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Home Politik

Journalisten als Tontaubenschützen

Friedhelm Ost Von Friedhelm Ost
3. März 2021
Tontaube

Tontauben- und Wurfscheibenschießen erfreut sich seit mehr als zwei Jahrhunderten größter Beliebtheit. Dabei wünschen sich die Schützen, dass etwa die Tontaube von einem Automaten so hoch wie nur möglich in die Lüfte transportiert wird. Denn je höher sie geschossen wird, um so größer sind die Chancen, dass sie im freien Fall von dem Schützen getroffen wird. Geübte Jagdschützen schaffen es, mit ihrer Waffe mehrfach auf die Tontaube zu schießen.

Hoch jagen, oft schießen!

Das Prinzip des Tontaubenschießens findet sich als Phänomen auch im Journalismus wieder. Es ist bei vielen Vertretern dieses Metiers sehr beliebt, Politiker, Manager, Spieler oder andere Personen der Gesellschaft mit allen Mitteln der schreibenden oder sendenden Kunst nach oben hoch zu loben. Für viele Redakteure der Auto- und Motor-Medien war der frühere VW-Chef Winterkorn der Supermann aus Wolfsburg. Viele Beiträge über ihn glichen irdischen Lobpreisungen seiner Strategie und Erfolge.

Super-Manager von gestern, Nieten von heute

Als VW mit der Software-Schummelei auffiel, wurde auf Winterkorn wie auf eine Tontaube mit scharfer Munition geschossen. Ähnlich war es mit dem CEO der Deutschen Bank, Joe Ackermann. Mit seinem Investmentbanking imponierte er zahlreichen Finanzjournalisten so sehr, dass sie ihn mit ihren Beiträgen himmelwärts beförderten. Während er dann aus allen Wolken fiel, griffen seine Bewunderer von einst beherzt und freudig zu ihren Gewehren. Diese zwei Unternehmensführer stehen durchaus beispielhaft für das Tontaubenprinzip, denn nicht wenige, die von den Medien zuvor zu „Managern des Jahres“ gekürt worden waren, wurden oft genug kurze Zeit nach diesem Halleluja in Grund und Boden verdammt.

Abgeschossene Politiker

Was in Wirtschaft und Gesellschaft üblich ist, das findet mit noch mehr Engagement in der Politik statt. Mancher wird sich gewiss noch daran erinnern, wie Ende der 80er Jahre der damalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Lothar Späth, von manchen Zeitungsredakteuren und Journalisten politischer Magazine in Stellung gegen den Bundeskanzler Helmut Kohl gebracht wurde. Das „Cleverle aus Stuttgart“ wurde Woche für Woche immer höher geschossen – ja so hoch, dass immer mehr Zeitgenossen ganz fest davon überzeugt waren, dass Lothar Späth das Kohl-Erbe hätte umgehend antreten müssen. Als er nicht ins Kanzleramt einzog, fiel er wie eine Tontaube vom Himmel, auf die mit viel Munition von seinen früheren Jublern medial geballert wurde. Am Ende trat Lothar Späth sogar als Provinzfürst zurück.

In fast allen Parteien sind in ähnlicher Weise Politiker immer wieder wie Tontauben in den Himmel geschossen und oft genug schon kurz danach beim Herunterfallen böse beschossen worden. Die SPD lieferte in den letzten Jahren dafür eindrucksvolle Beispiele – etwa mit der Reihe ihrer Vorsitzenden. Manche stürzten so schnell ab, dass viele Medienleute kaum noch einen gezielten Schuss abgeben, sondern gerade noch etwas Lärm mit einem Rohrkrepierer machen konnten.

Schrotladungen auf Jens Spahn

Aktuell sind die Anhänger des Tontaubenschießens wieder munter unterwegs. Da wird Markus Söder hoch geschossen und medial als Kanzlerkandidat der Union gehandelt. Da wurde Friedrich Merz von einer Vielzahl von Journalisten als der Nachfolger von Annegret Kramp-Karrenbauer wie ein Heilsbringer bejubelt, zumal die meisten Demoskopen für ihn höhere Zustimmungswerte als für Armin Laschet signalisierten. Hernach diagnostizierten dieselben Medienvertreter die Schwachstellen ihres Favoriten und schossen mit breiter Streuung ihre Schrotkugeln ab. Auch Jens Spahn war vor Monaten bereits Favorit für den Bundesvorsitz der CDU, für einige auch für die Kanzlerkandidatur. Inzwischen nehmen die Schüsse auf ihn zu: Das Macher-Nimbus des Gesundheitsministers sei verflogen, an einer „Party“ in Sachsen habe er teilgenommen, in Berlin habe er Immobilien erworben, er lasse auch Journalisten, die Einblick ins Grundbuch nehmen wollen, ausforschen und zudem sei er ein Ankündigungsminister in Sachen Pandemietests, bei denen die Kanzlerin ihn auch noch zurückgepfiffen habe. Exakte Recherchen würden manche Spahn-Story kaputt machen; als Tontaube wäre der dann einfach nicht mehr tauglich. So gehen die meisten Schrotladungen einfach in die Luft oder auch als Schüsse in den Ofen. Was soll man sich denn noch um das Geschwätz von heute kümmern, wenn morgen ohnehin eine neue Sau durch’s Dorf getrieben wird?

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Tags: Jens SpahnJournalismusMedienkritikUmgang mit SpitzenpolitikernUmgang mit Wirtschaftsbossen
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