Vom Mittwoch dieser Woche an wird in Berlin sondiert. In den Gesprächen von CDU, CSU, FDP und Grünen soll ausgelotet werden, ob es für eine Jamaika-Koalition einen Vorrat an Gemeinsamkeiten gibt und ob dieser reicht, um ein Bündnis für die nächsten 4 Jahre zu schmieden. Nach der Wahl in Nieder-sachsen, bei der CDU, FDP und Grüne Wähler verloren haben, kann es losgehen.
Merkels Ziel: Kanzlerin bleiben
Der Blick in die Programme dieser Parteien, mit denen sie vor dem 24. September in die Bundestagswahl gezogen sind, zeigt einige Politikfelder, auf denen eine fruchtbare Zusammenarbeit gut möglich erscheint, allerdings auch viele Differenzen und Gegensätze. In diesen Tagen vor den Sondierungs-gesprächen bringen sich die Politiker der Parteien, die den Weg zu einer Koalitionsbildung prüfen wollen, mit Interviews in Zeitungen, Talkshows und allen anderen Medien in Stellung. Der Katalog ihrer Forderungen und Vorschläge wird Tag für Tag länger. Während Angela Merkel auf den Regierungsauftrag der Union mit ihren rund 32 % schon am Wahlabend verwiesen hat und ihren Platz im Kanzleramt auf jeden Fall sichern will, pochen die Liberalen und Grünen auf ihre eigenständigen, profilbestimmenden Vorstellungen. Die Lautsprecher der kleineren Partner kokettieren dabei immer wieder mit ihrer Alternative, nämlich den Plätzen auf den Oppositionsbänken des Bundestages – wohlwissend, dass ohne sie keine Regierungsmehrheit zustande kommen würde.
Weitere Verflachung des Unionsprofils?
Das Erpressungspotenzial ist gewaltig. Angela Merkel muss damit fertig werden und zugleich das ohnehin schon arg stumpf gewordene Profil ihrer Volkspartei CDU noch erkennbar halten. Wenn Gelb und Grün dominieren sollten, dann könnte das Schwarz allzu sehr verblassen und grau werden. Bereits in der Vergangenheit haben nicht wenige Unionschristen ihrer Parteivorsitzenden immer wieder angelastet, dass sie die CDU sozialdemokratisiert habe und immer mehr Menschen im Lande sich fragen, wofür die Partei überhaupt noch stehe.
Wenn auch jüngst CDU und CSU einen Kompromiss in der Migrationspolitik gefunden haben, so wird dieser keineswegs eins zu eins mit der FDP und den Grünen umzusetzen sein. Weitere große Abstriche von dem mühsam ausgehandelten Regelwerk zu Migration könnten für den „Papst der Obergrenze“, Horst Seehofer, nahezu untragbar werden. Seine Position als CSU-Vorsitzender ist bereits arg umstritten; ein weiteres Abrücken von der CSU-Position könnte den Seehofer-Absturz beschleunigen und die bayerische Volkspartei noch widerspenstiger machen. Für die CSU wäre es ohnehin schwer, mit den Grünen ins Koalitionsbett zu steigen.
Große Unterschiede bei Union, Grünen und FDP
Weitere große Differenzen zwischen der Union und den Grünen sind bereits in der Energie- und Klimapolitik sichtbar, aber auch in der Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik. Während Cem Özdemir als wichtigster Wortführer seiner Partei als Vegetarier ohnehin keine Kröten zu schlucken bereit ist, wie er verkündet, zeigen sich auch seine grünen Kombattanten recht angriffslustig. Von Hofreiter bis Trittin ist deutlich zu vernehmen, was alles nicht gehen würde, wenn sie in eine Jamaika eintreten sollten. Es sind hier gewiss riesige Felsbrocken aus dem Wege zu räumen, bis sie grünes Licht für eine Koalition mit der Union und FDP geben werden. Allerdings sollte nicht außer Acht gelassen werden, wie stark der Drang einiger Grüner an die Macht und damit auf die Regierungsbank ist. In der Opposition würde ihre Partei einen weiteren Bedeutungsverlust erleiden, denn dort wären sie nach der SPD, der AfD und den Linken die Nummer 4.
Jens Spahn als Polit-Ingenieur?
Als Brückenbauer betätigt sich der Hoffnungsträger der CDU, Jens Spahn, der Jamaika als Chance zum Aufbruch preist. Die aktive Gestaltung der Zukunft stellt er als wichtige Aufgabe heraus und legt der Union die Entwicklung eines zeitgemäßen Konservatismus nahe: „Rückbesinnung auf das Gewordene, Bewahrung des Erreichten, Offenheit für Neues auf der Suche nach dem Besseren“. Was das konkret für die politischen Weichenstellungen in der nächsten Legislaturperiode bedeuten soll, lässt er indessen weitgehend offen. Dennoch zeichnet er einige Linien auf, die von Grünen und Liberalen gemeinsam mit der Union befolgt werden könnten. Dabei geht es Jens Spahn vor allem um Migration und Integration, den Umgang mit dem Islam, Investitionen und ökonomische Impulse die digitale Revolution, die Leistungs- und Chancengerechtigkeit sowie um die Gestaltung der EU.
Staatsmännische FDP
Daraus ergeben sich zahlreiche Schnittstellen mit den Grünen und den Liberalen. Weder Christian Lindner noch sein Kopilot Wolfgang Kubicki, die die Speerspitze der Sondierer der FDP bilden, sind bereit zu einem Neuaufbruch. Trotz des überragenden Wahlergebnisses, das den Wiedereinzug in den Bundestag ermöglichte, geben sie sich eher zurückhaltend und geradezu staatsmännisch, um auf jeden Fall eine Wiederholung der „Westerwelle-Story“ zu vermeiden. Kubicki hat erst jüngst aktiv an einer Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein mitgewirkt und so Vertrauen bei den Grünen erworben. Die FDP ist zudem von ihren einst allzu scharfen neoliberalen Positionen abgerückt, wird also in der Wirtschafts-, Energie-, Sozial- und Steuerpolitik nicht überzogene Forderungen stellen, sondern konstruktive Vorschläge einbringen.
Große Herausforderung: Regionale Strukturpolitik
In der im Vorfeld der Sondierungsgespräche geführten Diskussion spielt bislang die Regional- und Kommunalpolitik eine eher geringe Rolle. Viele ländliche Räume -vom Erzgebirge bis hin zum Hunsrück- sind von der guten gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abgehängt; das Ruhrgebiet mit über 5 Millionen Menschen muss mit dem Strukturwandel kämpfen. Die Bewohner dieser Regionen fühlen sich von der großen Politik mehr und mehr übergangen und vergessen. Dabei wird für die meisten Menschen Politik ganz konkret dort erfahrbar, wo sie wohnen – in den Städten und Dörfern.
Eine aktuelle Studie von Ernst & Young weist darauf hin, dass etwa jede 4. Stadt plant, ihre Leistungen einzuschränken. Trotz steigender Einnahmen müssen viele Kommunen Steuern, Beiträge und Gebühren erhöhen. Das trifft Eltern bei der Kinderbetreuung in Kitas und Ganztagsschulen. Die Mieten ziehen weiter an und machen das Wohnen immer teurer. Die Eintrittspreise für Bäder und andere öffentliche Einrichtungen müssen angehoben werden. Selbst die Friedhofsgebühren werden erhöht. Die neue Koalition im Bund sollte diese Entwicklungen in den Kommunen und Regionen in ihr Pflichtenheft aufnehmen und bei allem Hin und Her des Kooperationsverbotes gemeinsam mit den Ländern einen starken Kraftakt starten. Denn noch weitere Einsparungen bei den Dienstleistungen vor Ort, Strukturbrüche und Verödungen ganzer Regionen würden zu noch mehr Frust und Enttäuschung führen. Die jüngsten Wahlergebnisse sollten als Mahnung ausreichen, denn die rechten und linken Rattenfänger haben schon in vielen Regionen unseres Landes erschreckend reiche Beute gemacht. In etwa gleiche Lebens- und Wirtschaftsbedingungen überall in Deutschland zu erreichen, das muss politisch ganz oben auf der Agenda stehen.
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