Ein bitterer Abend für die politische Mitte in Thüringen. Dies hörte man nach Schließung der Wahllokale und der Prognose von vielen, die glauben, die Mitte zu sein oder bestimmen zu können, wer oder was die Mitte ist. Ja, wer ist die Mitte? Die CDU, die SPD, die Grünen, die FDP, ja sogar die rechtspopulistische AfD behauptet von sich, die Mitte zu sein. Und die Linke, die eindeutig die Wahl im kleinen Thüringen gewonnen hat? Kann denn eine Partei, die -Stand Sonntagabend 19.30 Uhr- rund 30 Prozent der Stimmen erhalten hat, eine Rand-Partei sein? Wenn fast die Hälfte der Wählerinnen und Wähler die Linke für eine Partei der Mitte hält und dies sogar ein Drittel der CDU-Wähler meinen, kann das mit dem Rand nicht so ganz stimmen. Ich erinnere mich, dass Willy Brandt an einem Wahlabend zur Überraschung vieler betonte, er sehe eine Mehrheit links der Mitte.
Die Analyse des Wahl-Ergebnisses von Thüringen ist nicht so einfach, vor allem, weil niemand jetzt sagen kann, wer mit wem regieren wird. Die alte Regierungs-Koalition Rot-Rot-Grün hat keine Mehrheit mehr, ob sie es schaffen könnte, wenn sie die FDP dafür gewinnen würde, ist mehr als fraglich. Und da sich alle Demokraten einig sind, dass mit der AfD nicht regiert werden kann, bleibt im Grunde nur eine Koalition aus Links-Partei und der CDU. Es sei denn, der Ministerpräsident Bodo Ramelow würde als Minderheitsregierung weiter regieren wollen. Möglich ist das. Ob es dem Land dienlich ist, eine andere Frage. Andererseits sollten wir nicht alles zu hoch hängen. Das Land Thüringen geht so schnell nicht unter.
Weimar, Gotha, Eisenach, Erfurt
Natürlich ist das Ergebnis bitter, enttäuschend. Es macht den einen oder anderen wütend, wenn er das Ergebnis der AfD sieht. Rund 23 Prozent hat die Partei von Björn Höcke bekommen, den die Grünen-Chefin Annalena Baerbock am Abend im Fernsehen einen „Faschisten“ nannte. Dass ausgerechnet im Land Thüringen die AfD fast ein Viertel der Wählerstimmen erhalten hat, in einem Land, das sich zu Recht etwas auf eine Stadt wie Weimar einbildet, die die Stadt Goethes gewesen. Vor dem Theater von Weimar steht eine Statue von Goethe und Schiller, Gotha und Eisenach zählen zu den Gründungsstädten der ältesten deutschen Partei, der SPD, alles Städte aus Thüringen mit der Hauptstadrt Erfurt, die eng mit dem Namen Willy Brandts verbunden ist, der hier einst 1970 deutsch-deutsche Geschichte schrieb, als er als erster westdeutscher Regierungschef in die DDR reiste, um sich mit Willi Stoph, Vorsitzender des Ministerrats der DDR zu treffen. Tausende Erfurter riefen: „Willy Brandt ans Fenster“. Um bei der SPD zu bleiben: Sie hat gerade bei der Wahl das schlechteste Ergebnis erzielt, das sie bisher in Thüringen zu verzeichnen hatte. Etwa 8,6 Prozent der Wählerstimmen.
Warum die AfD in Thüringen? Die Arbeitslosenquote ist niedrig, dem Land geht es nicht schlecht. Warum haben die Wählerinnen und Wähler der Regierung Ramelow ein solch katastrophales Zeugnis erteilt? Dabei ist Ramelow beliebt, ein richtiger Landesvater ist er geworden, der Mann, der aus Niedersachsen stammt und im Osten Deutschlands Karriere gemacht hat. Die übergroße Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger will von diesem Ministerpräsidenten weiter regiert werden? Warum gewinnt die Linke und verlieren SPD und die Grünen? Und warum haben soviele Menschen die AD gewählt, jenen Höcke, der aus Neuwied kommt, einer Stadt, die 50 Kilometer südlich von Bonn liegt, der nichts zu tun hat mit dem Fall der Mauer und der Einheit und der ungestraft tönen kann: Vollende die Wende! So ein Quatsch!. Aber die Leute haben ihn gewählt, sind ihm auf den Leim gegangen. Dass er das Mahnmal in Berlin, das an den Holocaust, die millionenfache Ermordnung der Juden durch die Nazis erinnert, als Schande bezeichnet hat, scheint niemanden zu bekümmern. Sie wählen seine Partei einfach und sind dann irritiert, wenn man ihnen das vorhält. Nein, sie seien doch keine Faschisten, keine Neonazis, nur weil sie die AfD wählen. Fehlt noch der Zusatz, den ich auch schon nicht mehr hören kann, dass man den etablierten Parteien, der CDU, der SPD usw einen Denkzettel verpassen wollte. Wofür genau, erfährt man nicht, es reicht ja, dass sie enttäuscht sind von den großen Parteien, sie seien aber auch nicht überzeugt von der AfD, auch wenn sie sie gerade mal gewählt haben.
Wo ist die politische Mitte geblieben in Deutschland? Gut, in Thüringen leben gerade mal 2,221 Millionen Menschen, aber wie zuvor in Sachsen und anderswo mehren sich die Stimmen für diese Partei. Warum ist das so, 75 Jahre nach dem Ende der Hitler-Diktatur? Das Völkische scheint wieder modern zu werden, das Nationalistische, das Gerede von Umvolkung, Fremdenfeindlichkeit ist in der Mitte angekommen wie der Antisemitismus sich wieder breit gemacht hat. Nicht nur in Halle! Die Gesellschaft wirkt gespalten, Ellenbogen machen sich breit, wo eigentlich Solidarät gefragt wäre. Niemand weiß , warum das so gekommen ist. All die großen Worte, die an diesem Abend gesagt werden, sie sind es kaum wert, dass wir sie zitieren. Es sind Sprüche der Güteklasse, dass man sich bei seinem Wähler bedankt, weil der einen gewählt habe. Und wenn man einen Politiker aussprechen lässt, folgt das ganze wohltätige Wahlprogramm seiner Partei.
Raus aus der Käseglocke
Viel beklagt wird die Polarisierung in diesem Wahlkampf. Darf man fragen, was das genau bedeutet? Der Begriff wird einfach in den Raum gestellt, die Fernseh-Leute fragen nicht nach, die Sendezeit erlaubt es nicht. Hauptsache, jeder von allen Parteien kommt einmal dran.
Es stimmt ja, 23 Prozent haben die AfD gewählt, aber dann haben 73 Prozent sie nicht gewählt. Okay, das kann jeder nachrechnen. Aber macht es das besser? Die Grünen mussten an diesem Abend erfahren, dass es nicht reicht, dauernd vom Klimaschutz zu reden, wenn man die Alltagsfragen der Menschen außen vor lässt. Man müsse sich mehr kümmern, heißt es, zuhören, raus aus der Berliner Käseglocke und rein ins Leben. Aber das weiß man doch längst. Das ist eine solche Selbstverständlichkeit für jeden Politiker, wenn er denn Augen hat zu sehen und Ohren zu hören.
Und selbstverständlich ist auch, dass Politiker mit jedem noch so schwierigen Wahlergebnis umgehen müssen. Das weiß auch einer wie der CDU-Spitzenkandidat für Thüringen, Mike Mohring, der erst vor Monaten eine schwere Krebserkrankung überstanden hat. Respekt, dass er sich dennoch einen solchen Wahlkampf angetan hat. Wenn es nicht anders geht, wird er mit Ramelow und den anderen Linken reden müssen, wie es weitergehen kann in Thüringen. Die Lösung kann ja nicht in Neuwahlen bestehen. Das Verhalten von FDP-Chef Lindner vor Jahr und Tag sollte ihm eine Lehre sein. Lindner verließ kurz und bündich die Jamaika-Gesprächsrunde, ließ ein mögliches Bündnis platzen, um dann einer erneuten Groko Platz zu machen. Politische Verantwortung sieht anders aus.
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