Früher, in meiner Kinderzeit, sah es noch richtig aus wie ein Kohlenpott. Zechen an jeder Ecke, rußgeschwärzte Häuser. Wenn wir im Herbst mit dem Rad zur Schule fuhren, waren die Krägen der Hemden schnell dunkel, mindestens grau, vor allem, wenn die Luft feucht war. Die Fensterbänke der Häuser waren schwarz, vom Ruß der Kohle-Heizungen. Man erkannte die Bergleute auch in ihrer Freizeit an den Ringen unter den Augen. Das war einmal, längst hat der Strukturwandel das Ruhrgebiet verändert, von einst 150 Zechen zwischen Duisburg und Dortmund, Recklinghausen und Hattingen ist nur eine übriggeblieben: Prosperität Haniel in Bottrop, sie schließt Ende diesen Jahres. Ende auch für die letzten der 3900 Kumpel, die hier mit den dazu gehörenden Maschinen drei Millionen Tonnen Steinkohle im Jahr förderten. Verfüllt und abgeworfen, sagt man an der Ruhr, wenn wieder mal ein Pott dicht gemacht wird.
150 Zechen-insgesamt soll es rund 1000 Schächte gegeben haben- in Bochum, Wattenscheid, Herne, Essen, Dortmund, Gelsenkirchen, Oberhausen, Kamp-Linfort, Hamm, Walsum. Mit klangvollen Namen wie König-Ludwig, Zollverein, Fröhliche Morgensonne, Auguste-Victoria, Bismarck, Wohlverwahrt. Ende der 50er Jahre waren noch rund 600000 Kumpel auf den Bergwerken beschäftigt, die 150 Millionen Tonnen Kohle gefördert haben. Einer, der das Ruhrgebiet bestens kennt und schätzt, der gerade aus Krankheitsgründen in Rente gegangene Chef der RAG-Stiftung und ehemalige Bundeswirtschaftsminister Werner Müller, hat mal zur Bedeutung der Kohle gesagt: „Deutschland verdankt der Kohle alles.“ Oder wie es Prof. Franz-Josef Brüggemeier, Macher der Ausstellung von „Feuer und Flamme“, ausgedrückt hat: „Kohle schuf die Welt, in der wir leben.“ Da ist was dran, denn ohne die Kohle wäre nicht nur das Wirtschaftswunder nicht möglich gewesen, die Kohle war der Treibstoff für die Dampfmaschine, für den Stahl, für den Schiffbau, die Lokomotiven, für die Chemie, den Kunststoff, für viele Fabriken und so weiter und so weiter. Der Warenaustausch, wenn man so will der Welthandel, der jetzt durch den Alleingang von USA-Präsident Trump in Verruf gebracht wird, war erst durch die Steinkohle möglich. Aber die Kohle war natürlich auch der Treibstoff für zwei Weltkriege
Wenn ein Pütt dicht gemacht wurde
Schicht im Schacht. Den Begriff kennt man im Revier zur Genüge. Wie oft haben sie es erlebt, dass ihr Pütt dicht gemacht wurde. Es begann schon Ende der 50er Jahre, als das Erdöl der Kohle den Rang ablief. Später kam das Erdgas hinzu und längst ist die in den USA, China, Australien und Südafrika geförderte Kohle viel billiger als die aus dem Ruhrgebiet. Es hat die Kumpel geschmerzt, wenn sie lesen und hören mussten, wie teuer doch ihre Arbeit ist, sie hörten und lasen, dass die Zechen nur durch massive Subventionen des Staates über Wasser gehalten werden konnten. Das hat sie damals verletzt, weil plötzlich nur noch der Kostenfaktor eine Rolle spielte und kaum jemand daran dachte, wem denn der Wiederaufbau der Bundesrepublik auf den Ruinen des Zweiten Weltkrieges zu verdanken war? Dass die Bayern und Hamburger, Schleswig-Holsteiner und Berliner, Niedersachsen und Rheinländer in einem der härtesten Nachkriegswinter nicht erfroren, der harten Arbeit der Bergleute im Revier war es zu verdanken. Sie versorgten die ganze Republik mit der Kohle.
Die Kohle hat die gesamte Region verändert. Über zwei Jahrhunderte wurde das Revier untertunnelt durch all die Schächte, die abgeteuft wurden. Es dürfte wohl kaum eine Ansiedlung in dieser Region mit fünf Millionen Menschen und 53 Städten geben, in deren Tiefe nicht nach Kohle gebuddelt worden ist. Man hört davon noch heute gelegentlich, wenn irgendwo ein Stück Straße oder Weg abbricht, versinkt in der Erde. Ich habe erlebt, wie in Wattenscheid Ende der 1990er Jahre ein riesiges Loch verfüllt werden musste, ehe daran zu denken war, auf dem dazu gehörenden Grundstück ein Haus zu bauen.
Heute wird gelegentlich auf den Bergbau geschimpft und seine Folgen für die Umwelt und die Landschaft werden beklagt, aber die Industrialisierung machte den Raum erst zu dem, was er in seiner Glanzzeit war. Das industrielle Herz Deutschlands. Man schaue sich die gewaltige Infrastruktur an, die Landschaft mit Städten, Dörfern, Wasserwegen, Autobahnen, Eisenbahnschienen. Wer durchs Ruhrgebiet fährt und es nicht weiß, merkt oft nicht den schnellen Wechsel von der einen zur anderen Stadt. Als wir damals in Wattenscheid wohnten, machten wir mit unseren Freunden aus Bayern Rundreisen durch das Ruhrgebiet. Wir starteten Richtung Gelsenkirchen, also über Ückendorf, was damals in den 70er Jahren schon türkisch geprägt war, fuhren am Stadttheater vorbei, machten einen Schlenker über Schalke, dann ging es nach Altenessen. Unsere Mitfahrer fragten gelegentlich, wo eigentlich hier noch Kohle zu sehen sei. Also fuhren wir ein Stück über die A42 Richtung Oberhausen und sahen die Kohlenhalden von Prosper Haniel nur ein paar Meter von der Autobahn entfernt. Zurück ging es dann über den Süden, die Ruhr, den Baldeneysee nach Bochum. Wenn man so will die Schokoladenseite der Region.
Grün überwuchert rostige Monumente
Nicht erst seit heute staunt der Besucher, der das Ruhrgebiet zum ersten Mal besucht, über das viele Grün, das längst manche industrielle Hinterlassenschaft überwuchert. Man schaue sich zum Beispiel den Landschaftspart Duisburg Nord an, wo einst die Hütte von Thyssen-Krupp stand. Hier kann man seit Jahr und Tag durch den alten Hochofen spazierengehen oder mit dem Rad das weitläufige Gelände erkunden. Man sieht, wie die rostigen Monumente von wild wachsendem Grün zugedeckt werden, gerade so, als holte sich die Natur das Land zurück.
Das Ruhrgebiet heute mit einem Alleinstellungsmerkmal: Viele industriellen Stätten sind zu Museen geworden, aus Stätten schmutziger Arbeit wurden Parks, Kulturstätten, neue Firmen haben sich angesiedelt, saubere Unternehmen. Man schaue sich den Binnenhafen Duisburgs an. Längst eine feine Adresse. Damit das nicht missverstanden wird: das Revier hat viele schmerzliche Schnitte in seine Landschaft erfahren, brutale Einschnitte. Daraus etwas zu machen oder darauf etwas Neues aufzubauen, das alles spielt sich im Rahmen des Strukturwandels ab. Das Ruhrgebiet wird sicher immer noch in Zusammenhang gebracht mit Kohle und Stahl, mit harter Arbeit oder Maloche, wie man hier sagt, aber zum Ruhrgebiet zählen schon länger die Ruhr-Universität, die Uni in Dortmund, die Universität-Gesamthochschule Essen-Duisburg, zählen Konzerthäuser und das berühmte Schauspielhaus in Bochum. Und ja, natürlich gehören auch wie seit Jahrzehnten Schalke und der BVB oder umgekehrt dazu, wobei man den VfL Bochum und den MSV Duisburg nicht vergessen sollte oder andere Fußballklubs, die in Vergessenheit geraten sind, weil sie den Sprung vom Amateur- zum Millionärs-Fußball nicht geschafft haben. Man denke an den SV Sodingen oder die Spvg Erkenschwick, um nur zwei zu erwähnen.
Das Ruhrgebiet stand auch immer für gelebte Solidarität, die man gelernt hatte unter Tag. In 1200 Metern Tiefe muss der eine sich auf den anderen verlassen, darf es keine Eifersüchteleien oder Mobbing geben. Sonst gefährdet man sich und andere. Einwanderung zählte schon immer zum Revier dazu. Man denke an die vielen Fußballer mit polnischen Namen, die einst die ruhmreichen Schalker ausmachten. Polnische Zeitungen feierten „ihre“ Kicker so, dass sich die deutsche Seite veranlasst sah, zu betonen: alle Schalker Spieler sind Deutsche. Das war in der Nazi-Zeit, damals gewannen die Blauweißen mehrfach die Deutsche Meisterschaft. Und es kam auch hier vor, dass Juden enteignet, ihre Geschäfte zwangs-arisiert wurden.
Bergmanns-Siedlungen und Trinkhallen
Zur Geschichte des Ruhrgebiets gehören die Bergmannssiedlungen, kleine Häuser fast baugleich, eins neben dem anderen, mit kleinem Vorgarten und einem größeren Garten hinter dem Haus, früher hatten sie dort noch Ziegen und Tauben, das mit den Tauben ist bei einigen geblieben. Geschwärzte oder besser schmutzige graue Fassaden. Vor dem Haus eine Bank. Das war mal so, vieles hat sich auch hier verändert. Wer konnte, erwarb das Haus, baute es um mit Heizung und Bad, baute an oder auf für die Kinder. Handwerker waren sie ja alle. Zum Revier gehört die Trinkhalle, gleich umme Ecke in fast jedem Viertel. Sie gibt es immer noch. Dort trank man früher sein Bier und quatschte über den Tag. Inzwischen haben sie den Tag der Trinkhalle eingeführt. So ist das mit dem Revier, bodenständig ist man, eher konservativ im Sinne der alten SPD, die aber ihre Vorherrschaft eingebüsst hat. Heute wäre man gern eine Metropole, aber der Bochumer ist zu sehr Bochumer und der Essener denkt gar nicht daran, nach Bochum zum Einkaufen zu fahren. Der Duisburger hält es ähnlich. Dennoch gibt es ein Zusammengehörigkeitsgefühl, Solidarität, die aus der Kohle kam.
Zur Geschichte der Kohle gehören die Geschichte der Gewerkschaften und die harten Arbeitskämpfe, Streiks um mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen. Den Schlotbaronen musste man manches soziale Zugeständnis mit harten Arbeitskämpfen abnehmen. Das möglicherweise Schwelgen in einer gewissen Wirtschaftswunder-Romantik darf nicht über die extrem harten Arbeitsbedingungen unter Tage hinwegtäuschen und nicht verwischen, dass die Arbeitslosigkeit in vielen Teilen des Ruhrgebiets sehr hoch ist, Folge der Schließungen von Zechen und Hütten. Der Strukturwandel hat längst nicht alle Lücken geschlossen.
Die Kohle hat die Welt verändert, die Menschen und die Landschaften, die Umwelt. Dass Ende des Jahres mit den Zechen von Proper Haniel in Bottrop und Anthrazit in Ibbenbüren die letzten Pütts in NRW dicht gemacht werden, heißt nicht, dass die Kohle als Energie-Träger ausgedient hat. 40 Prozent des Stroms werden durch Kohle erzeugt, in Deutschland liegt der Prozentsatz bei 37 Prozent. Der Streit über die Kohle ist in vollem Gange, auch wegen der Umweltbelastungen. Das schwarze Gold hat nicht nur seine Glanzseite. Da ist noch eines: die Sache mit dem Grundwasser, das muss pausenlos abgepumpt werden. Sonst würde die Region buchstäblich absaufen. Kosten: 220 Millionen Euro. Ewigkeitslasten nennt man das, weil es ewig geschehen muss.
Mit Händen, Hämmern und Äxten
Das „Zeitalter der Kohle“ ist Grund genug, sich dem Thema in Ausstellungen zu widmen. Eine Ausstellung ist in der einstigen Kokerei der Zeche Zollverein, die bis 1993 aktiv war und zum Weltkulturerbe erhoben wurde. Über ein Förderband, das einst die Kohle zur Mischanlage transportierte-man muss sich anschnallen- fährt man ziemlich geräuschvoll hinauf in die Ausstellung, um sich oben einen Überblick zu verschaffen. Der Rundgang vermittelt dem Besucher die Steinkohlereserven dieser Welt-USA, China, Südafrika, Russland, Australien. Er liest, dass Deutschland nunmehr Importland von Kohle ist, um seine Kraftwerke zu befeuern. Der Besucher steigt ein in die uralte Geschichte der Kohle, wie sie entstand vor 300 Millionen Jahren, als Pflanzen zu Energiebrocken gequetscht wurden. Er sieht und bestaunt den Beginn des Kohle-Abbaus mit Händen und Hämmern und Äxten, eine gefährliche Arbeit, die zudem die Gesundheit belastete. Viele Bergleute erkrankten an der so genannten Staublunge.
Aber mit dem Vordringen von Maschinen wurde die Arbeit professioneller, der Abbau nahm immer größere Ausmaße an, unter Tage in über 1000 Metern Tiefe entstand eine eigene Welt, die nicht mehr vom Pferd und der Muskelarbeit bestimmte war, sondern der Kraft der Maschinen. Der Besucher sieht und liest, was aus den Abfällen des Bergbaus alles entstand, darunter das Gas für die Straßenlaternen, das Aspirin, Kunststoffe wie Bakelit, Treibstoffe, Margarine. Die ausgestellten 1200 Exponate reichen von alten Grubenlampen, Gemälden, Büsten, Bergbaurelikten und schweren Maschinen, Fotografien und Filmen, Gewerkschaftsfahnen und einer historischen Wandtapete aus Lyon bis zur Originalurkunde der Montanunion im Jahre 1951, Grundlage für das jetzige Europa, in dem es seit über 70 Jahren keinen Krieg gibt- und doch ist es umstritten, das beste Projekt, das Menschen nach dem schlimmsten aller Krieges auf den Weg gebracht haben.
„Das Zeitalter der Kohle“. Ausstellung in der Kokerei der Zeche Zollverein. Arendahls Wiese, 45141 Essen. Bis 11.11. 2018. Öffnungszeiten: täglich 10 bis 18 Uhr. Eintritt zehn Euro. www.zeitalterderkohle.de
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