Am 15. Oktober des letzten Jahres präsentierte das Bundeskriminalamt der erstaunten Öffentlichkeit neue Zahlen zum Rechtsextremismus. Laut BKA gäbe es aktuell „nur“ 43 gewaltbereite Gefährder, die dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet werden müssen. Angesichts der stark gestiegenen Zahl von 22.337 Delikten im Jahr 2019 mit rechtsextremem Hintergrund, den Morden von Hanau und dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke eine fahrlässige und demokratiegefährdende Fehleinschätzung. Aber das hat Tradition. Trotz aller anderer öffentlich bekundeter Lippenbekenntnisse: Rechtsextremismus und rechte Gewalttaten werden vom Verfassungsschutz und den Polizeibehörden immer noch deutlich weniger ernst genommen und weniger bedrohlich eingeschätzt als z.B. Linksextremismus und Islamistische Gefährder.
Auch bei dem am 6. Mai eröffneten Verfahren vor dem Landgericht Bonn wegen des Mordversuchs an dem langjährigen Bundestagsabgeordneten, engagierten SPD-Politikers und Blog-der-Republik Autoren Hans Wallow (80) bleiben erhebliche Zweifel. Die Anklage lautet lediglich auf versuchte gefährliche Körperverletzung, Körperverletzung sowie Verstoßes gegen das Waffengesetz.
Aus der Perspektive des Opfers und jeden neutralen Beobachters war es ohne jeden Zweifel ein geplanter Mordversuch. Hans Wallow hat sich intensiv mit dem Hintergrund der Tat und des Täters beschäftigt und ist dabei auf bekannte Muster gestoßen. Der Politikwissenschaftler Florian Hartleb hat das sehr treffend schon weit vor den Morden von Hanau und Kassel in seinem Buch „Einsame Wölfe: Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter“ beschrieben.
Rechtsextremistische Gewalt geht eben nicht nur von organisierten Netzwerken aus wie im Falle der NSU, der Terrorvereinigung „Nordkreuz“, „Combat 18“ oder anderen rechtsextremistischen Zellen, sei es in „in Uniform“ bei Polizei, Bundeswehr oder Behörden oder in der Form von sg. „freien Kameradschaften“ aus. Es sind eben auch oft Einzeltätern, die ohne Einbindung in solche Strukturen, genauso verbrecherisch und gewaltsam den Kampf gegen Menschenrechte, unsere Freiheitsrechte und parlamentarische Demokratie führen.
Die Terrortaten dieser Einzeltäter entsprechen oft einem sehr übereinstimmenden Muster. Oft sind es sozial isolierte Einzeltäter, die sich als Verlierer wahrnehmen. Ihre Radikalisierung wird angetrieben und gespeist durch Hass auf Flüchtlinge, etablierte Politiker und Medien. Aus einer gesellschaftlichen Randposition entstehen dann Taten mit einer vermeintlich politischen Botschaft.
Daraus resultiert dann oft die Einordnung dieser Terrorakte als Einzeltat oder die Tat eines psychisch Kranken. Eindeutig rechtsextreme Gewalttaten werden in Deutschland – wie überhaupt in der gesamten EU (https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/europol-rechtsextremismus-europa-101.html) –zu oft nicht als terroristische Straftaten bewertet und verfolgt, sondern als „normale“ Straftaten. Bewusst oder unbewusst, in jedem Fall bedingt die geringere Aufmerksamkeit des Rechtsstaats und der Gesellschaft geringere oder gar fehlende Konsequenzen, sowohl was die Strafverfolgung, den Schutz der Opfer und die Präventionsmaßnahmen gegen zukünftige rechtsextremistische Gewalt- und Terrorakte angeht.
Die Radikalisierung der Täter wird konzertiert und orchestriert durch zahlreiche Organisationen. Neben den Alt- und Neo-Nazis in NPD oder AfD, den rechtsextremistischen Organisationen wie Pegida & Co gibt es zahlreiche „Institute“, Verlage und Stiftungen, die die Rolle der geistigen Brandstifter und Brandbeschleuniger übernehmen. Allen gemein, also sowohl den bislang vom Verfassungsschutz so sträflich vernachlässigten vorgenannten Organisationen wie auch den rechtsextremistischen Einzeltätern ist, dass Sie ihre Aktivitäten und Taten u.a. mit denselben ideologischen Vorbilder begründen, die in den 1920er Jahren die rechtsextremistischen Gewaltorgien gespeist haben, die zum Naziterrorregime geführt haben. Von Arthur Moeller über Ernst Jünger, Edgar Julius Jung, und Carl Schmitt bis hin zu Oswald Spengler. Ausländerhass, übersteigerter Nationalismus, Freund-Feind-Denken, ein antipluralistisches, antidemokratisches und autoritäres Gesellschaftsverständnis waren damals und sind es heute der Kit und der Antrieb dieser größten Bedrohung für die Demokratie.
Aus dieser braunen „Sud“ heraus werden zusätzlich zu Ausländern, Juden und Moslems auch die etablierten Medien und Politiker zur Zielscheibe. Sei als „Lügenpresse“ oder „Volksverräter“ tituliert, attackiert und verleumdet. Von da aus ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zur realen Gewalt.
Das Internet erleichtert durch die dem Rechtsstaat fast völlig entglittenen Plattformen und Kanäle die unkontrollierte und internationale Vernetzung rechtsextremer Gruppierungen. Zugleich verschwimmt auch die Grenze zwischen Rechtspopulismus, Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus und dem politischen Mainstream. Die Erfolge der AfD und die Social Media „Lufthoheit“ dieses vergifteten Denkens zeigt, dass auch Minderheiten den gesellschaftlichen Diskurs vergiften können und den rechten Hass in die Mitte einsickern lassen
Das hat auch der Bundestag erkannt, wie z.B. an den deutlichen Sätzen vom Fraktionsvorsitzenden der CDU, Ralph Brinkhaus, am 5.3.2020 im Bundestag abzulesen ist: „Doch genau das ist die Aufgabe dieses Staates: den Einzelnen zu schützen. Denn, meine Damen und Herren, nur wer in Sicherheit lebt, kann auch in Freiheit leben.“ (…) Ja, Herr Bundestagspräsident, unsere Demokratie wird bedroht – mehr denn je. Ich bin gewiss niemand, der die Gefahr durch Extremismus auf der linken Seite oder Islamismus unterschätzt; aber der Feind unserer Demokratie steht in diesen Tagen rechts und nirgendwo anders, meine Damen und Herren. (…) Wir dürfen uns nichts vormachen: Der Rechtsextremismus hat es eben nicht nur auf einzelne Menschen und auf einzelne Gruppen abgesehen, er hat es auf das freiheitliche Fundament unseres Staates abgesehen, meine Damen und Herren.“
Bei der rechtsstaatlichen Umsetzung hapert es aber noch gewaltig. Der Prozeß im Fall des feigen Mordanschlags auf Hans Willow könnte uns vom Gegenteil überzeugen. Aber der erste Verhandlungstag und die Anklage haben bisher wenig Hoffnung geweckt. Dabei geht es eben nicht um das einzelne Terroropfer, es geht um unsere Gesellschaft.
Hans Wallow hat es klar formuliert: „Rache ist unzivilisiert. Aber welche Aufgaben hat der Staat angesichts der 208 rechtsextremistischen Morde? Zwar hat das Unrecht immer Namen und Adresse, aber die Sicherheitsorgane haben die Pflicht, die Strukturen zu bekämpfen. Dr. W. Lübcke hat wohl die gleiche Angst vor den tödlichen Schüssen verspürt, wie ich. Sein Tod ist für mich eine Verpflichtung, zukünftige Opfer zu verhindern.“
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