Für die Europäische Union werden die nationalen Wahlen in ihren Mitgliedsländern zunehmend zu Zitterpartien mit der bangen Frage, ob die rechtsnationalen, extremistischen und europafeindlichen Kräfte ihren Erfolgszug fortsetzen. Die Entwicklung kann sich zu einer existenziellen Bedrohung für das europäische Einigungsprojekt auswachsen.
Nach den Wahlen in Österreich und Deutschland sind die Aussichten auf grundlegende Reformen der EU erheblich getrübt. An eine Vertiefung der Zusammenarbeit, die einen weitergehenden Verzicht auf nationale Souveränität verlangt, an mehr Solidarität und eine Stärkung Europas als globalem Player ist unter diesen Umständen nicht zu denken.
Avantgarde fehlt
Selbst die Notlösung einer EU unterschiedlicher Geschwindigkeiten, in der die Europafreunde vorangehen, erweist sich kaum mehr als praktikabel, weil ihr schlicht die Avantgarde abhanden kommt. Mehr als ein Solo für Frankreich ist augenblicklich nicht in Sicht, denn solange die Regierungsbildung in Deutschland andauert, ist nicht einmal mehr auf die dort traditionell europafreundliche Haltung Verlass.
Von Frankreich ging große Europa-Hoffnung aus, als der unabhängige Liberale Emmanuel Macron sich in der Präsidentschaftswahl deutlich gegen die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen durchsetzte und auch die Parlamentswahlen mit seiner Bewegung für sich entschied. Seine Visionen von einem Europa, das seine politische Union verstärkt und in der Wirtschafts- und Finanzpolitik gemeinschaftlich entscheidet, legte Macron unmittelbar nach der Bundestagswahl dar, adressiert an Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit der er sich verbünden und den deutsch-französischen Motor wieder anwerfen will.
Motor tuckert kraftlos
Vorerst tuckert dieser Motor kraftlos vor sich hin. Merkel ist mit ihrem eigenen Standing, mit dem Richtungsstreit und den Europaskeptikern in der Union beschäftigt. Sie hat erst einmal Jamaika, nicht Europa im Blick, und die jüngsten Wahlen machen es ihr nicht leichter. Sowohl der SPD-Erfolg in Niedersachsen, als auch der Rechtsruck in Österreich erhöhen den Druck auf die Bundeskanzlerin.
Die Gelassenheit, mit der sie die herben Verluste in der Bundestagswahl hinnahm, bringt zunehmend die eigenen Leute auf die Palme, und die fühlen sich in doppelter Hinsicht vom Ausgang der österreichischen Parlamentswahl bestärkt: erstens brauche es eine restriktive Flüchtlingspolitik und zweitens einen neuen Politikertypus, jung, dynamisch, prinzipienlos.
Rezepte der Populisten
Der 31-jährige Sebastian Kurz hat die abgehalfterte ÖVP zu einer Ein-Mann-Show umgemodelt, ähnlich wie Macron in Frankreich oder auch Christian Lindner mit der FPD, die Personalisierung der Politik auf die Spitze getrieben und sich dabei der Rezepte der Populisten bedient. Der Wahlkampf kannte praktisch kein anderes Thema als die Einwanderung, und Kurz hat als nationalistischer Hardliner gepunktet, ohne jedoch der FPÖ das Wasser abzugraben. Im Gegenteil, die braunen „Blauen“ haben mit Heinz-Christian Strache triumphiert wie zu Jörg Haiders besten Zeiten nicht.
Die nationalistische Blüte, die auf Abschottung setzt und Flüchtlinge zum Sündenbock für soziale Missstände macht, verheißt für die Europäische Union nichts Gutes. In den osteuropäischen Mitgliedsländern geben die Rechtspopulisten den Ton an, missachten und blockieren europäische Beschlüsse, um die eigene Macht nach innen zu festigen. Die Regierungen in Ungarn und Polen bringen den europäischen Gedanken schamlos in Misskredit, obwohl sie wirtschaftlich kräftig profitieren.
Stattliche Fraktion der Europafeinde
Auch in Westeuropa, in Italien, den Niederlanden und Belgien sowie in Skandinavien haben sich Rechtspopulisten etabliert und direkt, wie in Finnland und Dänemark, oder indirekt wie in Schweden, Einfluss auf die nationale Politik gewonnen. Nach dem Einzug der AfD in den Bundestag, sind nationale Parlamente ohne extrem rechte Abgeordnete die Ausnahme, in Spanien eskaliert jedoch der Katalonienstreit, und auch das Europaparlament weist eine stattliche Fraktion der Europafeinde auf.
Europäischen Widerstand, wie ihn Österreich noch zu spüren bekam, als Wolfgang Schüssel sich vor 17 Jahren von einer schwarz-blauen Koalition zum Kanzler wählen ließ, rufen die Entwicklungen heute nicht mehr hervor. Die Reformer sind entmutigt und setzen allenfalls noch darauf, dass das Ausscheiden Großbritanniens eine abschreckende Wirkung entfaltet. Der Brexit, zu dem die Briten sich von einer rechtspopulistischen Kampagne haben verführen lassen, erweist sich als fataler Irrweg. Die Verheißung, ohne Europa werde alles besser, verkehrt sich im Verlauf der Scheidungsverhandlungen ins Gegenteil.
Nährboden für Rechtspopulisten
Zur Schadenfreude besteht jedoch nicht der geringste Anlass und die EU hat allen Grund zu Selbstkritik. Der neoliberale Wirtschaftskurs, der die soziale Spaltung verschärft, zerstört die Hoffnung auf eine gerechtere Zukunft. Die Globalisierung, die einem entfesselten Kapitalismus dient, der sich von der Politik nicht mehr bändigen lässt, weckt Zukunftsängste, die den Nährboden für Rechtspopulisten bereiten. Deren Parolen lenken die Sorgen um auf Flüchtlinge und Migranten, die zum greifbaren Feindbild stilisiert werden.
Die Wirklichkeit ist komplexer. Jahrelang hat Europa mit seiner Festungspolitik und Ignoranz gegenüber den Tragödien im Mittelmeer politische Antworten versäumt; seine Handels- und Agrarpolitik ist rücksichtslos gegen afrikanische Volkswirtschaften, gefährdet Existenzen, trägt zur Verelendung bei und heizt letztlich Fluchtbewegungen an. Konzerne profitieren, Folgekosten werden sozialisiert, und zugleich werden durch Steuerflucht und Umgehungstricks den Gemeinwesen in Europa Mittel in mindestens dreistelliger Milliardenhöhe vorenthalten. Dagegen nehmen sich die Flüchtlingskosten wie Peanuts aus.
Europa braucht Reformen, wenn es nicht zu einer bloßen Freihandelszone verkommen und das historische Friedenswerk vor die
Hunde gehen lassen will. Nicht Resignation und Verzagtheit, sondern Mut und Entschlossenheit zu einem sozialen, gerechten und solidarischen Europa sind das Gebot der Stunde. Nicht die Märkte, sondern die Menschen müssen das Maß der Dinge sein.
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