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Friedrich Merz: Wortbruch, Rechtsbruch und Täuschung der Öffentlichkeit

Christoph Habermann Von Christoph Habermann
6. Februar 2025
Elefant im Porzellanladen inmitten von vielen Scherbe, hier allerdings symbolisch ein Parlament. AI generiert

I.

In der vergangenen Woche wurde die deutsche Öffentlichkeit Zeuge eines politischen Wortbruchs, wie man ihn nur ganz selten erlebt.

Der Vorsitzende der CDU und Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion von CDU und CSU hatte nach dem Bruch der Koalition aus SPD, Grünen und FDP am 13. November 2024 im Bundestag folgende Erklärung abgegeben:

„Für die wenigen verbleibenden Entscheidungen, die ohne Bundeshaushalt möglich sein könnten, will ich Ihnen hier einen Vorschlag machen: Wir sollten mit Ihnen, den Sozialdemokraten, und Ihnen,die Grünen, vereinbaren, dass wir nur die Entscheidungen auf die Tagesordnung des Plenums setzen, über die wir uns zuvor mit ihnen von der SPD und den Grünen in der Sache geeinigt haben, sodass weder bei der Bestimmung der Tagesordnung noch bei den Abstimmungen in der Sache hier im Haus auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD zustande kommt. Diese Verabredung möchte ich Ihnen ausdrücklich vorschlagen, meine Damen und Herren. Denn das hätten diese Damen und Herren von rechts aussen doch gerne, dass sie plötzlich die Mehrheiten besorgen, und sei es mit ihnen von den beiden Minderheitsfraktionen bei der Bestimmung der Tagesordnung. Wir wollen das nicht. Ich hoffe, Sie sehen das auch so, liebe Kolleginnen und Kollegen.“

Das war keine spontane Eingebung, sondern ein vorbereiteter, präzise formulierter Text. Jedes Wort, jeder Satz sass und war richtig. Wie kommt es, dass dieser Mann, damals schon der gemeinsame Kanzlerkandidat von CDU und CSU, zweieinhalb Monate später sein Wort bricht, seine Worte Lügen straft, das Gegenteil von dem tut, was er versprochen und worauf er sich mit SPD und Grünen verständigt hatte?

Die offizielle Begründung, nach den Morden von Magdeburg und Aschaffenburg sei falsch geworden, was im November richtig war, überzeugt nicht. Auch der Hinweis auf Panik oder Opportunismus mit Blick auf die Wahl am 23. Februar greift zu kurz, auch wenn beides eine Rolle gespielt haben mag. Die Gründe liegen tiefer.

II.

Merz gehört zu denen in der CDU, die die Entscheidungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingslage des Jahres 2015 und danach für falsch gehalten haben.

Merkel hat 2015 mit dem Satz „Wir schaffen das“ Erwartungen geweckt, die auch dann  nicht erfüllbar gewesen wären, wenn sie bereit gewesen wäre, deutlich mehr dafür zu tun. Das wäre möglich gewesen. Sie hat die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland für nicht kontrollierbar erklärt statt für die Menschen, die in Ungarn und Österreich „auf der Strecke“ waren, eine Ausnahmesituation zu erklären, verbunden mit der unmissverständlichen Aussage, dass Deutschland nicht bereit sei, weitere Menschen auf diesem Weg aufzunehmen.

Merz will 2025 den Anti-Merkel geben. Das ist sein gutes Recht. Auf das „wie“ kommt es an. Da handelt Merz wie Merkel, nur mit umgekehrtem Ziel. Auch er weckt Erwartungen, die nicht erfüllbar sind. Als ob es möglich wäre allein durch das Handeln der deutschen Bundesregierung die Probleme der ungeregelten Zuwanderung in Europa zu lösen. Statt wie 2015 faktisch den Kontrollverlust an den deutschen Grenzen hinzunehmen, will er jetzt die Grenzen „faktisch dicht machen“ im Alleingang und ohne Rücksicht auf Rechtsstaat, deutsches und europäisches Recht.

III.

Die Anträge und der Gesetzentwurf, die Merz in der vergangenen Woche in den Bundestag eingebracht hat und die Rede, die er dazu gehalten hat, waren nicht nur auf die Zustimmung der AfD angelegt. Sie entsprechen der Denke und den Argumentationsmustern der AfD, der extremen Rechten und der Rechtsextremen überall in Europa. Das Motto lautet: Not kennt kein Gebot. Deshalb muss gehandelt werden, endlich gehandelt werden. Koste es, was es wolle. Ohne Rücksicht auf Verluste. Rechtsstaat hin, Rechtsstaat her. Allein der Wille zählt. Wenn das Recht dagegen steht, muss es sich beugen.

Die Werte-basierte Ordnung, von der sonst so gerne die Rede ist, muss sich dann hinten anstellen. Die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention stehen dann auf der Abschussliste. Darum geht es.

Jens Spahn, der sich schon wieder als Bundesminister sieht, sagte Ende des vergangenen Jahres zur Menschenrechtskonvention gegenüber der britischen „Times“:

„Es ist nicht von Gott bestimmt, dass wir in all diesen Dingen Mitglied sein müssen… es muss auch einen gewissen Nutzen haben.“

Dass ein Christdemokrat Gott bemüht für einen gewissen deutschen Nutzen, ist eine ganz besondere Pointe. Ob er das vom Christen Viktor Orban gelernt hat, der immer an den ungarischen Nutzen denkt (und an den seiner Spezis) , weil ja bekanntlich für alle gesorgt ist, wenn jeder nur an sich denkt?

Bei „Markus Lanz“ sagte Jens Spahn schon im Frühjahr 2023: „Vielleicht müssen wir tatsächlich mal darüber nachdenken, ob die Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention so noch funktionieren.“

Das „Vielleicht“ kann man getrost als verharmlosende Floskel verstehen, damit, was er will, nicht so hart klingt.

Wir müssen also feststellen: Auch die demokratische Rechte scheint auf Kriegsfuss zu stehen mit Rechtsstaat und Recht, wenn es um Flüchtlinge geht.

IV.

Merz und Co geht es überhaupt nicht darum, reale Probleme zu lösen. Es geht darum, den Eindruck entschlossenen Handelns zu verbreiten. Den starken Friedrich markieren. Endlich mal durchgreifen.

Wenn das scheitert, politisch oder an Gerichten, und die Erwartungen, die man geweckt hat, enttäuscht werden, beginnt die nächste Runde des bösen politischen Spiels: Dann wird eine Kampagne gestartet mit einschlägiger medialer Begleitung und Anheizung gegen die „Verantwortlichen“ und „Schuldigen“, die direkt oder indirekt, bösartig oder aus Feigheit oder Naivität verhindern, dass der starke Wille und die feste Absicht nicht zu den angekündigten Ergebnissen geführt haben. Wie bei Merkel. Nur andersrum.

Das ist im Kern die trumpistische Methode, die in Deutschland nicht mit ihrem ganzen Instrumentarium genutzt werden kann, weil dem (noch) sozialstrukturelle und kulturelle Hindernisse im  Weg stehen. Schlimm genug kann es werden.

Niemand kann heute mit Sicherheit sagen, wie sich dieses Verhalten politisch und gesellschaftlich auswirken wird. Mit Blick auf die Bundestagswahl scheint mir nach allen Erfahrungen bei uns und in anderen europäischen Ländern nur eines klar: Wer das Thema Migration so in den Mittelpunkt stellt, wie Merz das tut, der stärkt die AfD. Das Original, nicht die Kopie. Deshalb freut sich die AfD ja so und deshalb lagen sich ihre Abgeordneten im Bundestag nach der Abstimmung am Mittwoch der vergangenen Woche in den Armen.

V.

Es ist richtig und notwendig, das Gemeinsame-Sache-Machen von CDU, CSU mit der AfD und mit tätiger Unterstützung eines grossen Teils von FDP und BSW und die dahinter stehende Denke zu kritisieren. Rolf Mützenich, der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag hat das in der vergangenen Woche glänzend gemacht und mit der Ernsthaftigkeit, die die Sache verdient.

Es ist richtig und notwendig, dass in den vergangenen Tagen in vielen Städten zehntausende und in Berlin weit mehr als hunderttausend Menschen dagegen auf die Strasse gegangen sind, dass die AfD in der Migrationspolitik die politische Richtung vorgibt.

Das ändert aber nichts daran, dass es unter Achtung von deutschem und europäischem Recht auch richtig und notwendig ist, die Zuwanderung nach Deutschland zu begrenzen, nein, weiter zu begrenzen. Objektive Grenzen und verständliche Sorgen um Aufnahmebereitschaft, Integrationsfähigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt darf man nicht mit Fremdenfeindlichkeit verwechseln oder gleichsetzen.

Merz und Co. versuchen den Eindruck zu erwecken, der politische Streit gehe um pro oder contra Begrenzung der Zuwanderung. Deshalb sprechen sie von der „Migrationswende“. Das ist nichts anderes als eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit.

Die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung hat in den vergangenen drei Jahren viele politische Entscheidungen durchgesetzt, auch gegen Widerstände in der Koalition, die tatsächlich dazu führen, die Zuwanderung zu verringern. Nicht jede dieser Entscheidung muss man für unverbesserlich halten, aber die Entscheidungen haben praktische Wirkung. Die Zahl der Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, ist 2024 deutlich zurückgegangen. Die Zahl derer, die abgeschoben worden sind, weil sie keinen Anspruch auf Schutz haben, ist deutlich gestiegen.

Unter einem sozialdemokratischen Bundeskanzler und einer sozialdemokratischen Innenministerin ist praktisch mehr für die Begrenzung der Zuwanderung getan worden als in den vergangenen zehn Jahren unter einer CDU-Kanzlerin und ihren Innenministern.

Weitere Entscheidungen sind notwendig und möglich. Keine Partei aber sollte falsche Erwartungen wecken. Der Bundeskanzler hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass zur Lösung vieler Probleme keine neuen Gesetze nötig sind, sondern die Anwendung des geltenden Rechts. Dafür braucht es ausreichend Personal und Infrastruktur auf allen Ebenen, im Bund, in den Ländern und in den Kommunen.

Keine Partei sollte Vorschläge machen, die aus praktischen Gründen nicht wirken können oder die gegen deutsches und europäisches Recht verstossen. Was das bedeutet, bleibt für die ganz grosse Mehrheit der Menschen abstrakt. Deshalb sollte viel stärker darüber gesprochen werden, welche negativen Folgen für Deutschland es auf vielen politischen Feldern hätte, wenn eine deutsche Bundesregierung daran ginge, gegen deutsches und europäisches Recht zu handeln oder wenn Deutschland sich im Sinne von Jens Spahn aus der Genfer Flüchtlingskonvention und aus der Europäischen Menschenrechtskonvention verabschiedete.

VI.

Wortbruch, Rechtsbruch und Täuschung der Öffentlichkeit bestimmen das Reden und Handeln von AfD, CDU, CSU und grossen Teilen von FDP und BSW zu den Fragen von Zuwanderung, Bleiberecht und Abschiebung von Menschen, die nach  Deutschland kommen wollen oder gekommen sind.

Völkisches Denken, Fremdenfeindlichkeit und ein entsprechender politischer Wille, der sich von Recht und Gesetz nicht aufhalten lassen will, verdienen allen Widerspruch und Widerstand.

Die Probleme, vor denen wir ja tatsächlich seit langem stehen, müssen aber weiter  mit grossem Einsatz angegangen werden. Geltendes Recht muss praktiziert werden und praktiziert werden können. Ordnung und Humanität setzen Achtung des Rechts voraus statt politischer Willkür. Auch darum wird es bei der Bundestagswahl und nach der Bundestagswahl gehen.

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Comments 1

  1. Wolfgang F. Brandt says:
    10 Monaten ago

    Tabubruch Merz?
    Politische Parteien sind zur Vertretung der Interessen ihrer Wähler verpflichtet. Nur deshalb wurden sie gewählt. Sie sind nicht dazu da, ihre eigenen Interessen auf dem Rücken von Mitgliederstimmen zu verfolgen.
    Mit ihrem Abstimmungsantrag letzte Woche im Parlament zielte die CDU erkennbar auf die Wähler der AfD und nicht auf die Partei. Die Taktik war erfolgreich, viele AfD-Wählen haben sich von ihrer Partei mittlerweile abgewendet. Die CDU hat klar Stellung gegen die Partei als Organisation bezogen, die Wähler, immerhin um 20% der Bevölkerung, sollte man nicht unbeeinflusst lassen und nicht völlig ignorieren. Daher war der Vorstoß der CDU richtig und sinnvoll.

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