarisieren kann – das macht sprachlos. Doch sollte uns dieses seltsame Geschehen auch aufrütteln, uns daran erinnern, wie viel noch zu tun ist.