Der Friedensnobelpreis 2018 holt ein Tabuthema ans Licht. Mit der Auszeichnung des kongolesischen Arztes Denis Mukwege und der irakischen Menschenrechtsaktivistin Nadia Murad richtet das Nobelkomitee den Scheinwerfer auf ein massenhaftes, und doch wenig beachtetes Kriegsverbrechen: die Vergewaltigung von Frauen.
In jedem Krieg werden Frauen vergewaltigt, gedemütigt, versklavt. Sie werden als Waffen benutzt, formuliert das norwegische Nobelkomitee in seiner Begründung und erklärt: Voraussetzung für anhaltenden Frieden sei es, dass die Täter zur Verantwortung gezogen würden.
Dazu kommt es selten. Frauen, die ihrem Martyrium entkommen, schweigen aus Scham. Und wenn sie reden, werden sie aufs Neue verurteilt, ausgegrenzt, verstoßen. Nadia Murat war 2014 monatelang in den Händen des sogenannten Islamischen Staates im irakischen Mosul. Nach ihrer Flucht sprach sie offen über die erlittene Folter, über die Qualen der ungezählten Vergewaltigungen. Von Baden-Württemberg aus, wo sie Zuflucht fand, setzt sie sich für die Strafverfolgung von IS-Verbrechen ein. Die Täter sollen nicht länger ungestraft davonkommen.
Die heute 25-jährige Jesidin wirkt inzwischen als Sonderbotschafterin der Vereinten Nationen für die Würde der Überlebenden von Menschenhandel. Sie erhebt ihre Stimme gegen die sexualisierte Gewalt in Kriegen und kämpft für den Schutz und die Rechte der Opfer. Ihr Engagement würdigte das Europäische Parlament 2016 mit dem Sacharow-Preis für Menschenrechte.
Die Opfer stehen auch im Mittelpunkt des Wirkens von Denis Mukwege. In seiner kongolesischen Heimat behandelt der Mediziner vergewaltigte Frauen und gilt weit über Afrika hinaus als führender Experte für die Behandlung von Verletzungen durch Gruppenvergewaltigungen. Seine beruflichen Erfahrungen haben ihn zu einem Aktivisten gegen sexuelle Gewalt gemacht. Unerschrocken und unermüdlich prangert er die Vergewaltigungen an, die massenhaft und systematisch als Kriegswaffen eingesetzt werden.
Während des Bosnien-Krieges in den 1990er Jahren griff die Kölner Ärztin Monika Hauser das abscheuliche Geschehen um die lebendige Kriegsbeute auf, als die Frauen von den Soldaten behandelt wurden. Hotels und Fabriken wurden zu Bordellen umgewandelt, in denen Frauen gefangen gehalten und vergewaltigt wurden. Hauser reiste damals ins Kriegsgebiet, um in Zenica ein Hilfszentrum aufzubauen, und sie gründete die internationale Hilfsorganisation, die heute als „medica mondiale“ auf 25 Jahre ihres Bestehens zurückblickt.
Mit ihrem Engagement fanden nicht nur die Opfer aktueller Kriege Hilfe und Unterstützung. Auch Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs vergewaltigt wurden und jahrzehntelang über ihre Torturen geschwiegen hatten, begannen zu sprechen. Monika Hauser erhielt im Jahr 2008 den alternativen Nobelpreis. Zehn Jahre danach würdigt nun auch der klassische Friedensnobelpreis ihr Anliegen.
Beide Preisträger, so das Komitee in Oslo, hätten wesentliche Beiträge dazu geleistet, die Aufmerksamkeit der Welt auf derartige Kriegsverbrechen zu lenken. Mukwege sei „der Helfer, der sein Leben der Verteidigung der Opfer gewidmet hat“, Murad „die Zeugin, die von den Übergriffen gegen sich selbst und andere berichtet“. Jeder habe auf seine Weise dazu beigetragen, die Verbrechen sichtbar zu machen, damit die Täter zur Verantwortung gezogen werden können.
Gerechtigkeit für die Frauen steht als Ziel hinter allem Engagement. Doch der Weg dahin ist mühselig. Eine Anerkennung als Kriegsopfer und eine entsprechende Rente oder Entschädigung bleibt vielen Opfern verwehrt. Das hängt vielfach mit den männlich geprägten Strukturen zusammen, die Gewalt gegen Frauen bagatellisieren. „Frauen und Mädchen sind immer dann in Gefahr, wenn die Möglichkeit besteht, Gewalt auszuüben“, erklärt Monika Hauser. Das gelte besonders in Kriegen und Konflikten, aber auch in allen Situationen, in denen einseitige Machtverhältnisse und Abhängigkeiten bestehen.
Die Ärztin schlägt den Bogen zur aktuellen „me-too“-Debatte mit prominenten Beispielen aus dem Filmgeschäft wie Harvey Weinstein oder Jimmy Savile, mit Politikern wie Donald Trump, Dominique Strauss-Kahn, Silvio Berlusconi und Moshe Katzav. Der Kampf gegen die sexualisierte Gewalt gegen Frauen in Kriegen, das wird aus der Arbeit von medica mondiale ebenso deutlich wie im Engagement der neuen Träger des Friedensnobelpreises, dieser Kampf braucht eine gesellschaftspolitische Dimension.
Bildquelle: Wikipedia, Henry Mühlpfordt, CC BY-SA 3.0