Es hört sich wie ein Kampf um unser Leben in Freiheit an. Beim Tempolimit, las ich gerade in der „Welt“, gehe es um das „existenzielle Recht auf Bewegungsfreiheit“, Autos und Autobahnen stellten einen „Identitätskern des Landes für einen nicht geringen Teil der Bevölkerung“ dar, denen man das gefühlt letzte Freiheitsprivileg raubt“. Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt glaubt, dass die Autobahn das letze Freiheitsfeld sei, wo wir mehr Freiheit genießen als andere auf der Welt. Bei den Aktivisten des Tempolimits vermutet der Journalist, schimmere immer wieder durch, dass sie anderen den Spaß verderben wollten. Größer gehts nicht, oder? Vollgas und Freiheit. Das ist nicht meine Formel, auch wenn man dann wieder etwas einschränken will. Unfälle, Tausende von Toten Jahr für Jahr im Straßenverkehr, Verschmutzung der Umwelt, auch dies eine tödliche Gefahr. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir vergleicht das Tempolimit und die leidenschaftliche Debatte darüber eher mit dem freien Zugang zu Waffen in den USA, als hinge davon die Freiheit der Amerikaner ab. Es komme ihm so vor, als wollte man einem deutschen Mann die limitierte Potenz vorschreiben. Manches wirkt geradezu lächerlich, aber es ist vielen Ernst bei dem Thema.
Mehr Sicherheit im Verkehr und vor allem weniger Spritverbrauch. Das hatte schon der damalige Bundesverkehrsminister Lauritz Lauritzen(SPD) im Sinn, als er im November 1973- Willy Brandt war Bundeskanzler- als Konsequenz aus der Ölkrise ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und von 80 km/h auf Landstraßen verfügte. Die Araber hatten der übrigen Welt den Ölhahn zugedreht. Dieser Ölschock traf auch die Bundesrepublik, die sozialliberale Regierung verhängte ein Fahrverbot an vier Sonntagen. Aber es dauerte nicht lange, bis Europas mitgliederstärkster Verein, der ADAC, seine Millionen Mitglieder mobilisierte, in dem er auf einer Million Aufklebern forderte: Freie Fahrt für freie Bürger. Dies wurde noch durch eine Unterschriftenaktion verstärkt. Der Bundesverkehrsminister musste seine Absicht aufgeben, das auf sechs Monate angelegte Tempolimit auf Dauer auszudehnen. Deutschlands Autofahrer durften wieder Vollgas fahren.
Des Deutschen liebstes Kind
Der ADAC zielte auf des Deutschen liebstes Kind, das Auto, das man jeden Samstag aufwändig gewaschen hat, damit es glänzt und man es vorzeigen kann. Mein Auto, mein Aufstieg. Schon damals war der Einfluss der Auto-Industrie mächtig, kaum ein Politiker wagte es, sich mit den Bossen von Daimler, VW, Audi, Porsche oder BMW anzulegen. Millionen Jobs hingen und hängen immer noch von der florierenden Auto-Industrie ab. Wehe wenn der Motor stottert… Drohungen aus Stuttgart, Wolfsburg oder München lassen Politiker erschrecken. Damals wie heute gilt: Es ist die größte Industriebranche in Deutschland mit einem „weit überdurchschnittlichen Gewicht “ für die gesamte Wertschöpfung in der Republik, so hat es Christian Rammer vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim formuliert. Und vieles hängt an der Automobilindustrie, auch Teile der Chemie, kleinere und mittlere Firmen sind Zulieferer für die deutschen Autos. Rammer zufolge gibt es 800000 direkt Beschäftigte bei Daimler, VW und Co und bis zu 1,5 Millionen indirekt Beschäftigte. Eine solche Bedeutung erreiche nur noch der deutsche Maschinenbau. Deutschlands Ruf als Exportnation rührt daher.
Wenn man auf der Autobahn fährt, spürt man nicht selten den erwähnten Drang von Menschen zum Vollgas. Man sieht sie in der Ferne noch ziemlich klein, aber dann wachsen die blechernen Ungetüme, weil das Auto heranrast mit geschätztem Tempo 200 km/h, der Fahrer versucht sich mit Lichthupe den Weg freizuschießen und geht erst im letzten Moment vom Gas, aber dann, wenn man die linke Spur wieder frei macht, rauscht er vorbei mit seinem Sechs- oder Achtzylinder und muss einige Hundert Meter weiter schon wieder die Lichthupe betätigen, weil schon wieder einer mit „Kriechtempo“-so der ADAC-Sprech- die linke Seite blockiert und ihm, dem Herrscher auf der Schnellstraße, die Freiheit nimmt, Vollgas zu fahren. Und dann heult der Motor wieder auf, er rast vorbei, Lichthupe, Bremse. Und so weiter. Wenn man zufällig Blickkontakt bekommt mit einem solchen PS-Freund, erfährt man die Geringschätzung, die dieser einem entgegenbringt, weil man fährt und nicht rast. Hin und wieder wird der Vogel gezeigt oder mit einem gestreckten Finger klar gemacht, was der PS-Protz von einem hält.
Ich bin früher auch schneller gefahren, auch gelegentlich dichter ran an den Vordermann, weil der mit Tempo 120 km/h einen LKW überholte. Das heißt, am Anfang meiner Autofahrer-Zeit schlich ich selbst auf der Autobahn, mein VW Baujahr 1953 hatte gerade mal 23 PS. Bergrunter schaffte der VW 120 km/h, machte dabei einen furchtbaren Lärm, aber wenn es wieder bergauf ging, schlich das Fahrzeug mehr dahin und musste manchen Bus passieren lassen. Später dann mit Audi und Daimler ging es flotter dahin, wie viele andere drückte ich auf die Lichthupe, musste bremsen, gab dann wieder Vollgas. Dass ich dabei schneller ans Ziel gekommen wäre, würde ich auch heute nicht behaupten, aber es war der Trend zum Schnellfahren, zum Unbedingt-Überholen-Müssen, stärker zu sein. Und gestresst war ich am Ende der Fahrt auch. Wer mit Tempo 180 oder 200 km/h über die Autobahn braust, muss höllisch aufpassen. Jederzeit kann der Vordermann ohne zu blinken die Fahrbahn wechseln und schon muss man eine Vollbremsung hinlegen. Der Spritverbrauch ist auch entsprechend höher.
Tempomat-Taste hilfreich
Heute fahre ich langsamer, aber keine Sorge, ich bleibe nicht auf der linken Seite stehen, wie das die Raser gelegentlich mit Zeichen deuten, bei längeren Fahrten drücke ich die Tempomat-Taste-das ist hilfreich- und fahre mit 120 oder 130 km/h. Nein, ich habe keinen Hut auf der hinteren Ablage liegen. Ich gebe ja zu, Anfang der 2000er Jahre bin ich auf einer Autobahn durch Thüringen zu schnell gefahren, die Bahn war komplett neu, vierspurig, aber nur zwei Spuren davon waren für den Verkehr freigegeben. Tempo 80km/h mahnte das Schild, ich fuhr 120 km/h. Eine Zivilstreife stoppte mich und wies mich höflich daraufhin, dass ich in Kürze für vier Wochen den Führerschein abgeben müsse. Die Geldbuße war enorm hoch. Mir hat das gereicht, ich fahre früher los, um nicht in Zeitnot zu kommen.
Deutschland ist das einzige EU-Land ohne allgemeine Beschränkungen auf Autobahnen. Ein Expertenzirkel berät zur Zeit über einen Beitrag des Verkehrs zum Klimaschutz. Ob ein Tempolimit kommt? Folgt man dem Bundesverkehrsminister Scheuer(CSU), dann ist das kein Thema, weil eine solche Maßnahme „gegen jeden Menschenverstand“ gerichtet sei. Wörtlich Scheuer. Man mag es kaum glauben. Zieht man die Klimabilanz des Verkehrs zu Rate, müsste etwas in dieser Richtung passieren. Denn: im Jahr 2017 wurden mehr als 170 Millionen Tonnen Kohlendioxid gemessen als Folge des Verkehrs, knapp ein Fünftel aller klimaschädlichen Emissionen, schreibt die SZ. Bis 2030 soll diese Belastung durch Autos, Lastwagen und Flugzeuge auf maximal 98 Millionen Tonnen CO2 reduziert werden. Ein Tempolimit wäre leicht umzusetzen und könnte helfen.
Die Kirchen sind dafür, aber die Politik? Die SPD hat seit ihrem Hamburger Parteitag 2008 die Position: Tempolimit 130 km/h auf Autobahnen. Im Koalitionsvertrag steht davon nichts. Dabei wäre es ein Beitrag zur Verringerung von Unfällen, auch von Verkehrstoten. Ein führender SPD-Politiker wie Niedersachsens Ministerpräsident Weil hält nichts von Tempolimit, weil schon jetzt die Realität auf deutschen Straßen ein Tempolimit enthalte. Die Diskussion sei überholt. In Niedersachsen ist VW zu Hause, das Land ist daran beteiligt. Da ist ein Tempolimit nicht so erwünscht. Für die Grünen wäre es ein Gebot der Stunde. Für FDP-Chef Lindner selbstredend nicht, der Mann fährt Porsche, wogegen nichts einzuwenden ist. Dass der ADAC gegen ein Tempolimit ist, verwundert nicht. Siehe freie Fahrt für freie Bürger. Aber selbst eine wie SPD-Chefin Andrea Nahles hält sich in der Debatte bedeckt. Von ihr heißt es, sie fahre gern schnell. Was nicht verboten ist.
Ein Thema wie das Tempolimit darf man mit Blick auf die Öffentlichkeit und die öffentliche Meinung nicht unterschätzen. Als der SPD-Kanzlerkandidat Rudolf Scharping 1994 Wahlkampf gegen den CDU-Kanzler Helmut Kohl machte, waren Kohl, CDU und CSU klar auf Kurs der Automobilindustrie. Freie Fahrt voraus. Scharping war kein Gegner von Daimler und Co, er fuhr selber Auto und gab schon mal Gas. Gefragt, ob er denn für ein Tempolimit von 100 km/h oder 120 km/h sei, antwortete er, nicht ganz ernst gemeint: „Ja, pro Achse.“ Diese Reaktion wurde ihm dann um die Ohren gehauen, ob sie die Wahl entscheidend beeinflusste, glaube ich nicht, weil er anschließend noch Brutto mit Netto verwechselte.
Übrigens könnte man für das Tempolimit noch einwenden: Lediglich Afghanistan und Somalia liegen auf der Linie der Bundesregierung, also freie Fahrt für freie Bürger. Und: Jedes Jahr sterben mehr als 3000 Menschen im Straßenverkehr.
Bildquelle: Wikipedia, Christaras A, CC BY-SA 3.0