Hätte, hätte Fahrradkette, diesen Spruch kennen wir vom ehemaligen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, wenn es um Hypothesen ging. Die Worte des heute im Kuratorium der Zeit-Stiftung in Hamburg tätigen Politikers aus Bonn fielen mir spontan ein, als ich der Buch-Vorstellung von Ernst Piper „Rosa Luxemburg. Ein Leben“ im Haus der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn folgte. Wobei es keine klassische Buch-Präsentation war, vielmehr war es eine Podiums-Diskussion mit dem Autor und Historiker aus Potsdam an der Spitze. Piper hat eine Biografie der Sozialistin vorgelegt, die allgemein als brillant beurteilt wird. Welche Rolle hätte Rosa Luxemburg wohl gespielt, lebte sie heute? Ob die Vordenkerin der SPD, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die Gedankenwelt der Sozialdemokratie wesentlich beeinflusste, die heute müde und abgeschlafft wirkende Partei aufgemischt, sie nach vorn gebracht hätte? Totenstill, wie das Willy-Brandt-Haus heute oft wirkt, wäre es mit Rosa Luxemburg gewiss nicht.
Derlei Gedanken, ich weiß, sind müßig. Aber gerade in den Räumen der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung sind sie dennoch erlaubt. Ernst Piper stellt die Revolutionärin ja selber in die heutige Zeit. Weil sie eine Visionärin einer gerechten Welt war, die von ihren Gegnern als gefährliche Demagogin gehalten und wohl auch deshalb weggesperrt worden war, weil sie sich als Kämpfernatur in der von Männern dominierten Welt Gehör und Respekt verschaffte. Man denke sich diese Frau in der heutigen SPD, in der Führung vermisst wird, Mut, Spontaneität, die Kraft, um zum Aufbruch zu blasen. Ja, sie war dem linken Flügel einer Partei zuzurechnen, die sie als Frau gar nicht wählen durfte. Sie war wegen ihres Freiheitsbegriffes und ihres Eintretens für die Revolution eine Ikone der 68er Bewegung. Man denke sich diese Powerfrau, würde man sie heute neudeutsch nennen, innerhalb der Frauenbewegung, um die Ungerechtigkeiten, die Frauen in der Welt widerfahren, in der Wirtschaft, der Politik zu bekämpfen, dafür zu streiten, dass Frauen endlich in gleichen Ämtern und mit gleicher Qualifikation gleich gut bezahlt würden wie Männer, dass Frauen in Führungspositionen endlich die Rolle spielen könnten, die ihnen zusteht.
Völker hört die Signale..
Nein, wir haben keine revolutionäre Stimmung, die es zu Zeiten einer Rosa Luxemburg gab, die Ernst Piper als mitreißende Rednerin und scharfsinnige Theoretikerin beschreibt. Ihr ging es um die Verwirklichung des Sozialismus, um die Revolution. „Die Revolution ist großartig“, so ihre Worte, „alles andere ist Quark.“ Dabei fällt mir etwas ein: die alljährliche „Prozession“ der Linken zum Zentralfriedhof in Friedrichsfelde, wo sich ihr Grab-ohne Leichnam- befindet und das von Karl Liebknecht auch, aber auch die Grabstätten einstiger DDR-Politik-Größen wie Walter Ulbricht. Ich habe mir vor Jahren das Schauspiel, das Jahr für Jahr Anfang Januar stattfindet, einmal angeschaut, auch Oskar Lafontaine war dabei wie auch Gregor Gysi und andere Linke-Politiker. Rote Nelken schmückten die Gedenkstätte der Sozialisten. Übrigens ist auf dem Friedhof, aber in gehörigem Abstand, auch Käthe Kollwitz beerdigt. Draußen vor der großen Parkanlage hatten junge Sozialisten ihre Stände aufgebaut und boten Werbematerial wie auch Bratwürste an. Schmunzeln musste ich, als die jungen Linken das Lied singen wollten. Völker hört die Signale… Sie kamen nicht weit, weil sie nicht textsicher waren, ich hätte aushelfen können, habe aber die fehlenden Zeilen leise für mich mitgesummt… Auf zum letzten Gefecht, die Internationale erkämpft das Menschenrecht…
Rosa Luxemburg wollte die proletarische Revolution, nicht die Revolte von oben, weil sie sich sorgte, dass dann doch wieder die Bourgeoisie das Sagen haben werde. Ihre Hoffnung war die Revolution von unten mit dem Ziel einer sozialistischen Räterepublik. Und bezog sich dabei auf die Vorstellung von Karl Marx von einer „permanenten Revolution“. Die Aktion der großen Millionenmasse des Volkes schwebte ihr im Kopf herum, „die berufen ist, die geschichtliche Mission zu erfüllen und die geschichtliche Notwendigkeit in Wirklichkeit umzusetzen.“ Es ist beinahe natürlich, dass sie die Zustimmung der SPD zu den vom Kaiser und den Militärs geforderten Kriegskrediten ablehnte. Ihr Nein galt auch der Diktatur der Bolschewiki.
Verhasst, verehrt, das war und ist Rosa Luxemburg, die den Historiker Ernst Piper fasziniert, ihn aber nicht zum Anhänger ihrer Ideen von einer Diktatur des Proletariats werden lässt. Man verfolge nur den Werdegang der 1871 im polnischen Zamosc geborenen Tochter eines jüdischen Kaufmanns, die sich in Deutschland wie im damaligen Zarenreich engagierte für den Sozialismus. Die als 17jährige ihr Studium in Zürich aufnahm, weil nur dort Frauen studieren durften. Sie war auf SPD-Parteitagen die einzige Frau mit Doktortitel. Rastlos hat sie gekämpft und geschrieben, wurde Wortführerin des linken Parteiflügels und schließlich am 15. Januar 1919 ermordet von rechtsradikalen Freikorps-Soldaten. Ihre Leiche wie auch die von Karl Liebknecht wurde von ihren Mördern in den Landwehrkanal geworfen und erst Tage später entdeckt.
Bekenntnis zum Internationalismus
Das geistige Erbe, und da sind wir wirklich aktuell, sieht der Autor und Historiker Ernst Piper in dem Bekenntnis von Rosa Luxemburg zum Internationalismus. Wörtlich sagte sie: „Wir müssen das Zeitalter der Nationalstaaten überwinden, wir wollen ja eine proletarische Weltrevolution. Wir wollen nicht Nationalstaaten restituieren, wo dann wieder die Bourgeoisie an der Macht ist, sondern wir wollen die Arbeiterklasse emanzipieren.. Es gibt keine Alternative dazu, sich internationaler zu organisieren. Der Kapitalismus tut das sowieso. Dieser Globalisierungsprozess hat ja längst stattgefunden. Und wenn man denn etwas entgegensetzen will, dann geht das natürlich nicht, wenn einzelne Nationalstaaten agieren.“
Rosa Luxemburg war ihr ganzes Leben auf der Suche nach Freiheit und Gleichheit. Mag sein, dass ihr Extremismus mit den Maximen des demokratischen Verfassungsstaates nicht vereinbar war, wie das kritisch angemerkt wurde in einer Rezension, aber kann man das wirklich vergleichen? Die Zeiten waren andere als sie es heute sind. Dass die Demokratie den Klassenkompromiss braucht und nicht den Klassenkampf, diese Einsicht hat die SPD 1959 zu ihrem Godesberger Programm geführt und sie regierungsfähig gemacht. Ja, diese Frau ist schwer zu greifen, wie das auf dem Podium der Friedrich-Ebert-Stiftung eingeräumt wird, weil Rosa Luxemburg sich von niemandem vereinnahmen ließ, sehr störrisch war. Aber sie war eine leidenschaftliche politische Aktivistin, die wegen ihrer körperlich kleinen Statur gelegentlich auch auf Stühle stieg, um sich bemerkbar zu machen. Unumstritten war sie, keine Frage. Ihr Biograf Ernst Piper findet jedenfalls Luxemburgs Gedanken sehr aktuell, dass man sich engagiert, dass man aktiv wird und dass dieser Prozess ein permanenter Lernprozess sei. Ihr berühmtester Satz sei nicht vergessen: Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden. Der Satz wurde zur Parole der Bürgerrechtler in der untergehenden DDR.
Am Schluss einige Rezensionen des Werks von Ernst Piper kurz zusammengefasst: In der „Süddeutschen Zeitung“ heißt es: Exzellent erzählt, dokumentiert, ein Stück Geschichte der SPD. Die „Welt“ findet, Piper habe ideologiefrei Leben und Werk der Rosa Luxemburg beschrieben. Der „Spiegel“ lobt: Souverän. Und die „Zeit“ urteilt: Objektiv brillant.