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Die Stimmung kippt: Gewalttätige Bauern in Gelbwesten erweisen sich als AfD-Kolonnen

Uwe Pöhls Von Uwe Pöhls
6. Januar 2024
Bauern mit Trecker und Galgen, an dem 3 Puppen hängen in den Farben der Ampelregierung

Ein heißer Januar steht bevor. Die angekündigten Bauernproteste zielen darauf ab, die Ampelregierung zu Fall zu bringen. Einen bitteren Vorgeschmack lieferte die gewaltsame Attacke auf Wirtschaftsminister und Vizekanzler Habeck. Nach dem Vorbild der Reichstagsstürmer bzw. der Capitol-Stürmer wollten über 100 „Bauern“ Habeck ans Leder. Nur mit Mühe konnte eine weitere Eskalation und gewaltsame Attacken auf Habeck und unbeteiligte Mitreisende verhindert werden. Der gut organisierte Mob wird dafür im Netz gefeiert. Von AfD-Aktivisten und Sympathisanten. Von „geile Aktion“ bis „jetzt bricht der Sturm los“ reichen die Kommentare. Und hetzen hasserfüllt weiter. Explizit werden auch Todesdrohungen ausgestoßen. Oder wie es zu lesen war im AfD-Nazi-Jargon „jetzt wird aufgeräumt“. Die Medien haben erst einen Tag später die Brisanz der Situation bemerkt und berichten, aber nur zum Teil besorgt.

Was vor allem auffällt: Vom Oppositionsführer Merz fehlt jede Stellungnahme, obwohl diese Art von gewalttätigen Protest, unsere demokratischen Grundfesten erschüttern. Das sind keine Demonstrationen, wie die Springer-Presse schreibt, das sind Sturmtruppen-Aktionen. Und die Union sagt nichts dazu?  Auch der selbsternannte und meist doch sehr redselige „Bauernführer“ aus Bayern, Ministerpräsident Markus Söder, sah keinen Anlass die Eskalation gegen Habeck zu kritisieren. Eine Schande, dass parteipolitisches Kalkül hier vor Verteidigung der Demokratie geht! Die CSU Landwirtschaftsministerin von Söder, Michaela Kaniber räumte zwar ein, das es natürlich nicht dazu kommen dürfe, dass Menschen zu Schaden kommen“, aber sie wies deutlich darauf hin, dass es doch das gute Recht der Bauern sein müsse „das Gespräch zu suchen und auch mal zu protestieren“. Wer in den Social Media Clips den gewaltbereiten Mob gesehen hat, kann diese Unterstützung eines solchen Gewaltprotestes nicht nachvollziehen. Zumindest nicht, wer überzeugter Demokrat ist.

Auch der so oft politisch hyperaktive Generalsekretär Linnemann sah keinen Anlass, zu diesen gewaltsamen Protesten kritisch Stellung zu nehmen. Noch vor wenigen Tagen bezeichnet er  den Umgang der Ampel mit den Landwirten respektlos. Jetzt wäre es eigentlich an ihm, auch mal zum Thema Gewalt gegen Regierungsmitglieder und völlig Unbeteiligte Stellung zu nehmen. Aber das würde ja die absolute Unterstützung der Bauernproteste in Frage stellen.

Auch in den Medien finden die Vorgänge von Schlüttsiel ein unterschiedliches Echo. In den Springermedien wird von „Protesten“ gesprochen und „demonstrierenden Landwirten“. Das Wort „Gewalt“, „Eskalation“ oder „Hass“ kommt nicht vor. Lediglich die deutliche Kritik des Bundespräsidenten, ein wirklich beispielloses wie beherztes Eingreifen aus der Sorge um unsere Demokratie, wird am Tage danach- quasi als funfact – zitiert.

Man erinnere sich an den Umgang der „Gazetten“ dieses Verlags mit den Klimaklebern. Die BILD scheute sich nicht, die Klima-Protestler zu kriminalisieren, die Wut gegen die „Klima-Kleber“ anzustacheln und die gewaltsamen Übergriffe gegen sie zu verharmlosen. Als Gipfel dieses „Hass-Journalismus“ setzte sich ein Bildreporter neben die Klimakleber auf die Straße und belästigte und bedrohte diese akustisch und tätlich mit Tomatensoße. Dieser „Bild-Journalismus“ ist wirklich verkommen, bar jeder demokratischer Verantwortung und buhlt unverhohlen um die Sympathie der rechtsextremistischen und – populistischen Kräfte in Deutschland.  Die Rechte hat offensichtlich schon ihr „Kampfblatt“ und das Forum für die weitere Aushöhlung unserer Demokratie gefunden. Das macht Sorge.

Was wundert ist auch, dass ausgerechnet die AfD hier diese Proteste bejubelt und anheizt. Dieselbe AfD, die ja den Landwirten alle Subventionen kürzen will und die Landwirtschaft auffordert, sich dem internationalen Wettbewerb zustellen.

Die AfD-Chefin Alice Weidel, traf sich übrigens erst jüngst mit dem bayerischen Milchkaiser Theo Müller zum Gedankenaustausch. Zwei Wahlschweizer, die in Deutschland ihre fetten Gewinne (politisch und materiell) einfahren, aber im Steuerparadies Schweiz wohnen. Und ausgerechnet Müller, der mit seinen Preisdiktaten durch seine Machtstellung im Markt überhaupt erst die massive Unterstützung vieler Bauern im Bundeshaushalt und aus den EU-Töpfen erforderlich macht.

Steigend Kosten und Kürzung der üppigen Subventionen verursachen sicher bei vielen Bauern Existenzängste. Vor allen bei denen, die ökologisch und anständig wirtschaften und hart arbeiten. Das sind aber nicht die, die hier protestieren. Das sind politische Krawallmacher, die nicht um Ihre Existenz bangen, sondern die Regierung stürzen und eine andere Republik wollen. Von den 300 gewaltbereiten Teilnehmer der Attacke auf Habeck waren übrigens nach Medienberichten nur 120 Bauern und es wurden „nur“ 100 Trecker und LKW gezählt. Wem fällt der Fehler auf? Die rechtsextremistischen Claqueure haben genügend Bild- und Videomaterial ins Internet gestellt. Man kann sich da leicht selbst ein Bild machen.

In Deutschland erwirtschaften ca. 260.000 landwirtschaftliche Betrieben Waren und Leistungen im Wert von 50 Milliarden Euro: Darauf entfallen im Jahr knapp 7 Milliarden Euro an EU-Subventionen und 2,7 Milliarden Euro (2022) an Subventionen aus dem Bundeshaushalt. Spezifische Steuervergünstigungen und Investitionen von Bund und Ländern für den ländlichen Bereich sind hier noch nicht einmal einberechnet. Wir reden also von über 20% Subventionen auf jeden EURO Umsatz. An Direktzahlungen erhalten im Schnitt  Haupterwerbsbetriebe über 40.000 EURO jährlich, Nebenerwerbsbetriebe ca. 15.000 EURO (in den Corona-Jahren kamen dazu noch die entsprechenden Corona-Hilfen).

Was auffällt: Relativ wenige Top-Empfänger erhalten den Hauptanteil der Fördermittel – darunter auch Betriebe, die großen Investoren wie z.B. Aldi gehören. Die Hälfte der Empfänger bekommt dagegen nur ca. 5 Prozent der Gesamtmittel, im Osten Deutschlands sind es sogar nur zwei Prozent.

Vielen Betrieben geht es wirklich nicht schlecht. Die TAZ hat einmal nachgerechnet: Der durchschnittliche Haupterwerbsbetrieb in Deutschland erhält laut Landwirtschaftsministerium rund 2.900 Euro Agrardieselvergütung pro Jahr. Höfe dieser Kategorie nahmen aber 2022/23 insgesamt 480.000 Euro ein und verbuchten 115.000 Euro Gewinn. Das sollte für einen Solidarbeitrag angesichts der extrem angespannten Haushaltslage möglich sein. Der organisierte Protest kommt interessanterweise aber genau von den Bauern, denen es wirtschaftlich in den letzten Jahren so gut ging wie nie. Sie verteidigen durchaus auch fette Pfründe. Aber es geht offensichtlich auch um mehr. Mit dem Rückenwind der rechten Medien und der uneingeschränkten Unterstützung von CDU/CSU soll die Ampelregierung erschüttert und aus dem Amt gejagt werden. Kein Wunder, dass die AfD begeistert auf diesen Zug springt.

Der Bauernverband hat zwar durch seine Spitze die gewaltsamen Protest in Schüttsiel verurteilt, aber er hält an den Aufrufen zur Protestwoche ab Montag fest. Und in den Social Media wird schon die Stimmung, von der wir in Schüttsiel ein bisschen kosten konnten, angeheizt. Die Gelbwesten-Protest kommen mit etwas Verspätung jetzt auch massiv in Deutschland an. Es geht um Krawall und Systemsturz, wirkliche Existenznöte spielen in Wirklichkeit keine Rolle. Und CDU/CSU waschen sich die Hände in Unschuld. Unsere Demokratie ist in großer Gefahr. Nicht nur von einer rechtsextremistischen AfD.

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Tags: AfDDemokratieGewaltsame BauernprotesteMedienkritikPolitische Kultur
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