In Teil 1 hatten wir Merkwürdigkeiten in einem Papier des Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) analysiert. In Teil 2 klären wir eine zentrale Frage:
Woher kommt der Ladestrom für Elektroautos?
Die Gesamtheit aller Kraftwerke (ob regenerativ, nuklear oder fossil) ist in einer Art Produktionsverbund zusammengeschlossen, dem öffentlichen Stromnetz. Eine seriöse CO2-Bilanz des E-Autos als Alternative zum Auto mit Verbrennungsmotor muss daher zwei verschiedene Zustände vergleichen:
- Das Stromnetz als Ganzes mit zusätzlicher Produktion von Ladestrom für Elektroautos
- Dasselbe Stromnetz ohne die Elektroauto-Zusatzlast
Nicht was ein individuelles E-Auto an Strom benötigt, sondern die gesamte elektrische Leistung zum Laden aller E-Auto-Akkus stellt die zusätzliche Produktionsmenge dar, deren Herstellungskosten (in CO2-Masse statt Euro gemessen) zu bestimmen sind.
Wann genau ein bestimmter Verbraucher mit dem Stromnetz verbunden wird, ist in diesem Kontext ohne Bedeutung. Wichtig ist nur, ob er zur Gruppe der zusätzlichen Verbraucher gehört. Elektroautos sind eindeutig zusätzliche Verbraucher, denn der Versuch, Millionen E-Autos auf die Straße zu bringen, ist Ergebnis politischer Entscheidungen, die durchaus auch anders hätten ausfallen können und die sogar jetzt noch revidiert werden könnten. Die CO2-Bewertung von E-Autos hat u.a. den Zweck, Auskunft darüber zu geben, ob diese Entscheidungen richtig waren und sind. Käme man zu dem Ergebnis, dass Elektroautos noch nicht in dem erhofften Ausmaß CO2 einsparen, so könnte man die vorzeitige massenhafte Einführung unterbinden (oder zumindest nicht fördern). Als Alternative böte es sich z.B. an, Erdgasautos verstärkt zu fördern.
Nachdem klargestellt ist, dass es sich bei der zum Laden von Elektroautos nötigen Energie nicht um den Bedarf einzelner, sondern aller zusätzlichen E-Autos handelt, welcher dem Gesamt-Strombedarf gedanklich als Ganzes hinzuzufügen oder zu entfernen ist, kommen wir zur entscheidenden Frage: Woher bezieht der Produktionsverbund diesen zusätzlichen Strom?
40 Prozent grüner Strom
Strom aus regenerativen Quellen gewinnt von Jahr zu Jahr an Bedeutung, kann bislang aber nur etwa 40 % des Bedarfs decken. Einem Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen zufolge wird Deutschland erst etwa im Jahr 2050 seine Stromversorgung ausschließlich und dauerhaft aus erneuerbaren Energien decken können:
Abbildung: Energiemix in Deutschland
Welche dieser Stromquellen liefert nun die Zusatzlast für E-Autos?
Merit-Order-Prinzip
Dem so genannten Merit-Order-Prinzip folgend ist stets der günstigste Strom hinzuzukaufen.
Regenerative Quellen müssen dem EE-Vorrangprinzip zufolge immer zuerst abgerufen werden, laufen daher grundsätzlich mit Volllast und können zur Versorgung der Elektroautos nichts zusätzlich beitragen. Die folgende Grafik beschränkt sich daher auf konventionelle Kraftwerke und stellt dar, aus welchen Quellen Strombedarf gedeckt wird, der die Kapazität der regenerativen Quellen überschreitet:
Abbildung: Merit-Order-Prinzip
Da stets der billigste Strom zu ordern ist, wird von links nach rechts fortschreitend Strom zugekauft, bis der Bedarf gedeckt ist.
Dabei scheiden auch die Kernkraftwerke als Lieferanten für Zusatzbedarf aus. Sie sind zwar teuer im Bau wie im Rückbau, aber billig im Betrieb. Aufgrund der günstigen Betriebskosten laufen sie fast immer mit einer Auslastung von über 90 % und können keine Leistungsreserven bereitstellen.
Erneuerbare und nukleare Energien konnten im Jahre 2018 zusammen knapp 54 Prozent des Stroms erzeugen – der Rest stammte aus fossilen Kraftwerken.
Für die CO2-Bilanz des Elektroautos ist, wie gesagt, die Gesamtstromerzeugung mit und ohne Elektroautos zu vergleichen. Da es grünen und nuklearen Kraftwerken nicht möglich ist, ihre Leistung auf Anforderung zu steigern, muss der Zusatzbedarf für Elektroautos von fossilen Kraftwerken bedient werden. Dazu ist im obigen Diagramm Merit-Order-Prinzip weit rechts im Bereich der fossilen Kraftwerke gedanklich ein Block „Ladestrom für E-Autos“ hinzuzufügen oder zu entfernen. Mehr Sonne und Wind sowie weniger Stromnachfrage verschieben diesen Block nur innerhalb des fossilen Bereichs ein wenig nach links.
(De facto wird die Versorgung von Zusatzlast von allen drei fossilen Kraftwerkstypen sichergestellt. Diese Grafik veranschaulicht, dass bei hohem Strombedarf alle fossilen Kraftwerke hochgeregelt werden.)
Das führt zu einem eindeutigen Befund:
Der zusätzliche Strom für die Gesamtheit der Elektroautos wird fast ausschließlich von Kohle- und Gas-Kraftwerken geliefert. So gut wie jeglicher Strom zur Aufladung von E-Auto-Akkus hätte andernfalls dazu genutzt werden können, die Verbrennung fossiler Energieträger zu vermeiden.
Zur Bestimmung des CO2-Ausstoßes heutiger Elektroautos den Strommix heranzuziehen, ist daher methodisch falsch.
Volkswirten fällt es leichter, diese gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge zu verstehen:
„Am DIW Berlin wurden mit einer erweiterten Version des Strommarktmodells ElStorM die Mengen- und Preiseffekte einer gesteuerten, kostenminimierenden Aufladung verschiedener Elektrofahrzeugflotten für eine beispielhafte Woche analysiert.“
Ergebnis (die Hervorhebung wurde nachträglich vorgenommen):
„Die zusätzliche Stromnachfrage von Elektrofahrzeugen führt – ohne die Berücksichtigung erneuerbarer Erzeugungskapazitäten – vor allem zu einer höheren Auslastung von Kohlekraftwerken. … Daher sollten bei der Berechnung fahrzeugbedingter CO2-Emissionen derzeit die Emissionen von Kohlekraftwerken angenommen werden und nicht der durchschnittliche deutsche Kraftwerksmix.“
Ab wann sind die erneuerbaren Erzeugungskapazitäten zu berücksichtigen?
Dazu müssten regenerative plus nukleare Kraftwerke zusammen über hundert Prozent der benötigten Gesamtleistung erzeugen können. Dann erst können Elektroautos dauerhaft mit emissionsfreiem Strom versorgt werden. Davon sind wir aber noch Jahrzehnte entfernt. Bis dahin wird dies nur ausnahmsweise und stets nur für kurze Zeit der Fall sein (und zwar immer dann, wenn zufällig besonders viel Wind und Sonne mit geringer Stromnachfrage zusammentreffen; siehe dazu die Grafik mit den zeitlichen Schwankungen der deutschen Stromproduktion dort).
Doch was ist mit dem Wärmepumpen-Beispiel des ISI?
Wenn ähnlich wie bei Elektroautos zu entscheiden wäre, ob die Installation von Wärmepumpen gefördert oder diese gar durch Alternativen ersetzt werden, dann würde natürlich auch mit den Wärmepumpen ein zusätzliches Stromnachfrage-Aggregat hinzukommen oder entfallen. Eine korrekt ausgeführte Partialanalyse würde (wie bei allen anderen zusätzlichen Stromverbrauchern) zum gleichen Ergebnis wie bei E-Autos kommen: Stuft man beide Stromverbraucher als „zusätzliche Produkte“ ein, so müssen beide aus fossilen Kraftwerken bedient werden
In Teil 3 wird erläutert, welche Konsequenzen es für die CO2-Bilanz von Elektroautos hat, die Herkunft des Ladestroms aus fossilen Kraftwerken zu berücksichtigen.
Bildquelle Titelbild: Wikipedia, Gemeinfrei
'Sauber geht anders – über den Einfluss politischer Leitlinien auf die Qualität wissenschaftlicher Arbeit – Teil 2' hat 4 Kommentare
7. Mai 2019 @ 20:43 Hans-Jochen Luhmann
Kai Ruhest hat einen wichtigen Punkt – das Marginalprinzip, in dem Ökonomen erfahren sind, ist ein tückisches Sujet.
Mir leuchtet aber nicht ein, wenn der Autor sagt: „Die CO2-Bewertung von E-Autos hat u.a. den Zweck, Auskunft darüber zu geben, ob diese Entscheidungen richtig waren und sind. Käme man zu dem Ergebnis, dass Elektroautos noch nicht in dem erhofften Ausmaß CO2 einsparen, so könnte man die vorzeitige massenhafte Einführung unterbinden (oder zumindest nicht fördern). Als Alternative böte es sich z.B. an, Erdgasautos verstärkt zu fördern.“
Zwischen der Entscheidung für einen zu fördernden Typ und dem Effekt auf der Straße, inclusive. Ausschleusung einer Zwischenlösung, liegen rund 25 Jahre. Ohne Annahmen über die Zukunft ist eine solche Entscheidung nicht angemessen zu treffen. Die Feststellung einer relativ ungünstigen Klimabilanz eines E-PKW in der jüngeren Vergangenheit sagt somit gar nichts, ist entscheidungsunerheblich. So mein gesunder Menschenverstand. Wo ist die Relevanz des Betonens der Klimabilanz in der Vergangenheit bzw. Gegenwart?
10. Mai 2019 @ 06:15 Kai Ruhsert
Vielen Dank für Ihren Kommentar.
Ganz gleich wie häufig man eigene Texte vor der Veröffentlichung kontrolliert, ein kritischer Leser findet immer den Punkt, zu dem man sich nicht klar genug ausgedrückt hat.
Sie haben natürlich recht: Die Klimabilanz des Elektroautos in der jüngeren Vergangenheit ist in der Tat entscheidungsunerheblich.
Jene für die nähere und fernere Zukunft aber durchaus. In Teil 2 heißt es dazu: „Ab wann sind die erneuerbaren Erzeugungskapazitäten zu berücksichtigen?“
Damit ist die Frage gemeint, ab wann Erneuerbare Energien tatsächlich die Klimabilanz des Elektroautos verbessern können. Meine Antwort lautet: „Dazu müssten regenerative plus nukleare Kraftwerke zusammen über hundert Prozent der benötigten Gesamtleistung erzeugen können. Dann erst können Elektroautos dauerhaft mit emissionsfreiem Strom versorgt werden. Davon sind wir aber noch Jahrzehnte entfernt.“
Das zeigt der Blick in die Zukunft: In den nächsten Jahrzehnten nützen Elektroautos der CO2-Bilanz gar nichts. Mit Erdgas betriebene Verbrennungsmotoren, viele Hybridautos und sogar vernünftig motorisierte, herkömmliche Autos schneiden besser ab (wie in Teil 3 der Serie aufgezeigt).
Denn noch auf Jahrzehnte hinaus gilt auch bei steigender Ökostromquote unverändert die Regel, dass die fossile Stromproduktion genau um den Ladestrom erhöht werden muss. Erst wenn durchschnittlich 70 bis 80 Prozent des Stroms regenerativ erzeugt werden, häufen sich nennenswert die Tage, an denen bei viel Sonne und Wind zum Aufladen der E-Autos keine fossilen Kraftwerke mehr hochgeregelt werden müssen. Niemand weiß, ob das 2040, 2050 oder möglicherweise noch später der Fall sein wird.
Machen wir hingegen gedanklich einen größeren Sprung in die Zukunft, sagen wir mal um 50 Jahre, dann befinden wir uns wahrscheinlich in einer Zeit großer, fluktuierender Stromüberschüsse. Diese werden chemisch gespeichert werden müssen. Mit großen Mengen verfügbaren Wasserstoffs ändert sich aber die Entscheidungsgrundlage dafür, welche Art von Elektroautos wir für optimal halten.
Manche meinen, dass das Rennen offen ist, siehe z.B. hier: „Elektromobilität mit Brennstoffzellen und Batterien haben etwa gleiches Zukunftspotenzial.“ Quelle: DLR (https://tinyurl.com/y68ppc32) Ich hingegen bin mir sicher, dass man sich dann fragen wird, warum man für Lastverkehr und Langstreckenbetrieb Unmengen schwerer Akkumulatoren herstellen sollte, wenn es doch Brennstoffzellenfahrzeuge gibt.
Daher glaube ich, dass auch in ferner Zukunft batteriebetriebene Elektroautos nur für Nischenanwendungen mit kurzen Fahrtstrecken taugen.
In naher Zukunft nützen Elektroautos also nichts (berücksichtigt man zusätzlich den Aufwand für die Akkuherstellung, schaden sie sogar), und ob sie sich in fernerer Zukunft auf breiter Front durchsetzen werden, ist keineswegs ausgemacht.
Dann wird die heutige und wohl auch die darauffolgende Generation von batteriebetriebenen Elektroautos aber bereits verschlissen sein, ohne die CO2-Bilanz verbessert zu haben. Wozu dann die kräftige Förderung schon jetzt? Wozu ein derart hastiger Abschied vom Verbrennungsmotor?
Herr Diess möchte noch in seiner Amtszeit Verkaufserfolge in China melden, daher seine Eile.
24. Mai 2019 @ 15:45 Kai Ruhsert
Zwei überaus lesenswerte Beiträge bestätigen die Thesen dieser Artikelserie.
In einem Tagesspiegel-Interview kam mit Continental-Chef Elmar Degenhart eine Stimme der Vernunft zu Wort: „Es geht um einen langen Zeitraum von rund 30 Jahren bis zum Ziel der CO2-Neutralität im Jahr 2050. Auch Benziner und Diesel spielen noch eine wichtige Rolle in künftigen Mobilitätskonzepten.“
E-Autos eigneten sich als „Stadtfahrzeuge, die im Schnitt am Tag eine Stunde benutzt werden und die eine Reichweite von maximal 300 Kilometern haben“.
Die Brennstoffzelle hingegen eigne sich „für leichte und schwere Nutzfahrzeuge, voraussichtlich schon ab 2022. Nach 2025 auch im Pkw, ab 2030 im Massenmarkt“.
Die politischen Leitlinien sieht er skeptisch: „Die Politik versteht die Komplexität nicht in ausreichendem Maße und ist nicht mehr technologieoffen. Sie hat die CO2-Regulierung ab 2025 strenger als erwartet gestaltet und zwingt die Industrie damit in die Lithium-Ionen-Technologie.“ Jedoch: „…solange wir nicht davon überzeugt sind, dass sich daraus ein attraktives Geschäftsmodell entwickeln lässt, werden wir nicht in diese Richtung gehen. Das wäre unternehmerisch fahrlässig.“
Quelle: Tagesspiegel, 20. Mai 2019, https://tinyurl.com/y26vlg3q
Martin Stahl, Geschäftsführer von Stahl Automotive Consulting (SAC), einer auf die Transformation der Automobilindustrie spezialisierten Unternehmensberatung, sieht es ähnlich: „Elektroautos werden die CO2-Bilanz in Deutschland insgesamt verschlechtern – Moderne und saubere Verbrennungsmotoren müssen noch auf lange Zeit ein Teil der Strategie bleiben, um wirklich wirksam Emissionen im Verkehrssektor zu reduzieren. Deshalb würde es nicht schaden, wenn unsere Politik ein wenig Zeit zum Nachdenken investiert und auf Basis der Fakten und ohne Ideologie entscheiden würde. Der Klimaschutz ist zu nämlich wichtig, um ihn zu verstolpern.“
Quelle: Manager Magazin, 3. Januar 2019, https://tinyurl.com/yxajrsyk
9. Juni 2019 @ 17:04 Kai Ruhsert
Auch Harald Lesch hat sich zu diesem Thema interessante Gedanken gemacht: Wenn eine Million Elektroautos (ca. ein Fünfzigstel des heutigen Pkw-Bestands) zugleich schnell laden wollten, so betrüge der Strombedarf 350 kW mal eine Million = 350 GW. Das gesamte deutsche Stromnetz liefert zurzeit aber durchschnittlich nur 68,5 GW Leistung.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=TswNLBnAPjU&feature=youtu.be
Harald Lesch plädiert dafür, die Brennstoffzelle zu forcieren.
Die Forderung des VW-Chefs, sich ganz auf Akkumulatorfahrzeuge zu fokussieren, erscheint immer absonderlicher.