Seit Tagen wird Bundesfinanzminister Olaf Scholz medienmäßig bearbeitet: In Schwierigkeiten, unter Druck – das sind die noch mäßigen Überschriften. Er habe Mitverantwortung für das Wirecard-Desaster, er habe Treffen mit einem Vertreter der Privatbank Warburg verheimlicht, die im Cum-ex-Skandal Beschuldigte sei. Es sei möglich, dass er dieser Bank Vorteile verschafft habe. Irgendwelche Beweise gibt es nicht. Scholzens Ansehen und seine Ehrlichkeit werden im Rahmen eines grundlegenden Misstrauens gegen alle bezweifelt, herabgesetzt, die für Verfassungsorgane arbeiten. Man traut ihnen nicht und alles Mögliche zu.
Untersuchungsausschüsse werden als „Schwerter“ des Parlaments bezeichnet. Das sind manche tatsächlich. Solche Ausschüsse haben Arbeitsmöglichkeiten wie Staatsanwälte, können freilich keine Urteile sprechen wie Gerichte es tun. Der künftige Wirecard- Bafin- Untersuchungsausschuss weckt in mir freilich Zweifel. Die den Ausschuss fordernden Abgeordneten und Fraktionen haben gewiss das Schwert vor Augen gehabt; aber tatsächlich verhielten sie sich so wie Jungs vor der Pubertät, die sich einen Stock abgeschnitten haben, und die damit auf die Brennnesseln einhauen, als seien sie die Ritter ohne Furcht und Tadel.
Aber so ist es eben nicht. Den Schlüssel zur Lösung des Wirecard- Skandals hielten Finanz-oder Wirtschaftsministerium oder die Bafin nicht in der Hand. Die Vorstellung ist absurd.
Eine nationale Behörde wie das Bafin kann über die Kontinente hinweg operierende als Technologiekonzerne definierte Unternehmenskonglomerate nicht kontrollieren. Kommt dann noch kriminelle Energie hinzu, wird es doppelt absurd. Das wissen auch manche Abgeordnete in den Fraktionen, die den Untersuchungsausschuss wollten. Denn einige zögerten aus guten Gründen.
Ebenfalls absurd ist die Vorstellung, Regierung müsse die Finger aus der Vermittlung von Kontakten und von Fürsprachen die Finger lassen, wenn es um Geschäfte geht. Diese Vorstellung ist wie aus einer Reisebroschüre über Absurdistan.
Regierungen haben die Aufgabe, Türen zu öffnen. Das tun die weltweit. Denn international tätige Unternehmen konkurrieren mit anderen, für die sich deren Regierungen selbstverständlich einsetzen, für die Staatseinfluss ausgeübt wird. Und angesichts dessen soll ein Minister der Bundesrepublik sagen: Tut mir leid, ist mit meinen moralischen Maßstäben nicht zu vereinbaren. Außerdem dürfte ich ja Spiegel und WDR oder Focus nicht sagen, was ich besprochen habe. Das geht gar nicht!
Es ist eben so, wie Brecht es in den „Geschäften des Herrn Julius Caesar“ beschrieben hat: Der Verkauf freue den Händler auf diesem Teil der Gasse – um den Konkurrenten ein Stück weiter aufschreien zu lassen. Konkurrenz eben.
Das ist übrigens kein Plädoyer für Verzicht auf Regeln, für die Abschaffung von Gesetzen, für Entgrenzung, wie man neudeutsch nun sagt. Im Gegenteil. Ich bin für eine möglichst strikte Gesetzgebung, für strafbewehrte soziale Standards. Ich bin für Präzision und eine ungeteilte Moral.
Eine Moral, die nicht wissen will, um was es geht, die taugt nicht: Wer Wirecard-Skandale vermeiden will, muss sich um die Bedingungen der Wirtschaftsprüfung kümmern. Wirtschaftsprüfer in Deutschland wird, wer eine exzellente Ausbildung absolviert hat, Unternehmensrealität kennt und nach Prüfung öffentlich bestellt worden ist. In der Regel tüchtige Leute.
Die arbeiten vielfach für einige riesige Prüfgesellschaften, die untereinander Konkurrenten sind, ökonomische Riesen auf den Feldern der Wirtschaftsprüfung, die sich eigene Bedingungen schaffen, um Mandate zu halten – siehe Caesars Geschäfte nach Brecht. Das ist ja nichts Neues, solche Verhältnisse lassen sich aber ändern, Prüfung und Testat lassen sich von sachfremden Einflüssen befreien. Da gilt es anzusetzen.
Darum ging es aber in den letzten Tagen kaum. Und damit bin ich wieder bei der Moral. Ich habe nachgeguckt: Keine Anfrage von Bündnis90/die Grünen in Thüringen, wie oft sich MP Ramelow mit Jenoptik, de Beukelaer oder Bosch getroffen habe und was dabei besprochen worden sei. Keine Anfrage der Grünen in Baden-Württemberg, wie oft der amtierende MP mit Daimler zusammen gehockt hat. Keine Anfrage in Berlin, wie oft weiland Wirtschaftssenator Gysi mit Wirtschaftsvertretern Currywurst gegessen und sich deren Sorgen angehört habe.
Ist das nicht merkwürdig? Mus ich daraus schließen, dass dies bessre Menschen sind? Gucken wir weiter.
Frau Baerbock Co-Vorsitzende der Grünen fordert jetzt einen Staatsfonds für Autozulieferer. Und entsprechenden staatlichen Einfluss über einen solchen Fonds aufs Geschäft mit Automobilen und deren Zubehör. Daraus lerne ich, dass Staateinfluss grün geht, Staatshilfe rot aber verboten ist.
Nur nebenbei: Das wird Freude in Frau Baerbocks Partei auslösen, weil es darin viele gibt, die den Drahtesel nach der Schrift für die zweitwichtigste Erfindung der Menschheitsgeschichte halten.
Dreht es sich vielleicht gar nicht um Klarheit und Moral, sondern vielmehr darum, einen Politiker waidwund zu kommentieren?