„Anschlag auf die Menschlichkeit“ nannte der frühere Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm einst die „miserablen Zustände“ im griechischen Flüchtlingscamp Idomeni. „Diese Art von Brutalität ist unwürdig der europäischen Kultur“, empörte sich Blüm und schlug sein Zelt neben den Flüchtlingen auf. „Es ist eine Kulturschande.“ Das war im Jahr 2016. Im April diesen Jahres ist Norbert Blüm gestorben, der Kämpfer für mehr Menschlichkeit in Europa. Was hätte er zu Mori gesagt, dem Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos, das abgebrannt ist. Zum Glück kam niemand ums Leben, aber die paar Habseligkeiten die die ohnehin Ärmsten der Armen noch hatten, sie sind verbrannt. Was hätte er zur europäischen Wurstigkeit gesagt, wie die SZ das Drama kommentierte? Seine traurige Meinung damals lautete: „Was ist das eigentlich für eine Lösung? Die ziehen sich bequem zurück und sagen, Griechenland soll damit zurechtkommen.“ Sein Europa sei das nicht. Meines auch nicht. Es ist erschreckend, abstoßend, erbärmlich.
Seit fünf Jahren spielt sich auf Lesbos ein Flüchtlingsdrama ab, ohne dass irgendein Mitgliedsstaat der EU eingegriffen hätte. Die europäischen Länder haben das Problem verdrängt, sie haben vielleicht auch weggeschaut, wie 12600 Menschen im Dreck lebten, oder soll man besser sagen, vegetierten? Umgeben von „Mülltüten, Gestank, Perspektivlosigkeit“( so die SZ). Was ist das eigentlich für ein Europa, fragte Norbert Blüm einst und erhielt keine Antwort. Ein Europa der Werte? Welche Werte? Geld, Wachstum, schöner Wohnen und Leben? Menschlichkeit ist auf der Strecke geblieben, irgendwo im Meer versunken. Das abgebrannte Lager war angelegt für 2800 Migranten, als Übergangslösung. Daraus geworden ist das, was jetzt teils verbrannt ist. Die Menschen dort verzweifelt, man musste nur in die Gesichter schauen. Und alles war bekannt. Auch Corona würde die Insel Lesbos und das Lager erreichen. Ja und? Als Corona kam, stellte man Mori unter Quarantäne. So macht man das
Was würde Norbert Blüm über seinen einstigen Staatssekretär Horst Seehofer sagen, der mal ein anerkannter Sozialpolitiker war? Wir können ihn nicht mehr fragen, er hätte ihn auch nicht öffentlich kritisiert, aber er wird sich manches gedacht haben über den Horst Seehofer. Der Bundesinnenminister Seehofer ist heute sogar Ehrenvorsitzender einer dem Namen nach christlichen und sozialen Partei, der den Bundesländern und Städten, die geflüchtete Menschen aus dem abgebrannnten Elendslager Mori aufnehmen wollen, dieses verboten hat. Die Begründung mit der Bundeseinheitlichkeit ist lächerlich, zumal menschliche Fragen anstanden, Leid drohte. Es ist derselbe Seehofer, der einst die Bundeskanzlerin auf dem CSU-Parteitag zur Rede stellte, ja sie abkanzelte und von einer „Herrschaft des Unrechts“ faselte, gegen die er notfalls vor Gericht ziehen wollte. Das war, als Merkel auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise den Menschen Hoffnung machte mit ihrem Jahrhundertsatz: „Wir schaffen das.“ Dass der CSU-Mann aus Ingolstadt immer noch Minister ist, verstehe, wer will. Verdient hätte er längst gefeuert zu werden, zumal er auch beim Kampf gegen den Rechtsextremismus versagt hat. Aber das entscheidet ja der große Söder, der aber den Streit mit dem Alten und dessen mögliches Stänkern scheut. Also bleibt der.
UNO-Flüchtlingshilfe gibt 250000 Euro
Die UNO-Flüchtlingshilfe hat 250000 Euro Soforthilfe bereitgestellt, schließlich brauchen die Überlebenden- das sind über 12000 Menschen, darunter Schwangere, Ältere, 4000 Kinder-dringend und schnellstens Transportmittel, Notunterkünfte, grundlegende Hilfsmittel. Sie müssen vor einer Ausbreitung von Corona geschützt werden. Peter Ruhenstroth-Bauer, Geschäftsführer der UNO-Flüchtlingshilfe, hat die Dringlichkeit der Maßnahmen erkannt. „Den europaweiten Solidaritätsbekundungen müssen Taten folgen. Die Menschen auf Lesbos brauchen jetzt unmittelbar Hilfe, denn es drohen weitere Nächte und Tage ohne Obdach, ohne Perspektive.„
Soforthilfe nicht längeres Reden, bitte die Debatten für später aufsparen. Jetzt ist Not am Mann, pardon Frau, Kind. Der Geschäftsführer der Hilfsorganisation Pro Asyl, Günter Burkhardt, kritisierte es als „Ablenkungsmanöver„, dass Seehofer die Aufnahme von einer europäischen Einigung zur Verteilung geflüchteter Menschen abhängig mache. „Wer hier von einer europäischen Lösung fabuliert, spielt auf Zeit und sucht ein Alibi für das Nichthandeln.“ Ähnliche Sorgen treiben den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, um. Er appellierte an alle Willigen, nicht auf eine EU-Einigung zur Flüchtlingsverteilung zu warten, was zwar wünschenswert wäre, aber nicht in Aussicht steht. Man kennt den Widerstand von den Regierungen in Polen und Ungarn. Bedford-Strohm forderte die Bundesregierung auf, mit den Ländern, die zur Mithilfe bereit sind, voranzugehen. Die SPD, Regierungspartner von Seehofer in der Groko, beklagt des Ministers Blockadehaltung. Kommunen und Länder, die aufnahmebereit seien, müssten freie Hand bekommen, Flüchtlinge aufzunehmen. Thüringen wie auch das Land Berlin sind dazu bereit, für NRW hält Ministerpräsident Armin Laschet die Türen für Flüchtlinge offen, der Bürgermeister von Hamm, Thomas Hunsteger-Petermann(CDU) erklärte im WDR seine Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen, auch wenn dies kurz vor der Kommunalwahl Kritik auslöse. Am Sonntag wird in NRW gewählt. Ja, es gibt noch Politiker, die sich um Menschen kümmern und nicht pausenlos auf Wahlen schielen.
Seehofer scheint im übrigen selbst in der Union isoliert zu sein. Sein Parteikollege von der CSU, Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, plädierte für die Aufnahme von 2000 Personen aus Moria in Deutschland, der Menschenrechtsexperte der CDU, Michael Brandt, schlug die Aufnahme von 5000 Geflüchteten vor. Und selbst Markus Söder zeigte sich offen. Auf Twitter schrieb er: „Ganz Europa und auch Deutschland müssen handeln und helfen.“ Bayern werde sich selbstverständlich daran beteiligen, wenn die Bundesregierung sich so entscheide.
Horst, es ist Zeit
Aber wie gesagt, Reden ist das eine, Machen das andere. Und es muss schnell gehen. Es kann doch nicht sein, dass ein NRW-Ministerpräsident Armin Laschet von einem CSU-Bundesinnenminister an der Hilfe für Flüchtlinge gehindert wird. Auch Bodo Ramelow, der Linken-Ministerpräsident aus Thüringen, sollte sich von einem wie Seehofer nicht bei seiner Arbeit für mehr Menschlichkeit in Deutschland und Europa hindern lassen. Auch vor Moria hat, wie man das erwarten konnte, die Pandemie nicht Halt gemacht, aus einem Fall sind schnell 35 Corona-Infizierte geworden und es werden mehr, weil auch die hygienischen Verhältnisse in dem Lager himmelsschreiend sind. Länder wie Thüringen und Berlin wollten vor Zeiten präventiv handeln, was der allmächtige Herr Seehofer verhindert hat, er blieb, wie es die Zeitschrift „Freitag“ formulierte, „reaktionär. Jetzt steht er vor der Herausforderung, auf ein brennendes Massenlager reagieren zu müssen. Mit seinem Veto wird er zum Vater aller Probleme, die auf den Brand in Moria folgen“.
Einst mahnte ihn der Alt-CSUler Peter Gauweiler mit einem leicht abgewandelten Zitat von Rilke(Herr, es ist Zeit, der Sommer war sehr groß“): „Horst, es ist Zeit. “ Damals, im Oktober 2017, ging es um die Führung der CSU, der Ausgang ist bekannt, Söder ist längst Chef der Regierung wie der CSU. Gauweiler könnte man erneut zitieren und ergänzen: Horst, es ist Zeit zu gehen.