Seit vielen Jahren arbeitet sich der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler Hans Herbert von Arnim an den politischen Parteien und ihren Vertretern in den deutschen Parlamenten ab. Mit Eifer begab sich der ehemalige Rektor der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer und Verfassungsrichter in Brandenburg immer wieder auf die Spur von Machtmissbrauch und Selbstbedienung in der repräsentativen Demokratie, und schon die Titel seiner zahlreichen Veröffentlichungen sprechen dafür, dass er häufig fündig wurde:“Das System“, „Der Verfassungsbruch“, „Staat ohne Diener“.
Dass sich der Professor bei den Betroffenen mit seinem häufig als „Jagdfieber“ beklagten Aufklärungsdrang keine Freunde machte, versteht sich. Doch davon ließ sich von Arnim bis heute nicht beirren, wie sein aktuelles Werk über eine Entscheidung des Berliner Abgeordnetenhauses zeigt, die der Autor als skandalösen Griff in die klamme Kasse des Stadtstaates an der Spree geißelt, als „aberwitzigen“ Fall von „Selbstbereicherung“.
Was den einst von Robert Leicht in der „ZEIT“ als „Ein-Mann-Instanz“ titulierten Staatsrechtler mindestens so sehr erbost wie die Entscheidung selbst und das Verfahren, an dessen Ende sie stand, ist die erstaunliche Tatsache, dass es weder bei den lokalen Medien noch bei den Wahlbürgern einen nachhaltigen Aufschrei oder wenigstens kritische Fragen gab, nachdem sich die 160 Volksvertreter am 26. September 2019 einen gehörigen Schluck aus der Pulle genehmigt hatten.
Wenn Kläger vor Gericht ziehen
Allerdings ist es nicht zu spät für eine Korrektur. Es gibt nämlich eine Chance, die Abgeordneten nachträglich in die Schranken zu weisen und zum Rückzug zu zwingen. Dazu müssten sich aber Kläger finden, die vor Gericht ziehen – entweder Parlamentarier, die seinerzeit gegen das „Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin“ stimmten, oder berufene Verbände wie der Bund der Steuerzahler. Zudem könnten sich Initiatoren eines Volksbegehrens gegen das Gesetz auf den Weg machen; dazu müssten in einem ersten Schritt 20 000 Unterstützer ihre Unterschrift unter einen entsprechenden Antrag setzen.
Erst einmal hofft der Parteienexperte darauf, dass sein Buch als Weckruf wirkt. Die Umstände, die zu der „Parlamentsreform“ führten, und die finanziellen Folgen der Entscheidung sind durchaus geeignet, noch einmal eine breite Debatte in der Öffentlichkeit anzuzetteln. Auch wenn man nicht alle Bewertungen („grob rechts- und verfassungswidrig“) von Arnims teilen muss und schon gar nicht seine kraftvolle Terminologie („seltene Dreistigkeit“, „gezieltes Tricksen“, „Kontrolle ausgehebelt“), so lohnt es sich doch, einen genauen Blick auf die Abrechnung des Autors mit der politischen Klasse des Landes Berlin zu werfen.
Was ist geschehen? Das Berliner Abgeordnetenhaus hat mit großer Mehrheit beschlossen, die monatlichen Bezüge seiner Mitglieder um 58 Prozent zu erhöhen – von 3944 auf 6250 Euro, und zwar mit Wirkung vom 1. Januar 2020, also mitten in der Wahlperiode, die erst im Herbst 2021 endet. Mit dieser Anhebung der Diäten steigen zugleich Übergangsgeld, Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung der Abgeordneten um denselben Prozentsatz. Betroffen sind obendrein Sonderzahlungen an den Präsidenten des Parlaments und dessen Stellvertreter.
Von Arnim kritisiert nicht allein die „maßlose“ Diätenerhöhung eines Hauses, das er für aufgebläht hält, weil es statt der in der Landesverfassung genannten 130 Mandate inzwischen 160 Sitze gibt. Das seien, meint der Fachmann, im Vergleich zu anderen Landtagen in der Republik für ein „Teilzeitparlament“ in einem Stadtstaat eindeutig zu viele, selbst wenn im Zuge der „Reform“ eine moderate Verlängerung der Ausschuss- und Plenarsitzungszeiten vereinbart wurde. Was mindestens so schwer wiegt für den Juristen, sind die Rückwirkung des Gesetzes für Versorgungsbezüge sowie „Tricksereien“ und „Täuschungsmanöver“ bei der Beratung im vergangenen Jahr. Es sei, meint von Arnim, „mit falschen Bezugsgrößen“ und falschen Behauptungen gearbeitet worden, „alle möglichen Kontrollen, etwa durch Öffentlichkeit und Sachverständige wurden erschwert oder gezielt ausgeschaltet, obwohl solche Kontrollen bei Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache unerlässlich sind“.
Höchstpension nach 20 Jahren
Das ist starker Tobak! So kennen wir Hans Herbert von Arnim. Aber lässt sich etwa bestreiten, dass die per Gesetz entstehenden Mehrkosten für den Berliner Steuerzahler in Höhe von rund 51 Millionen Euro keine „Peanuts“ sind? „Wir alle wissen“, sagt der Autor,“dass das Land Berlin so arm ist, dass es seit vielen Jahren hohe Zuschüsse von anderen Ländern und vom Bund erhält. In dieser Situation erscheint das neue Abgeordnetengesetz erst recht als Zeichen besonderer Dreistigkeit seiner Verfasser.“
Adressiert sind die federführenden Fraktionen von SPD, CDU, Linkspartei und FDP, die allesamt geschlossen für die Diätenerhöhung stimmten, aber auch die Grünen, in deren Reihen lediglich drei Abgeordnete mit Nein votierten. Abgelehnt wurde das Gesetz dagegen von allen AfD-Fraktionsangehörigen sowie drei fraktionslosen Abgeordneten. Diese Gemengelage sieht von Arnim als durchaus heikel an, weil es in der Öffentlichkeit Bedenken zu geben scheint, der oft populistischen Kritik der AfD an den etablierten Parteien und „der Elite“ beizupflichten. Andererseits fragt sich der Politikforscher:“Sollen wir deshalb Parlamentarier, die ihre Kompetenzen überschreiten, auch noch mit ihrer Beute davonkommen lassen?“
Die Vollalimentation von Teilzeitparlamentariern und das Privileg, schon nach 20 Parlamentsjahren und im Alter von nur 57 Jahren die Höchstpension von 65 Prozent ihres Abgeordnetengehalts zu kassieren, stehen in krassem Widerspruch zur politischen Debatte über eine weitere Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters. Für die Parteien, die für diese Form der „Selbstbereicherung“ (von Arnim) verantwortlich sind, könnte es im Vorfeld der Berliner Landtagswahl im Herbst kommenden Jahres ein böses Erwachen geben. Es sei denn, sie überdenken – aus eigenem Antrieb oder von bürgerschaftlichem Gegenwind gezwungen – in den nächsten Monaten die Konsequenzen ihrer Entscheidung vom September 2019 noch einmal reiflich. Ansonsten bleibt nur die Hoffnung auf eine gerichtliche Klärung, für die es bis zur Stunde jedoch noch keinen ebenso befugten wie entschlossenen Kläger gibt.
Bildquelle: © Abgeordnetenhaus von Berlin / Peter Thieme
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